Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Die Vetteljahre sind vorbei

Lesezeit: 4 min

Die Formel 1 verneigt sich zum Abschied vor dem viermaligen Weltmeister - Vettel selbst ärgert sich ein letztes Mal hörenswert über eine falsche Strategie. Und Charles Leclerc schnappt sich noch den zweiten Platz in der Gesamtwertung.

Von Philipp Schneider

Neun Runden vor dem Ende einer großen Karriere, die ihn vier Weltmeistertitel, 53 Rennsiege und 57 Pole Positions erleben ließ, zeigt Sebastian Vettel noch mal jenen Ehrgeiz, der ihn zu all dem Glanz überhaupt erst getrieben hat. Im Funk meldet er sich mit einer knackigen Tirade bei seinem Team: "Wie kann man nur so dermaßen mit der Strategie danebenliegen?!", schimpft Vettel. Und recht hat er natürlich! Für seinen Abschied hatten sich die Strategen von Aston Martin ein Rennen mit nur einem Boxenstopp überlegt - eine schlechte Idee, die ihn auf uralten Reifen kurz vor Ende beinahe aus den Punkten gespült hätte. Nur weil sein alter Rivale und Freund Lewis Hamilton mit einem Defekt ausrollte, schleppte sich Vettel gerade so auf Platz zehn. Und verdiente sich noch den einen, letzten Punkt, der sein Karrierekonto von 3097 auf 3098 Zähler anschwellen ließ.

Nicht, dass der noch groß die Bilanz verändert. Aber manchmal geht es ums Prinzip.

Weltmeister Max Verstappen sprang auch beim Saisonfinale ganz oben aufs Treppchen. Zweiter wurde der Ferrari-Pilot Charles Leclerc, der damit auch die Saison als Gesamt-Zweiter beendete, weil er Sergio Perez auf Platz drei und damit hinter sich ließ.

"Ich hätte gerne ein paar mehr Punkte geholt", sagte Vettel, nachdem er ein letztes Mal aus Spaß die Reifen auf der Zielgerade hatte qualmen lassen. Aber dann blickte er mit fröhlichen Augen in Richtung der Tribünen mit den vielen Deutschlandfahnen, bedankte sich mit einem "großen Dankeschön" und sagte: "Es gibt wesentlich wichtigere Dinge, als im Kreis zu fahren, aber es ist das, was wir lieben!"

Zur Karriere Vettels passt, dass ihm im letzten Rennen seine beste Qualifikationsrunde seit Jahren gelingt

Und nun sind die Vetteljahre vorbei in der Formel 1, das 299. Rennen war sein letztes. Und auch die Schumacherjahre sind vorerst vorbei, nach zwei Saisons. Weil sich der Williams-Wunschkandidat Logan Sargeant in der Formel 2 die nötigen Punkte für eine Lizenz in der Formel 1 sicherte, und er so das letzte freie Cockpit erhalten kann, wird sich Mick Schumacher im Optimalfall mit einem Jahr als Test- und Reservefahrer bei Mercedes anfreunden müssen. Er verabschiedete sich mit einem Fahrfehler, in der Schlussphase verschätzte er sich bei einer Kurvenzufahrt, bremste zu spät, drehte Nicholas Latifi und sich selbst auf der Strecke, erhielt eine 5-Sekunden-Strafe - und wurde 16.

Vettel hat von seinen langjährigen Mitstreitern am letzten gemeinsamen Wochenende ein paar schöne Erinnerungen serviert bekommen. Am Donnerstag dinierten alle 20 Fahrer auf Initiative von Lewis Hamilton im Fünf-Sterne-Restaurant Hakkasan, anschließend teilten sie Fotos von dem teuren Gelage in den sozialen Netzwerken, die wiederum millionenfach weitergeleitet wurden. Nach SZ-Informationen stimmt die Geschichte tatsächlich, dass Hamilton die Rechnung bezahlt hat. Wer sich wundert: Anders als in Deutschland ist es Brauch in Großbritannien, dass der wohlerzogene Gast denjenigen einlädt, der etwas zu feiern hat. Das ließ sich Hamilton offenbar nicht nehmen. Vettel selbst lud die Kollegen tags darauf zu einem kostenlosen und nächtlichen Lauf um die Strecke, für den weiße T-Shirts verteilt wurden. "Danke Seb", stand auf der Front. Und das Team vom TV-Rechteinhaber Sky schenkte ihm für seinen Hof in der Schweiz, warum auch immer, ein Alpaka-Pärchen. Ja, tatsächlich zwei Paarhufer, lateinisch Vicugna pacos, jene aus den Anden stammende Kamelart. "Hoffentlich werde ich nicht angespuckt", witzelte Vettel.

