Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Verunsicherte Volksparteien

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Von Nico Fried

Es war doch ganz anders geplant. Der Koalitionsausschuss sollte in dieser Legislaturperiode weniger akute Konfliktfälle lösen. Im Vertrag zwischen Union und SPD vom 12. März 2018 heißt es vielmehr, die Spitzen der Parteien und Fraktionen wollten in den Treffen "Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung" klären. Die Idee war, es möglichst gar nicht erst zum Streit kommen zu lassen.

Ja, denkste.

13 Ausschusssitzungen hat es gegeben. Weniger als fünf Stunden dauerte keine. Am Montag, in der 14. Sitzung, werden nun ein Konflikt und das große Ganze ineinanderfließen wie weißer und brauner Teig im Marmorkuchen. Die Parteispitzen wollen den Streit um die Grundrente beilegen und so möglichst auch eine "Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung" klären: die Zukunft der Koalition.

Scheitert die Grundrente, ist die Halbzeitbilanz derart beschädigt, dass der SPD-Parteitag im Dezember sicher für ein Ende der Regierung stimmen wird. Das ist ein Grund für die steigende Nervosität - aber nicht der einzige.

Am Koalitionsausschuss kann man auch den personellen Umbruch der Regierungsparteien ablesen: Nur Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Olaf Scholz sowie der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe Alexander Dobrindt waren immer dabei. Keine der drei Parteien schickt in die nächste Sitzung denselben Vorsitzenden wie in die erste Sitzung am 26. Juni 2018. Keine Fraktion schickt denselben Chef. Und das Karussell, es dreht sich noch.

Denn der größte Einschnitt für die Regierungsparteien steht noch bevor, wenn früher oder später auch Merkels Kanzlerschaft endet. Zum ersten Mal seit 1949 tritt bei der nächsten Bundestagswahl kein Amtsinhaber an. Es wird auf jeden Fall einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin geben.

Was nach demokratischem Normalfall klingt, schafft in den Volksparteien wachsende Verunsicherung. Angesichts ihres Abwärtstrends gerät die Selbstverständlichkeit der Macht ins Wanken. Und je näher der Tag X rückt, desto mehr trägt nun auch die CDU ihre Krise in personellen Streitigkeiten aus.

Noch auf dem Parteitag der CSU vor zwei Wochen hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die Union davor gewarnt, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen. Dann kamen die Wahlschlappe in Thüringen mit anschließender Verwirrung über das Verhältnis zur Linken, sowie die Attacke von Friedrich Merz auf Merkel, bei der Kramp-Karrenbauer rhetorische Streifschüsse abbekam.

Die Führungsfrage steht nun im Raum, auch weil Kramp-Karrenbauer sie, provoziert vom Chef der Jungen Union, öffentlich thematisiert hat, was Merkel in ihrer Zeit als Parteivorsitzende niemals eingefallen wäre.

Doch die Querelen lassen sich nur oberflächlich mit Führungsschwäche der Vorsitzenden erklären. Der Streit um eine etwaige Kooperation mit der Linken in Thüringen offenbart: Die CDU ist politisch mit sich nicht im Reinen. Reihenweise lehnten CDUler eine Annäherung dem Sinne nach mit Formulierungen ab wie: "Wenn wir das auch noch machen ..." Hinter dem "auch noch" kam das Hadern mit Merkels Politik der vergangenen Jahre zum Vorschein: erfolgreich, aber ungeliebt.

Christdemokratisierung der SPD

Oft heißt es, die CDU sozialdemokratisiere sich. Das war früher ein inhaltlicher Vorwurf gegen Merkel. Heute meint es die unablässigen Streitereien und die Unfähigkeit, Vergangenes abzuschließen. Nun könnte dieser Vorwurf plötzlich ins Leere laufen - nicht weil die CDU sich zusammenrauft, sondern die SPD. Im Spiegel versöhnen sich an diesem Wochenende sogar Olaf Scholz und Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz - und beenden damit eine sozialdemokratische Feindschaft, die der zwischen Merz und Merkel in nichts nachsteht, weil auch sie viel mit zerstörten Ambitionen zu tun hat, vor allem bei Schulz.

Fast geräuschlos ist auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) nach überstandener Prüfung ihres Doktortitels zurückgeschwebt in die überschaubare Schar der Sozialdemokraten mit Strahlkraft. Vereinzelte Rufe, ihr noch eine Chance im Rennen um den Parteivorsitz zu geben, ließ sie selbst verstummen. Scholz' Co-Kandidatin Klara Geywitz kommentierte einen Vorschlag, sie möge Giffey weichen, so: "Frauentausch ist ein bewährtes RTL-2-Format und sollte nicht auf die SPD übertragen werden."

Der Härtetest für die Sozialdemokraten kommt nach dem Mitgliederentscheid über die Spitze. Werden die Verlierer der Stichwahl die Sieger unterstützen? Je knapper das Duell der Duos Norbert Walter-Borjans / Saskia Esken und Scholz / Geywitz endet, desto größer ist die Spaltungsgefahr für die SPD.

Womöglich schlägt dann auf dem Parteitag in letzter Minute doch Giffeys Stunde - als Kompromisskandidatin und von allen akzeptierte Integrationsfigur. Anderenfalls dürfte es in der SPD mindestens so rau weitergehen wie nach der knappen Entscheidung zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz in der CDU. Man würde dann wohl von einer Christdemokratisierung der SPD reden müssen.

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SZ vom 02.11.2019
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