Süddeutsche Zeitung

Sahelzone:Europa schickt Soldaten, aber keine Alternativen

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Fast zehn Jahre dauert der internationale Militäreinsatz in Mali schon. Die Erfolge sind bescheiden - auch weil die wahren Probleme der Region viel tiefer liegen. Inzwischen sind auch die Russen im Spiel.

Von Bernd Dörries, Bamako

"Die Rufe nach Russland nehmen zu", sagt Sidy Traore. Es ist ganz still ist an diesem Nachmittag in Bamako. Traore erzählt in einem ruhigen Viertel der Hauptstadt Malis, wie sie in den vergangenen Monaten die Demonstrationen organisiert haben für Russland und gegen Frankreich. Wie er bei den Russen vor der Botschaft gestanden und sie gemeinsam gerufen hätten, bis der Botschafter herauskam. Seine Aktionen haben sich herumgesprochen in Bamako, und irgendwann hatte er das Büro des Putschisten-Präsidenten Assimi Goïta am Apparat, der ihn sehen wollte. Das war im September 2021: Wir setzen auf die Jugend, sagte der Putschist. Und die Jugend setze auf ihn, sagte Sidy Traore. Und auf die Russen.

Seit ein paar Monaten sind sie nun im Land, vielleicht 1000 Söldner der kremlnahen Wagner-Privatarmee und wohl auch ein paar Ausbilder. Offiziell gibt es die Mission natürlich gar nicht, Bamako und Moskau wissen angeblich von nichts, aber gesehen worden sind die Russen schon, sie sollen sich im Zentrum des Landes bereits an heftigen Kämpfen beteiligen. Seit sie da sind, habe sich die Sicherheitslage verbessert, behaupten Leuten wie Traore.

Was die Russen zumindest geschafft haben, ist, mit minimalem Einsatz ein maximales Durcheinander auszulösen in der Sahelzone. Ein fast zehn Jahre langer internationaler Einsatz gegen den Terror und für die Stabilisierung Malis steht auf der Kippe. Es ist der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr, bis zu 1400 Soldaten unterstützen die UN-Mission Minusma und bilden im Rahmen des EU-Projektes EUTM malische Soldaten aus. "Die Vorstellung, dass malische Soldaten durch unsere Frauen und Männer bei EUTM ausgebildet werden und im Anschluss mit russischen Söldnern kooperieren sollen, ist undenkbar", sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am Dienstag im Bundestag.

Also raus, nur weil die Russen da sind? Die Einzigen, die sich darüber freuen würden, wären wohl die Herren im Kreml.

"All die Truppen helfen aber nichts. Die Russen schon"

Von ihm aus könnten die europäischen Truppen im Land bleiben, auch die bei vielen verhassten Franzosen, die ehemaligen Kolonialherren, sagt Traore. "Wir wollen nicht, dass sie sich in unsere Angelegenheiten einmischen, sondern einen ehrlichen Austausch." Die Hoffnungen, die man in den Einsatz der Franzosen, Deutschen und Europäer gesetzt habe, sie hätten sich bisher nicht erfüllt, die Lage sei schlechter als je zuvor. Islamisten und Banditen kontrollieren zwei Drittel des Landes, obwohl die UN 15 000 Soldaten zur Stabilisierung geschickt haben und Frankreich mehrere Tausend im Kampf gegen den Terror. "All die Truppen helfen aber nichts. Die Russen schon", sagt Traore.

Er sitzt auf der Terrasse des Hauses, das sein Vater einst gebaut hat, gleich nach der Unabhängigkeit Malis 1960. Ein schönes Gebäude in einem der besseren Viertel von Bamako. Der Vater ist Händler, er muss, für hiesige Verhältnisse, ein kleines Vermögen gemacht haben, damit es reichte für so ein Haus, einen bescheidenen Flachbau mit eigener Toilette im Hinterhof. Der Sohn könnte sich so ein Haus nicht leisten. Die Hoffnung, dass die Kinder es einmal besser haben würden oder zumindest nicht schlechter, sie hat sich in Mali für die wenigsten Eltern erfüllt.

Die Lage sei schlecht, sagt Sidy Traore noch einmal. Die Jugend finde keine Jobs, wolle vor allem nach Europa, die Sicherheitslage sei mies. Traore hatte vor ein paar Jahren eine Organisation gegründet, die sich um zurückgekehrte Migranten kümmert, um Leute also, die es nicht bis nach Europa geschafft haben oder zurückgeschickt wurden. "Die hatten völlig falsche Vorstellungen von einem Paradies", sagt Traore. Seine Organisation war ein soziales Projekt, das ihm am Herzen lag, aber eben auch eine Möglichkeit, etwas von dem Geld zu bekommen, das die europäischen Regierungen nach Mali schickten: Wir helfen euch mit Soldaten und Geld. Dafür lasst ihr keine Migranten nach Europa. Das war der Deal. Aufgegangen ist er nicht.