Für die herrlichste Geste sorgte allerdings Fernando Alonso, der Vettel für sein letztes Rennen einen Geleitschutz in Aussicht stellte und meinte: "Wir wollen ein reibungsloses Wochenende für ihn. Ich werde auf ihn am Start und in der ersten Runde aufpassen." Oh ja, er werde sein Bestes geben, damit Vettel die karierte Flagge sehe. Alonso hielt Wort. Wegen eines späten Defekts sah er selbst allerdings die Ziellinie nicht.

Selbstverständlich passte es zur wundersamen Karriere Vettels, dass ihm ausgerechnet im letzten Rennen seine beste Qualifikationsrunde seit Jahren gelang. Er startete als Neunter. Und hinter ihm parkte Alonso, der ja tatsächlich dafür berühmt ist, dass er sich auf der Strecke breit machen kann wie ein Sattelschlepper.

Neben all den Girlanden für Vettel und der Trauer um Schumacher gibt es weitere Abschiede am Sonntag

Bevor die Ampeln ausgingen am Hafen von Abu Dhabi, bildeten alle Fahrer, der Fia-Präsident und die Formel-1-Chefs ein Spalier. Und dann rollte Vettel mit viel Schwung los, hinein in seine letzten 59 Runden. Mit großer Lust auf eine letzte Rauferei. Sofort schaffte er es vorbei an Alonsos Teamkollege Esteban Ocon, musste ihn aber wieder passieren lassen. Nach acht Runden rauschte er abermals vorbei, doch wieder holte sich der Franzose den Platz zurück.

Zwei sportliche Fragen mussten noch geklärt werden beim Saisonfinale: Würde Mercedes sich Platz drei in der Konstrukteurswertung von Ferrari schnappen? Und welcher Fahrer würde die Saison als Zweiter beenden - Perez oder Leclerc? Die erste bot wenig Spannung, weil sich schnell herausstellte, dass Hamilton beim Verlassen der Strecke offenbar seinen Unterboden beschädigt hatte - und das Team George Russell bei seinem Boxenbesuch auf Kollisionskurs in den Verkehr schickte, was ihm eine Fünf-Sekunden-Strafe einbrachte. Die zweite spitzte sich zu, als der vormals zweitplatzierte Perez zum zweiten Reifentausch abbog, Leclerc aber auf der Strecke blieb. Dem Monegassen gelang es, seinen alten Satz Reifen über die Ziellinie zu schleppen, Perez holte ihn nicht mehr ein.

Vettel dagegen fuhr eine ganze Weile im Sandwich der Alpine von Ocon und Alonso. Nach 15 Runden bog Ocon an die Box, überließ Vettel kampflos die Position - holte danach aber auf frischen Reifen sehr schnell auf. Vettel blieb lang auf der Strecke, das spülte ihn vorübergehend vor auf Rang vier, dann aber wurde er nach und nach durchgereicht von den Kollegen auf den frischeren Reifen. "Das ist das Schlimmste, wir werden von den anderen aufgefressen", funkte Vettel. Er sei eine "sitting duck", also leichte Beute. Vom Ende des Feldes begann er eine Aufholjagd, kämpfte sich in die Punkte - ehe er zum zweiten Mal aufgefressen wurde.

Neben all den Girlanden für Vettel und der Trauer um Schumacher, gab es weitere Abschiede am Sonntag. Auch Daniel Ricciardo und Nicholas Latifi drehten ihre vorerst letzten Kreise. Und Hamilton, der zum ersten Mal kein Saisonrennen gewinnen konnte, er rief seinem hoppelnden Dienstwagen 2022 ein trockenes Farewell nach: "Ich habe nicht vor, dieses Ding je wieder zu fahren", stellt er klar. Sein Chef Toto Wolff zeigte Verständnis. Er denke nicht, "dass es im Mercedes-Benz-Museum den größten Platz bekommen wird".

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