CDU:Kramp-Karrenbauer läuft die Zeit davon

CDU: Fast täglich auf Tournee: Annegret Kramp-Karrenbauer mischt sich unter die Teilnehmer einer pro-europäischen Kundgebung in Berlin.

Fast täglich auf Tournee: Annegret Kramp-Karrenbauer mischt sich unter die Teilnehmer einer pro-europäischen Kundgebung in Berlin.

(Foto: Odd Andersen/AFP)
  • Vom Schwung der ersten Wochen nach der Wahl Kramp-Karrenbauers zur CDU-Vorsitzenden ist nicht mehr viel zu spüren.
  • Das größte Problem der Partei ist der ungeklärte Übergang im Kanzleramt.
  • Je länger Kramp-Karrenbauer nicht Kanzlerin wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere CDU-Politiker in eine aussichtsreiche Position kommen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Eines kann man Annegret Kramp-Karrenbauer sicher nicht vorwerfen: Dass sie sich schont. Wer die CDU-Chefin in diesen Tagen beobachtet, erlebt eine Frau, die sich für kaum etwas zu schade ist. Zum Beispiel am Mittwochabend in Magdeburg. Es ist kalt und nass. Die CDU hat auf dem Alten Markt eine Bühne aufgebaut, davor stehen sechs Reihen Bierbänke. Eine Frau zieht sie mit einem Fensterwischer ab, damit sich endlich jemand hinsetzt. Nicht einmal hundert Leute sind gekommen, obwohl die Partei breit eingeladen hat.

Das sind Umstände, auf die man als Wahlkämpferin gut verzichten könnte. Aber Kramp-Karrenbauer bleibt fast zwei Stunden lang. Eingehüllt in Schal und Daunenjacke steht sie auf der Bühne. Auch nach der Veranstaltung steigt sie nicht sofort in ihren BMW, sondern plaudert noch mit Bürgern - nicht einmal fünfzig sind bis zum Ende geblieben, es hat zwischendurch geregnet. Am nächsten Tag muss die CDU-Chefin wegen einer Augenentzündung pausieren, aber schon am Freitag ist sie wieder auf Tournee. Und an diesem Samstag stehen Auftritte in Freisen-Oberkirchen, Gronig, St. Wendel, Landsweiler-Reden, Quierschied und Merzig an. Das ist das Leben der Annegret Kramp-Karrenbauer im Mai 2019. Wenn man unhöflich sein wollte, könnte man sagen, dass die CDU-Chefin an einen Hamster im Rad erinnert. Sie strampelt zwar unermüdlich, kommt aber kein bisschen voran.

Fünf Monate steht die Saarländerin jetzt an der Spitze der CDU. Ihr ist es zwar gelungen, die Anhänger des unterlegenen Friedrich Merz zu befrieden und die Risse zwischen CDU und CSU zu kitten. Aber vom Schwung der ersten Wochen ist nichts mehr zu spüren. Die Union verharrt in den Umfragen in einem Bereich zwischen 28 und 30 Prozent. Derzeit ist nicht einmal das Ergebnis der letzten Bundestagswahl in Sichtweite, obwohl schon das desaströs war. Auch bei den Sympathiewerten für Kramp-Karrenbauer ist keine Bewegung nach oben zu verzeichnen. Stattdessen muss sich die Vorsitzende mit einer Vielzahl an Problemen herumschlagen.

Die einst in Machtfragen so souveräne Partei ist nervös geworden

Die Konservativen in der Union glauben, Oberwasser zu haben und verhalten sich entsprechend - wie die provokativen Veranstaltungen der Werteunion und des Berliner Kreises mit dem geschassten Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen zeigen. Auch im Umgang mit der Fridays for Future-Bewegung hat die CDU immer noch keinen klaren Kurs gefunden. Außerdem gelingt es Kramp-Karrenbauer nur mit Mühe, die parteiinterne Debatte über die Einführung einer CO₂-Steuer in geordnete Bahnen zu lenken. Denn die CDU steckt in einem Dilemma. Sie ist programmatisch derart ausgedünnt, dass sie nur noch mit zwei Versprechen verbunden wird: Keine neuen Schulden, und keine Steuererhöhungen. Außerdem lehnt die Mehrheit der Deutschen - und die übergroße Mehrheit der CDU-Anhänger - eine CO₂-Steuer ab. Auf der anderen Seite weiß auch die CDU-Spitze, dass ohne eine erhebliche Bepreisung von Kohlendioxid die Klimaziele nicht einzuhalten sind.