Europa zahlte, schaute dann aber nicht mehr so genau hin, wen es da eigentlich unterstützte. Im Falle von Mali den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, der so unfähig wie korrupt war und dann im Jahr 2020 vom Militär gestürzt wurde. Seitdem beharrt Europa darauf, dass in Mali gewählt wird. Viele in Mali sagen aber, Demokratie schön und gut, aber erst, wenn wir in Sicherheit leben und es auch jemanden gibt, den wir wählen können. Der nicht der alten und korrupten Elite angehört.

Der Name der neuen Organisation: "Die Bewegung, die nach den Russen ruft"

Traore sagt, anfangs sei viel Geld reingekommen für Projekte mit Migranten, mittlerweile versickere es. Also hat er eine neue Organisation gegründet, "Die Bewegung, die nach den Russen ruft". Visitenkarten hat er noch keine neuen. Er schreibt den Namen einfach auf die Rückseite der alten. Der Wind dreht sich.

So ist die Stimmung in Mali, aber auch in großen Teilen der Sahelzone. Dem Kerngebiet des europäischen Kampfes gegen den Terror. Was da bekämpft werden soll, sind oft lokale Ableger von al-Qaida oder des sogenannten Islamischen Staats (IS). Letztlich ist es komplizierter: Ethnische Konflikte, Auseinandersetzungen um Land und einfaches Banditentum vermischen sich mit Islamismus. Die Jugend schließt sich an, oft nicht aus Überzeugung, sondern aus Mangel an anderen Perspektiven. Europa schickt Soldaten, aber keine Alternativen. Es geht weiter eher um die eigenen Interessen, als um die der Länder in Afrika. Migranten sollen draußen bleiben, Rohstoffe aber weiter abgebaut werden dürfen. Frankreich bezieht einen großen Teil seines Urans für die vielen Atomkraftwerke aus Niger. Dorthin sollen die Soldaten womöglich verlegt werden, wenn Mali sie nicht mehr will.

Sich Terroristen anzuschließen, scheint für einige Junge die einzige Alternative zu sein

Oder auch, wie manche inzwischen spekulieren, nach Mosambik. Dort baut die französische Firma Total gerade an der größten Einzelinvestition Afrikas, einer Verflüssigungsanlage für Erdgas in Capo Delgado, ein Vorhaben von 20 Milliarden Dollar. Derzeit ruhen die Arbeiten, weil die Region von Aufständischen der Al Sunnah wa Jama'ah (ASWJ) terrorisiert wird, die sich zum IS bekennen. Die Armee von Mosambik stand den Aufständischen weitgehend machtlos gegenüber, in den vergangenen Jahren sollen 4000 Menschen ums Leben gekommen seien, teils grausam ermordet, fast eine Million Menschen sind auf der Flucht.

Analysten sprechen seit Jahren davon, dass der Konflikt im Norden nicht nur mit Islamismus zu tun habe, sondern mit der Vernachlässigung einer ganzen Region, der Süden des Landes ist einigermaßen gut entwickelt, der Norden nicht. Seit Jahren vertreibt die Regierung kleine Gräber von den Minen, um selbst im großen Stil Rubine abzubauen. Auch von der Total-Gasanlage wird die Region wenig profitieren, die Arbeiter werden eingeflogen, die Fischer an der Küste ins Landesinnere umgesiedelt. Sich einer Terrorgruppe anzuschließen, scheint für einige Junge die einzige Alternative zu sein.

Die Regierung versucht seit Jahren panisch, den Konflikt unter Kontrolle zu bekommen, damit das Gas fließen kann und auch die Gewinne. Die hat die korrupte Elite längst im Voraus verteilt.

Seit dem Sommer 2021 verbesserte sich die Sicherheitslage, seitdem sind 1000 Soldaten aus Ruanda im Einsatz. Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme, wurde in den sozialen Medien gejubelt. Europäische Diplomaten wunderten sich lange, wer diesen Einsatz denn bezahlen würde? Ruanda tat so, als sei es eine Art Pro-Bono-Mission. Mittlerweile kann man es sich denken. Total hat kürzlich große Investitionen in Ruanda zugesagt, benutzt dessen Truppen letztlich als eine Art Söldnerarmee in Mosambik.

Dessen Präsident Filipe Nyusi war kürzlich auch selbst in Brüssel, um bei der EU ganz offen um mehr Unterstützung zu bitten. Die Gespräche seien gut gelaufen, verkündete er danach. Es wäre keine ganz große Überraschung: Sobald ein korrupter Staatschef in Afrika gegen Islamisten oder Migranten kämpft, vielleicht sogar gegen beides, kann er sich der Hilfe aus Europa sicher sein.

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