Süddeutsche Zeitung

Syrien:Profiteur der Katastrophe

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Seit 2011 verlässt Baschar al-Assad Syrien nur noch selten. Nun wird der weltweit geächtete Machthaber vom Sultan von Oman empfangen. Könnte das Erdbeben für ihn zum Weg aus der Isolation werden?

Von Dunja Ramadan

Der rote Teppich wird wieder ausgerollt für ihn: Baschar al-Assad, der syrische Diktator, der gegen sein eigenes Volk einen massiven Vernichtungsfeldzug führte und immer noch führt. Der in London ausgebildete Augenarzt, der das Land seit bald 23 Jahren regiert, hat kaum ein Kriegsverbrechen ausgelassen: von der Bombardierung von Krankenhäusern und Schulen bis hin zu jahrelangen Belagerungen ganzer Städte und dem Massenmord an Gefangenen.

Das brutale Vorgehen des Assad-Regimes soll bislang rund 500 000 Syrern das Leben gekostet und 13 Millionen Menschen in die Flucht getrieben haben, sechs Millionen davon innerhalb des Landes. Assad werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen. Und nun, nach dem verheerenden Erdbeben im Nordwesten Syriens, wird der rote Teppich für genau diesen Assad wieder ausgerollt - zumindest in Muskat im Sultanat Oman, das in der Region den Ruf des neutralen Vermittlers innehat. Weitere Länder könnten dem Beispiel folgen.

"In der arabischen Welt herrscht Konsens darüber, dass der Status quo nicht funktioniert und wir einen anderen Ansatz finden müssen, der noch formuliert wird", sagte der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan bin Abdullah al-Saud im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende. Er erwähnte auch die wirtschaftliche Überlastung von Ländern wie Libanon oder Jordanien bezüglich der Versorgung syrischer Flüchtlinge. Man müsse mit Assad über Rückführungen sprechen, so der Minister.

Mit einer Annäherung soll auch der Einfluss Teherans in Syrien verringert werden

Das sind neue Töne aus dem Königreich Saudi-Arabien, die aufhorchen lassen, denn die saudische Position im Umgang mit Syrien gilt als entscheidend für die Wiederaufnahme in die arabische Staatengemeinschaft. Bislang waren es vor allem die Saudis und die Katarer, die eine Initiative blockiert haben, Syrien wieder in die Arabische Liga aufzunehmen. Aus Kairo hieß es bereits 2021, man wolle "Syrien wieder in den arabischen Schoß" zurückholen.

Mit einer möglichen Annäherung an Damaskus verbinden Staaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) auch die Hoffnung, den iranischen Einfluss in Syrien zu verringern. Neben Russland wird Baschar al-Assad von dem Regime in Teheran unterstützt. Die beiden Regionalmächte und Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran ringen um Macht und Einfluss. Mit der Erdbebenhilfe für die notleidenden Syrer hätte die Regierung in Riad eine Ausrede, die Beziehungen zu Damaskus weiter zu normalisieren. Saudische Flugzeuge mit Lebensmitteln, Medikamenten und Zelten landeten in den vergangenen Tagen in der von Assad gehaltenen Stadt Aleppo, erstmals seit Ausbruch der syrischen Revolution von 2011. Mittlerweile kontrolliert Assad wieder zwei Drittel des Landes.

Für Baschar al-Assad könnte die Rechnung also aufgehen, der 57-Jährige versucht angesichts der dringend benötigten Hilfe seine internationale Isolation zu beenden und die Sanktionen aufzuheben. Die USA lockerten bereits die Sanktionen für 180 Tage, um die Erdbebenhilfe zu erleichtern. Und auch Ersteres scheint Assad, zumindest regional, zu gelingen: Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi telefonierte vergangene Woche erstmals mit dem syrischen Machthaber und sicherte Hilfe zu. Vor wenigen Tagen besuchte der jordanische Außenminister Ayman Safadi erstmals seit Ausbruch des Konflikts Damaskus. Der jordanische König Abdullah II. war 2011 immerhin der erste arabische Staatschef, der den Rücktritt von Assad forderte.

Das Erdbeben bietet Assad also die Gelegenheit, die internationale Gemeinschaft zu einer offiziellen Anerkennung zu nötigen. Giorgio Cafiero, der Geschäftsführer des Risikoanalyseunternehmens Gulf State Analytics mit Sitz in Washington, spricht auf Twitter von einer "Erdbebendiplomatie", die alles andere als überraschend kam. Die Vereinigten Arabischen Emirate pochen seit Jahren auf eine Annäherung mit Damaskus und leiteten als Erste diplomatische Schritte ein. Im Dezember 2018 eröffneten die VAE ihre Botschaft in Damaskus wieder. 2021 besuchte der emiratische Außenminister Scheich Abdullah bin Zayed al-Nahyan Damaskus und 2022 reiste Assad erstmals seit Beginn des Krieges in ein arabisches Land, in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo er herzlich empfangen wurde.

Die Katarer galten bislang als laute Kritiker und Verfechter der Haltung, Assad weiterhin zu ächten. Sie könnten - nach der aktuellen Aussage des saudischen Außenministers zu urteilen - nun ziemlich alleine dastehen. Mitte Januar lud Scheich Mohammed bin Zayed al-Nahyan, der einflussreiche Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, die Staatenlenker aus Oman, Katar, Ägypten, Jordanien und Bahrain zum Thema "Wohlstand und Stabilität in der Region" ein. Dabei soll es auch um den Umgang mit Syrien gegangen sein.

Andreas Krieg, Golfexperte vom Londoner King's College, bezeichnete Assads aktuellen Besuch in Oman als ein Ergebnis dieses Gipfeltreffens von Abu Dhabi. Nur Katar habe dem Vorstoß zur Normalisierung mit Syrien vehement widersprochen, schreibt Krieg. Es könnte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein anderes arabisches Land für Assad den roten Teppich ausrollt.

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