Doch das größte Problem der Partei ist der ungeklärte Übergang im Kanzleramt. Angela Merkel ist Regierungschefin, Annegret Kramp-Karrenbauer will es werden. Über kaum ein Thema wird in der CDU mehr gesprochen als über dieses. Die einst in Machtfragen so souveräne Partei ist darüber inzwischen derart nervös geworden, dass bereits Kleinigkeiten gewaltigen Wirbel auslösen können. Die SPD kennt das seit vielen Jahren, für die CDU ist das neu - und entsprechend ungeschickt verhält sich die Partei manchmal. Als Kramp-Karrenbauer für Anfang Juni eine Klausurtagung ihres Vorstandes ankündigte, überschlugen sich die Spekulationen, das könnte ein Zeichen für einen Rückzug Merkels aus dem Kanzleramt sein. Aber der CDU-Spitze gelang es nicht, die Aufregung zu dämpfen. Erst als die Kanzlerin persönlich dementierte, kehrte etwas Ruhe ein.

Absprachen per SMS, in der Morgenlage im Kanzleramt oder beim "schwarzen Frühstück"

Kramp-Karrenbauer und Merkel sehen und besprechen sich regelmäßig, ohne dass es dazu besonderer Absprachen bedürfte. Die CDU-Vorsitzende sitzt zwar nicht im Bundestag, aber sie nimmt an den Sitzungen der Unionsfraktion teil. Bevor diese dienstags um 15 Uhr beginnen, sieht man Merkel und Kramp-Karrenbauer regelmäßig, wie sie die Köpfe zusammenstecken. Merkel wiederum ist zwar nicht mehr CDU-Chefin. Als Kanzlerin ist sie aber Kraft Amtes immer noch Mitglied im Präsidium. Die Parteispitze trifft sich Montagmorgens in der CDU-Zentrale - auch das ist eine Gelegenheit für persönliche Absprachen. Und vor den Kabinettssitzungen am Mittwoch gibt es das sogenannte "schwarze Frühstück", bei dem sich die Unionsseite vorbespricht, auch hier treffen Kramp-Karrenbauer und Merkel aufeinander. Außerdem nimmt die CDU-Chefin regelmäßig an der Morgenlage im Kanzleramt teil. Und dann gibt es ja noch das Telefon, die beiden simsen sich oft.

Merkel regiert, Kramp-Karrenbauer friert

Merkel und Kramp-Karrenbauer bezeichnen ihr Verhältnis als gut. Und bisher hat man tatsächlich den Eindruck, dass die beiden Frauen vertrauensvoll miteinander umgehen. In der Debatte um die europapolitischen Vorschläge des französischen Präsidenten ging Kramp-Karrenbauer zwar deutlicher auf Distanz zu Emmanuel Macron als Merkel. In der Flüchtlingspolitik hat die CDU-Chefin sich mit der Bemerkung, Grenzschließungen seien als "Ultima Ratio" denkbar, sogar deutlich von der Kanzlerin abgesetzt. Aber mehr war in den ersten fünf Monaten Kramp-Karrenbauers an der CDU-Spitze nicht. Beim Empfang der Süddeutschen Zeitung am vergangenen Montag in Berlin saßen die beiden Frauen einträchtig und eng nebeneinander auf der Coach, bis sie - gemeinsam - das Fest verließen.

