Süddeutsche Zeitung

Politischer Aschermittwoch:"Das ist nicht die deutsche Landwirtschaft"

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Minister Cem Özdemir zieht eine Grenze zwischen legitimen Protesten der Bauern und den aggressiven Tumulten in Biberach. Aus Sicherheitsgründen sah sich die Polizei dazu gezwungen, die Kundgebung der Grünen abzubrechen.

Von Max Ferstl, Biberach

Die Grünen haben ihren politischen Aschermittwoch in Biberach wegen heftiger Proteste abgesagt. Seit dem frühen Morgen blockierten zahlreiche Traktoren die Straßen zur Stadthalle, in der unter anderem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hätte auftreten sollen. Vor dem Veranstaltungsort versammelten sich zwischendurch Hunderte Menschen. Ein Polizeisprecher sprach im Zusammenhang mit den Demonstrationen von "aggressiven Protestaktionen". Gegenstände seien geworfen, ein Fahrzeug beschädigt und mehrere Polizisten leicht verletzt worden. Die Beamten setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein, eine Person wurde festgenommen. Es habe Bedenken gegeben, ob "die Veranstaltung gefahrlos stattfinden" könne, sagte der Polizeisprecher, daher die Absage.

Der Aschermittwoch in Biberach ist einer der wichtigsten grünen Termine des politischen Jahres. Zahlreiche prominente Mitglieder standen auf der Rednerliste, nicht nur Landwirtschaftsminister Özdemir, sondern auch die Parteichefin Ricarda Lang und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Dass die Bauern in diesem Jahr protestieren würden, war absehbar. Zwei Demonstrationen waren angemeldet, eine Kundgebung auf dem Gigelberg oberhalb der Stadthalle und eine Sternfahrt.

Viele Bilder, die am Mittwoch in Biberach entstehen, ähneln den Protesten der vergangenen Wochen. Da war der Misthaufen, der auf den Bürgersteig gekippt wurde, die hupenden Traktoren, die Protestplakate: "Gegen den Ampelwahnsinn". Überrascht war die Polizei aber offenbar von der Wucht der Aggression, die von manchen Teilnehmern ausging. Deren genaues Ausmaß ist noch unklar.

Wie viele der Teilnehmer aggressiv waren, wer die Demonstrationen angemeldet hat, wie viele Teilnehmer angekündigt waren - all das konnte der Polizeisprecher nicht sagen. Auf die Frage, ob die Polizei die Dimension der Proteste unterschätzt habe, sagt der Sprecher, dass man vorab die Lage bewertet habe. Auf die Demonstrationen sei man vorbereitet gewesen, bisher seien diese aber immer friedlich verlaufen.

"Es ist eine Niederlage für die Demokratie", sagt Jürgen Trittin

Özdemir selbst schafft es an diesem Tag nicht bis in die Stadthalle, dafür klettert er am späten Vormittag auf einen zur Rednerbühne umgebauten Lastwagen auf dem Gigelberg, vor sich Hunderte wütende Bauern. "Özdemir, mir graut vor dir", steht auf einigen Schildern. Özdemir ruft den Demonstranten zu, dass er ihre Wut verstehe. Die ursprünglichen Sparbeschlüsse der Bundesregierung seien "ungerecht" gewesen. Aber er wirbt auch um Verständnis, weil er sich durchaus für die Bauern einsetze, das Tierwohlkennzeichen, die Herkunftskennzeichen für Lebensmittel, die Milliarde für die Schweinehalter. Die Reaktion der Menge: Pfiffe, Hupen, "Jagen wir ihn zum Teufel!", brüllt ein Mann. Kurz darauf folgt die offizielle Absage der Veranstaltung.

In der Stadthalle trifft man auf einen recht bedröppelten Jürgen Trittin, der in seinem politischen Leben schon einiges erlebt hat. Aber das? "Es ist eine Niederlage für die Demokratie", sagt Trittin. Und natürlich müsse sich die Polizei fragen, ob sie angemessen vorbereitet gewesen sei.

So weit will Özdemir nicht gehen, als er nach der Absage im Biberacher Landratsamt seine Einschätzung zu diesem speziellen politischen Aschermittwoch abgibt. Özdemir dankt den Polizisten und bemüht sich darum, eine Grenze zu ziehen zwischen den legitimen Protesten der Bauern und den Grenzüberschreitungen. "Das sind nicht die Bauern, das ist nicht die Landwirtschaft." Das seien "Einzelne" gewesen, die "der deutschen Landwirtschaft keinen Gefallen" getan hätten.

Diese Einschätzung scheint lagerübergreifender Konsens zu sein. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) bezeichnete die Ausschreitungen am späten Nachmittag als "völlig inakzeptabel". Wer Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge angreife und eine demokratische Partei in der Ausübung ihrer Grundrechte behindere, "überschreitet ganz klar eine Grenze", so Strobl. Und SPD-Landeschef Andreas Stoch betonte, dass Dissens zur Demokratie gehöre. Doch Steine zu werfen sei "die Sprache derer, die unsere demokratischen Prinzipien missachten".

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