Süddeutsche Zeitung

Wahlanalyse:Wer wen gewählt hat

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Bei den jüngeren Leuten gibt es deutlich andere Mehrheiten als bei den älteren. Und selbst die AfD-Wähler schätzen die Arbeit von Haseloff. Die Wahlanalyse in Grafiken.

Von Simon Groß, Markus Hametner, Sören Müller-Hansen und Benedict Witzenberger, München

Kenia, Simbabwe, Deutschland-Koalition oder Jamaika. An Namen für mögliche Koalitionen mangelt es bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt nicht. Rein rechnerisch gibt es eine Vielzahl von denkbaren Modellen. Ob der ersten Kenia-Koalition in Deutschland eine weitere folgen wird, ist bislang unklar.

Die CDU gewinnt im Vergleich zur Wahl von 2016 deutlich hinzu, AfD, SPD und Linke verlieren. Bei den Grünen verändert sich wenig. Die FDP schafft den Wiedereinzug in den Landtag und könnte sogar direkt in der Regierung landen. Doch zwischen verschiedenen soziodemografischen Gruppen gibt es zum Teil deutliche Unterschiede im Abstimmungsverhalten, wie Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen direkt an den Wahllokalen zeigen.

Diese Unterschiede werden deutlich mit Blick auf die Altersgruppen. Grüne und FDP erreichen bei den jungen Wählerinnen und Wählern zwischen 18 und 29 Jahren 13 und zwölf Prozent der Stimmen, insbesondere bei der FDP bedeutet das einen enormen Zuwachs um etwa 200 Prozent im Vergleich zum Stimmenanteil von nur vier Prozent bei der Landtagswahl 2016. Grüne und FDP liegen in dieser Altersgruppe nur fünf beziehungsweise sechs Prozentpunkte hinter der CDU und der AfD. Bei den über 60-Jährigen ist hingegen die CDU dominant, sie erreicht 47 Prozent der Stimmen.

Grüne unter Älteren gerade mal bei drei Prozent

Die Grünen hätten in der älteren Wählergruppe mit drei Prozent nicht einmal den Einzug in den Landtag geschafft, die FDP immerhin knapp mit fünf Prozent. Auch die Linke und die SPD wurden überwiegend von älteren Menschen gewählt, die AfD erhält mit 27 Prozent die meisten Stimmen aus der Altersgruppe zwischen 30 und 44 Jahren und fährt mit 18 Prozent ein schwaches Ergebnis in der jüngsten Altersgruppe ein. Das ist auch insofern bemerkenswert, als dass die rechtsnationale Partei 2016 mit 29 Prozent unter den 18 bis 29-Jährigen noch ihr stärkstes Resultat erreichte.

Die deutlichen Zugewinne im Vergleich zur Landtagswahl 2016 verdankt die CDU den Umfragen zufolge den Wählerinnen und Wählern, die älter als 45 Jahre sind. Die Verluste der Linken lassen sich hingegen nicht auf eine bestimmte Altersgruppe zurückführen, sie sind in der Wählergunst aller Altersgruppen gefallen.

Die einstmals großen Volksparteien CDU und SPD hätten nur noch in der älteren Bevölkerung über 60 Jahren eine gemeinsame Mehrheit. Je jünger die Wählerinnen und Wähler sind, desto schlechter sind die Resultate. Ginge es nach den Jüngeren, würde an einer gewichtigen Regierungsbeteiligung von Grünen und FDP kaum ein Weg vorbeiführen.

Überhaupt zeigen sich die 18- bis 29-jährigen deutlich experimentierfreudiger: Sie haben ihr Kreuz bei vielen verschiedenen Parteien gemacht, 22 Prozent der Stimmen gingen an Parteien, die allen Prognosen zufolge nicht in den Landtag einziehen werden. Dadurch wären in dieser Altersgruppe nur Koalitionen mit mindestens drei Parteien möglich, selbst ein ohnehin äußerst unwahrscheinliches Bündnis aus CDU und AfD hätte keine Mehrheit - anders als im Gesamtergebnis.

Die CDU hat bei den Frauen dazugewonnen

Ministerpräsident Reiner Haseloff kann mit seiner CDU vor allem bei den Frauen hinzugewinnen. 41 Prozent gaben der Partei ihre Stimme, bei den Männern sind es mit 33 Prozent merklich weniger. Damit hat sich das Wahlverhalten, das sich bereits in der Wahl von 2016 zeigte, nochmals verstärkt. Linke, SPD, FDP und Grüne können bei allen Geschlechtern gleichermaßen punkten, die AfD wurde deutlich häufiger von Männern (26 Prozent) als von Frauen (16 Prozent) gewählt.