Doch wer glaubt, das spreche dafür, dass es zwischen Merkel und Kramp-Karrenbauer eine Art Masterplan für einen friedlichen Übergang im Kanzleramt gibt, liegt wohl falsch. Nahesteher der beiden Frauen bestreiten jedenfalls vehement, dass Merkel und Kramp-Karrenbauer Absprachen getroffen hätten. Das ist auch deshalb plausibel, weil es so viele unbekannte Variablen gibt, dass man so einen Übergang kaum planen kann. Wer weiß schon, ob und wann die SPD die Koalition verlassen wird? Wer kann wirklich einschätzen, ob in der CDU nach der Europawahl - oder nach den Wahlen in Ostdeutschland - eine Welle gegen die Kanzlerin losrollt? Außerdem kann niemand zuverlässig sagen, wie sich der Bundespräsident nach einem Rücktritt Merkels verhalten würde.

Die Kanzlerin ist wieder die beliebteste Politikerin

Und so warten die beiden Frauen im Moment ab, was passiert. Dabei ist die Kanzlerin in der wesentlich angenehmeren Lage. Sie ist nach ihrem Abgang von der CDU-Spitze wieder zur beliebtesten Politikerin der Republik aufgestiegen. Im aktuellen Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen wünschen sich 68 Prozent der Deutschen, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 in ihrem Amt bleibt. Außerdem muss Merkel niemandem mehr etwas beweisen. Ihr muss es nur noch gelingen, eine passende Gelegenheit zum gesichtswahrenden Ausstieg zu finden, bevor sich etwas gegen sie zusammenbraut. Und wenn sich nichts zusammenbraut, dann bleibt sie halt bis 2021 Kanzlerin.

Kramp-Karrenbauer dagegen läuft die Zeit davon. Je länger sie es nicht ins Kanzleramt schafft, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere CDU-Politiker in eine aussichtsreiche Position kommen. Wenn die Union bei der Europawahl schlecht abschneidet, wird das Resultat nicht nur der Kanzlerin angekreidet werden, die ihre Partei im Wahlkampf praktisch alleine lässt, sondern auch Kramp-Karrenbauer. Und wenn die CDU bei den Landtagswahlen im Osten tatsächlich von der AfD eingeholt werden sollte, wird sich auch dafür die Vorsitzende rechtfertigen müssen.

Bei alledem hat es Kramp-Karrenbauer auch noch mit Erwartungen zu tun, die unvereinbar sind. Die Anhänger von Friedrich Merz oder gar der konservativen Werteunion wünschen sich eine grundlegend andere CDU als die Merkel-Freunde. Ministerpräsidenten wie Armin Laschet oder Daniel Günther haben ganz andere Vorstellungen von der Zukunft der Union als etwa die sächsische CDU-Landtagsfraktion. Laut Politbarometer ist das Lager der Bürger, die einen traditionell-konservativeren Kurs der CDU befürworten, praktisch genau so groß wie das Lager derer, die eine derartige Schärfung des Profils für schädlich hielten.

Kramp-Karrenbauer kann trotzdem nur abwarten. Über die notwendige politische Brutalität verfügt sie zwar, das weiß auch Merkel. Aber die CDU-Chefin kann ja schlecht in einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen die eigene Kanzlerin antreten. Das würde die Union zerreißen. Außerdem würde Kramp-Karrenbauer nicht einmal dann die nötigen Stimmen zusammenbekommen, wenn Merkel bei einem solchen Manöver mitspielen würde. Dass Sozialdemokraten - oder FDP und Grüne - sie ohne vorherige Neuwahl ins Kanzleramt hieven würden, danach sieht es nicht aus. Und so werden Merkel und Kramp-Karrenbauer noch eine Weile so weitermachen wie bisher: Die eine sonnt sich in ihren guten Umfragewerten und regiert. Und die andere friert im Wahlkampf.

Zur SZ-Startseite

MeinungDie ewige Kanzlerin
:Merkel ist ein Vorbild an Pflichterfüllung

Im Finale ihrer Amtszeit regiert sie besser als ihre Vorgänger Adenauer und Kohl. Kommt nach der Europawahl die große Revolte?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: