Süddeutsche Zeitung

Bundestag:"Es muss unser Ziel bleiben, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt"

Lesezeit: 3 min

Bundeskanzler Scholz verurteilt die Gräueltaten von Butscha als Kriegsverbrechen. Der russische Präsident habe sich "mehrfach verrechnet" mit Blick auf den Widerstand der Ukrainer und die Einigkeit der EU etwa bei Sanktionen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Bundestag die Gräueltaten im ukrainischen Butscha scharf verurteilt. Die Täter und ihre Auftraggeber müssten "zur Rechenschaft gezogen werden", sagte der SPD-Politiker zu Beginn einer Regierungsbefragung im Bundestag. In Butscha, einem Vorort von Kiew, waren am Wochenende Hunderte Leichen entdeckt worden. Die Ukraine macht für das Massaker die russischen Truppen verantwortlich, die wenige Tage zuvor abgezogen waren. Moskau bestreitet das und bezeichnet die Vorwürfe als Inszenierung. Dabei handle es sich, so Scholz, um eine "zynische Behauptung".

"Russische Soldaten haben dort vor ihrem Rückzug ein Massaker an Zivilisten verübt", sagte Scholz. Es handle sich um ein Kriegsverbrechen. Man müsse damit rechnen, auch aus anderen Orten noch weitere solche Bilder zu sehen. An Russlands Präsident Wladimir Putin gerichtet forderte der Kanzler: "Beenden Sie diesen zerstörerischen und selbstzerstörerischen Krieg sofort. Ziehen Sie Ihre Truppen aus der Ukraine ab."

Scholz verteidigte erneut die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Es werde aus aktuellen Bundeswehrbeständen alles, was verfügbar und sinnvoll sei, geliefert. Dabei bleibe die klare Prämisse: "Mit allen Entscheidungen, die wir treffen, werden wir sicherstellen, dass die Nato-Partner keine Kriegsteilnehmer werden." Der Druck auf Russland werde zudem mit dem neuen EU-Sanktionspaket weiter erhöht. "Es muss unser Ziel bleiben, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt", so der Kanzler.

"Wir müssen zuallererst dafür sorgen, dass Europa energiepolitisch auf eigenen Füßen steht"

Der Kanzler betonte, alle aus der Ukraine nach Deutschland Geflüchteten seien "hier willkommen". Auf Nachfrage betonte er, es dürfe keine Benachteiligung geflüchteter Minderheiten etwa aus der Gruppe der Roma geben: "Die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass niemand diskriminiert wird und dass alle gleich behandelt werden." Einen Tag vor der Bund-Länder-Runde zum Thema rief Scholz dazu auf, sich bei der Aufnahme der Geflüchteten nicht in einen Streit über die Finanzierung zu verstricken.

Die von der Ukraine angebotene Neutralität nach Kriegsende sei ein "großes Zugeständnis gegenüber dem Aggressor". Mit Blick auf die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stellte Scholz zugleich klar: "Es darf nicht auf einen Diktatfrieden hinauslaufen." Wenn er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin spreche, mache er immer klar: "Es sind die Ukrainerinnen und Ukrainer, die über das, was sie zu vereinbaren bereit sind, verhandeln. Niemand sonst."

Die Ukraine hatte im Gegenzug zum Verzicht etwa auf eine Nato-Mitgliedschaft Sicherheitsgarantien durch Drittstaaten gefordert. Wie genau solche Garantien etwa durch Deutschland aussehen könnten, werde vertraulich diskutiert und sei "noch nicht ausbuchstabiert", sagte Scholz. "Selbstverständlich reden wir darüber - aber das auch in der notwendigen Vertraulichkeit - mit der Ukraine und tun das auch mit den anderen, die angesprochen sind." Dies lasse sich im Moment aber noch nicht weiter konkretisieren.

Putin habe sich "mehrfach verrechnet" - im Hinblick auf den "Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer" und "im Hinblick auf die Einigkeit von uns allen, auch die Einigkeit der Europäischen Union" etwa bei Sanktionen. Diese Einigkeit müsse als Momentum für die Zukunft genutzt werden. "Wir müssen zuallererst dafür sorgen, dass Europa energiepolitisch auf eigenen Füßen steht."

Deutschland werde weiter daran arbeiten, unabhängig von fossilen Energien und insbesondere von russischen Öl- und Gaslieferungen zu werden. Das Stromnetz werde ausgebaut, man werde ein "ordentliches Wasserstoffnetz" aufbauen sowie Kapazitäten für erneuerbare Energien erhöhen. All das werde mit "einem massiven Boom bei den Investitionen" ermöglicht. Scholz sprach sich dagegen aus, wegen des russischen Kriegs in der Ukraine die Kernkraftwerke in Deutschland länger zu nutzen. Das sei "kein guter Plan". Die Atomkraftwerke seien nicht für einen Weiterbetrieb vorbereitet, außerdem habe sich Deutschland aus gutem Grund entschieden, den Betrieb auslaufen zu lassen.

Zur Versorgung mit Lebensmitteln sagte Scholz: "Wir können in Europa Versorgungssicherheit gewährleisten." Aber man müsse sich "große Sorgen" machen im Hinblick auf die Versorgung der restlichen Welt. Es besteht bereits seit Längerem die Befürchtung, dass unter dem Krieg zahlreiche afrikanische Länder noch besonders leiden werden, die einen Großteil ihres Weizens aus Russland oder der Ukraine importieren.

Am Nachmittag diskutieren die Parlamentarier in einer Aktuellen Stunde über die Gräueltaten von Butscha.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5561706
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jsa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.