Süddeutsche Zeitung

Isaac Herzog in Berlin:"Die Lebenden haben kein Recht zu vergessen"

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Der israelische Präsident Isaac Herzog erinnert im Bundestag an die lange Geschichte des deutschen Antisemitismus. Heute sei sein Land jedoch "stolz auf seine Partnerschaft mit Deutschland".

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Der Besuch des Bundestags muss ein besonderer Gang gewesen sein für Isaac Herzog, den Präsidenten des Staates Israel. Und das heißt etwas nach der Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck, an der er am Montag teilgenommen hatte, gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, "meinem guten Freund", wie Herzog sagte - und zusammen mit den Hinterbliebenen der elf israelischen Sportler, die 1972 während der Olympischen Spiele von palästinensischen Terroristen ermordet wurden.

Es war Herzogs Vater Chaim, der 1987 als erstes Oberhaupt des jüdischen Staates das Reichstagsgebäude in Berlin besucht hatte, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in Erinnerung ruft. Damals stand wenige Meter entfernt noch die Berliner Mauer, und Chaim Herzog sprach von einer unsichtbaren Mauer des Schweigens, die das deutsche und das israelische Volk trenne. Nun, 35 Jahre später, sei diese Mauer überwunden, sagt Bas, und Isaac Herzog tritt ans Rednerpult, hier im Bundestag, überwölbt von der gläsernen Kuppel.

Herzog beginnt seine Ansprache mit dem Jiskor-Gebet, mit dem Juden der verstorbenen Angehörigen gedenken - er widmet es den sechs Millionen Juden, die in Deutschland von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Er verknüpft es aber auch mit dem Bewusstsein für die Tatsache, dass Antisemitismus, Gewalt und Verfolgung gegen jüdische Gemeinden eine weit längere Geschichte in Deutschland haben. Das Gebet geht auf die Erinnerung an die Opfer des ersten christlichen Kreuzzugs vor etwas weniger als 1000 Jahren zurück, der die Gemeinden schwer traf, wie Herzog sagt. Dieses Gedenken bilde einen "unabdingbaren Teil unserer Identität", sagt Herzog.

Heimat und zugleich Ort der größten Gräueltaten der Geschichte

Wenn er nach Deutschland komme, trage er ein "Fotoalbum meines Volkes" mit sich, in dem sich "zahlreiche Bilder dieses Landes" fänden. Deutschland sei den Juden auf der einen Seite eine Heimat gewesen. Hier habe sich herausragende jüdische Kultur ebenso entwickelt wie die bedeutendsten Rabbiner des jüdischen Volkes, Geistesgrößen wie Abraham Geiger, Albert Einstein, Kurt Weill oder Else Lasker-Schüler.

Zugleich seien in Deutschland aber auch die größten Gräueltaten der Geschichte geschehen, von der Zerstörung jüdischer Gemeinden bis zum "tiefsten Abgrund des menschlichen Zusammenlebens, der Schoah". Auch dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte steht mit Herzogs Familiengeschichte in Verbindung. Chaim Herzog hatte als britischer Offizier an der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen mitgewirkt. Es war der erste Ort, den Chaim Herzog besuchte, als er als Präsident des Staates Israel nach Deutschland zurückkehrte. Er werde nie vergessen, wie der Vater die unmenschlichen Zustände dort beschrieben habe, die "Hölle auf Erden", wie Isaac Herzog sagt, der dann am Nachmittag zum Abschluss seines Staatsbesuchs mit Bundespräsident Steinmeier die Gedenkstätte besuchte.

"Nur die Toten haben das Recht zu vergeben, die Lebenden haben kein Recht zu vergessen", fährt Herzog fort. "Das jüdische Volk vergisst nicht." Das sei "komplex, hart und schmerzhaft" für beide Seiten und bedinge die Verpflichtung zum Gedenken an die Schoah. In der Gegenwart bedeute das, die Hass verbreitenden Stimmen nicht zu ignorieren und dem Antisemitismus entschieden den Kampf anzusagen. Ein Appell, dem die Abgeordneten mit viel Beifall beipflichten. Bundestagspräsidentin Bas hatte sich schon bei der Begrüßung ähnlich geäußert. Die Hetze gegen Israel auf Demonstrationen sei unerträglich, da dürfe es keine falsch verstandene Toleranz geben. Antisemitismus existiere auch in der Mitte der Gesellschaft und bei manchen, die "sich im Dienste einer guten Sache sehen", kritisierte sie.

Mit Blick auf die Palästinenser sagt Herzog, Israel wolle ein friedliches Zusammenleben mit all seinen Nachbarn - und verweist dabei auf die Normalisierung der Beziehungen mit einer Reihe arabischer Staaten. Die "palästinensischen Nachbarn" müssten aber den Terrorismus gegen Israel einstellen, der schon 1972 zum Massaker von München geführt habe und bis heute andauere.

Herzog ruft zu Härte gegenüber Iran auf

Und Herzog äußert sich auch zu Iran: Es sei völlig unannehmbar, dass ein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen einem anderen, dessen Volk schon Opfer der Schoah geworden ist, täglich mit Vernichtung drohe. Er rufe die ganze Welt auf, der Entwicklung von Atomwaffen durch das Regime in Teheran entschieden und hart entgegenzutreten. Wer die Shoa und die Daseinsberechtigung Israels leugne, habe kein Recht auf die Unterzeichnung von Verträgen, auf Zugeständnisse und finanzielle Mittel - ein Verweis auf das Atomabkommen mit Teheran, das die USA sowie Frankreich, Großbritannien und Deutschland derzeit in Gesprächen mit Iran wieder in Kraft zu setzen versuchen. Israel werde sich mit allen Mitteln verteidigen, sagt Herzog.

Die "Weltgeschichte kennt kein Beispiel für den Vernichtungsfeldzug, den das nationalsozialistische Deutschland gegen das jüdische Volk geführt hat", zitierte Bas die Worte von Mosche Scharet. Der israelische Außenminister hatte 1952 auf Bitten des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer darauf verzichtet, sie auszusprechen, als beide das Luxemburger Abkommen zur Wiedergutmachung zwischen dem damaligen Westdeutschland und Israel unterzeichneten. Heute stehe Deutschland zu seiner Verantwortung, sagte Bas. Und heute sei Israel "stolz auf seine Partnerschaft mit Deutschland", antwortet ihr Israels Präsident im Bundestag.

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