Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Die CDU ist nervös

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Von Robert Roßmann, Berlin

Wer in diesen Tagen mit CDU-Politikern spricht, erlebt vor allem eines: große Nervosität. Anspannung vor einer Abstimmung wie der Europawahl ist zwar nichts Besonderes, aber diesmal kann die Union den Ausgang trotz aller Umfragen nicht einmal in der Tendenz abschätzen. Während sich die SPD bereits ziemlich sicher sein kann, am Sonntag herbe Verluste einstecken zu müssen, könnten CDU und CSU noch einmal glimpflich davonkommen. Wenn bei ihrem Ergebnis am Ende eine Drei vorne steht, wird es in der Union ein großes Aufatmen geben. "Dann werden bei uns die Champagner-Korken knallen", heißt es im Team von Spitzenkandidat Manfred Weber. Je näher die Union aber an die Marke von 25 Prozent rutscht, desto größer werden die Zweifel an der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer werden.

Die Europawahl ist ihre erste große Bewährungsprobe. Geht sie schief, könnten die ohnehin bereits aufkommenden Bedenken gegenüber der Parteichefin gefährlich groß werden. Da würde es Kramp-Karrenbauer auch nicht helfen, darauf zu verweisen, dass die Kanzlerin ihre Partei im Wahlkampf praktisch alleingelassen hat. Das stimmt zwar, Angela Merkel hat sich nur zu je einem Auftritt im In- und im Ausland bereitgefunden. Aber das macht den Wahlausgang ja erst recht zu einer Bilanz des Schaffens von Kramp-Karrenbauer.

In den vergangenen drei Wochen wurden sechs Umfragen zur Europawahl veröffentlicht, die Union rangiert in ihnen zwischen 28 und 32 Prozent. Es ist also durchaus möglich, dass die Champagner-Korken knallen. Allerdings sollte man auf die Umfragen nicht so viel geben. Das Wahlverhalten ist ziemlich volatil geworden, immer mehr Bürger entscheiden sich erst kurz vor Schluss. Außerdem gibt es bei der Europawahl keine Fünf-Prozent-Hürde - beim letzten Mal kamen deshalb auch sieben Kleinparteien mit je einem Sitz zum Zug. Die Stimmen für die kleinen gehen aber naturgemäß zu Lasten der größeren Parteien. Bei der letzten Europawahl schnitt die Union etwa zwei Punkte schlechter ab als in den Umfragen prognostiziert.

Welche Auswirkungen hat die Krise in Österreich auf das Abschneiden von CDU und CSU?

Außerdem weiß noch niemand, wie sich die politischen Verwerfungen in Österreich auf die Union in Deutschland auswirken werden. Kommen angesichts der Abgründe, die sich bei der FPÖ aufgetan haben, AfD-Anhänger zur Union zurück? Oder wenden sich bisherige CDU-Wähler von der Union ab, weil deren europäischer Parteifreund Sebastian Kurz die FPÖ-Leute sehenden Auges in seine Regierung geholt hatte?

Es gibt kaum einen ausländischen Politiker, der die Union in den vergangenen Jahren derart umgetrieben hat wie Kurz. Für viele Unzufriedene in der CDU ist er eine Lichtgestalt. Jens Spahn, der heutige Gesundheitsminister, pilgerte am Tag der österreichischen Nationalratswahl 2017 nach Wien und twitterte stolz ein Foto von Kurz und sich. Der junge, anpackende, konservative Kurz mit seiner rigiden Flüchtlingspolitik war für die Merkel-müden in der Union ein Hoffnungsträger. Monatelang wurden die Wahlergebnisse der Kanzlerin und des Kanzlers miteinander verglichen, auch weil die Österreicher zufällig kurz nach den Deutschen ihr Parlament gewählt hatten. Das Merkel-Lager wies ohne Unterlass darauf hin, dass die ÖVP von Kurz nur auf 31,5 Prozent gekommen und damit hinter dem Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl (32,9) zurückgeblieben war. Die Freunde Spahns betonten dagegen, dass diese 32,9 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1949 waren und die Union bei der Wahl fast neun Punkte verloren hat - während die ÖVP 7,5 Punkte zulegen konnte.

Dass Kurz nach der Wahl mit der FPÖ eine Koalition einging, war für die Konservativen in der Union kein ungeheuerlicher politischer Dammbruch, sondern eine kluge Strategie, um die Rechtspopulisten einzudämmen. Jetzt hat sich gezeigt, wie riskant diese Strategie war. Merkel und ihren Freunden kann das gefallen. Aber hilft das auch einer CDU, die bereits dabei ist, sich von der Kanzlerin abzunabeln?

Wenn am Sonntagnachmittag die ersten Prognosen in der CDU-Zentrale eintrudeln, wird Kramp-Karrenbauer wissen, was auf die Tage der großen Nervosität folgen wird: Eine Debatte darüber, ob sie die Richtige für die Merkel-Nachfolge im Kanzleramt ist. Oder das Ende des Gegrummels, ob sie wirklich die bestmögliche CDU-Chefin ist.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2019
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