Bei den Wählern mit Hochschulabschluss gewinnen die Grünen im Vergleich zu 2016 deutlich hinzu. Unter ihnen kommt die Partei auf zwölf Prozent. Bemerkenswert ist, dass die AfD, die hier mit elf Prozent ihr niedrigstes Ergebnis unter allen Bildungsabschlüssen erzielt, in dieser Gruppe fast genauso beliebt ist wie die Grünen. Die Linke ist hier hingegen am stärksten.

CDU und AfD erreichen ihre besten Ergebnisse in der Gruppe der Hauptschulabsolventen, bei denen vor allem die AfD deutlich zulegen kann. Die AfD ist auch bei Menschen mit mittlerer Reife stark.

Zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen deuten die Zahlen auf wenige Unterschiede hin. Vor allem die CDU überzeugt auf breiter Basis. Lediglich Beamte wählen deutlich seltener AfD als andere Berufsgruppen, dafür schneidet die Linke bei ihnen unter allen Berufen am stärksten ab. Die Partei muss allerdings in fast allen Gruppen massive Verluste im Vergleich zu 2016 hinnehmen; auch bei den Arbeitern. Bei ihnen legt die CDU enorm zu, auch Grüne und FDP können sich leicht verbessern. Ebenso ist die AfD bei den Arbeitern beliebt, sie verliert dennoch fünf Prozentpunkte verglichen mit den Wahlergebnissen von 2016.

Die FDP dagegen gewinnt fast überall hinzu, sie wird erwartungsgemäß am meisten von Selbständigen gewählt, bei denen sonst noch die AfD stark ist.

Selbst AfD-Wähler schätzen Reiner Haseloff

Ein Thema, bei dem sich immer mehr Wähler aller Parteien einig sind, ist die Zustimmung zur Arbeit des Ministerpräsidenten. Nicht nur die Wähler seiner eigenen Partei geben häufiger als noch 2016 an, dass Haseloff seine Arbeit gut mache - auch bei den Wählern aller anderer Parteien erreicht er höhere Zustimmung. Sogar bei den AfD-Wählern konnte er von 46 auf 66 Prozent zulegen.

Die Antworten auf die Frage, was die wichtigsten Probleme in Sachsen-Anhalt sind, haben sich seit der Landtagswahl 2011 stark verändert. 2021 nannten 31 Prozent die Corona-Pandemie, 2016 gaben 54 Prozent der Wähler das Thema Flüchtlinge als Antwort, 2011 war für 65 Prozent die Arbeitslosigkeit das wichtigste Thema. Letztere scheint als Problem weniger wichtig zu werden, 2016 nannten sie nur noch 28 Prozent der Wähler - dieses Jahr 14 Prozent. Das Thema Bildung war 2011 für ein Viertel der Wähler ein Problem, 2016 nur für 14 Prozent, 2021 wurde es mit 18 Prozent am zweithäufigsten genannt.

Ihre Wahlentscheidung machten mehr als die Hälfte der Wähler von der Politik in Sachsen-Anhalt abhängig, das sind sechs Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Die Bundespolitik war nur für etwas mehr als ein Drittel der Wähler ausschlaggebend.

Die Prognose wird aus einer Umfrage von ZDF und der Forschungsgruppe Wahlen berechnet, für die 17 259 Personen befragt wurden. Der Fehlerbereich wird zwischen zwei und vier Prozent angegeben. Grundsätzlich gilt: Je größer ein Unterschied, desto wahrscheinlicher ist, dass er tatsächlich gegeben ist.

Schwierig ist für die Wahlforscher zu beurteilen, wie die Briefwähler gewählt haben. Ende Mai hatten schon 14 Prozent der Wahlberechtigten die Briefwahl beantragt. Das sind mehr Personen als 2016 insgesamt per Brief gewählt haben. Dies macht es komplizierter, Befragte auszuwählen, die alle Wähler abbilden. Briefwähler kann man nicht beim Wahllokal antreffen und direkt nach ihrer Wahlentscheidung befragen. Dadurch kann es zu Verzerrungen kommen, da die Anhänger verschiedener Parteien unterschiedlich stark zur Briefwahl neigen.

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