Süddeutsche Zeitung

Ampelkrise:"Kommen Sie mit Ihrer Politik zur Besinnung"

Lesezeit: 3 min

CDU-Chef Merz nutzt die Agrardebatte im Bundestag für scharfe Kritik an der Ampelregierung. Dabei treibt seine Partei die Frage um, ob von solcher Unversöhnlichkeit nicht jemand anderes profitiert.

Von Michael Bauchmüller und Henrike Roßbach, Berlin

Als Friedrich Merz am Donnerstagmorgen im Bundestag ans Rednerpult tritt, dauert es nicht lang, bis die Frage im Raum steht: Hat der Vorsitzende der Unionsfraktion sich vielleicht in seinem Kalender verirrt? Auf der Tagesordnung steht die Debatte zum Agrarbericht, der CDU-Chef aber ist sehr schnell beim großen Ganzen.

Die Ampel, sagt er, setze ihre Politik mit einer Rigorosität durch, die den Protest geradezu heraufbeschwöre. Abweichende Meinungen, so gut wie jeder Protest und fast jede Demonstration gegen diese Politik wiederum würden "unter den Verdacht der Demokratiefeindlichkeit" gestellt. Dabei hätten wesentliche Teile der Ampelpolitik längst "strukturell" keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung; von Wirtschaft und Finanzen über Energie und Einwanderung bis zur Landwirtschaft. "Kommen Sie mit Ihrer Politik zur Besinnung", ruft Merz, "bevor im Laufe dieses Jahres Teile unseres Landes unregierbar werden."

Parteitaktisch gesehen ist die Lage für die Union erfreulich

Es klingt also sehr nach Generaldebatte, was Merz am Donnerstag zu sagen hat. Die aber ist eigentlich erst übernächste Woche dran. Doch Merz hat natürlich Gründe, warum er schon in der Agrardebatte das Wort ergreift und grundsätzlich wird. Die Ampel strauchelt, die Zustimmung im Land schwindet, die Traktoren auf den Straßen gelten vielen längst als Symbolbild für die generelle Unzufriedenheit im Land und mit der Regierung.

Für Merz und die Union ist das, parteitaktisch gesehen, eine erfreuliche Ausgangslage für das neue Jahr. Eine Regierung, die in den Umfragen immer neue Tiefen auslotet, ein Kanzler mit katastrophalen Zustimmungswerten - was will man mehr, wenn man selbst das Kanzleramt anstrebt?

Allerdings wird in der Union durchaus darüber diskutiert, wie hart, wie frontal man die Ampel angehen soll, angesichts der kollektiven Gereiztheit da draußen. Am vergangenen Wochenende, bei der Jahresauftaktklausur des Parteivorstands in Heidelberg, gehörte die Erzählung, dass die Ampel mit ihrer unterirdischen Politik schuld sei an der miesen Stimmung im Land und dem Erstarken der AfD, zwar zum guten Ton. Trotzdem treibt die Union die Frage um, ob am Ende nicht vielleicht nur ebendiese AfD davon profitiert, dass man mit unversöhnlicher Ampelkritik den Unmut weiter anfacht.

Hendrik Wüst hat eine "Allianz der Mitte" ins Spiel gebracht

So warnte beispielsweise der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther in Heidelberg, man müsse heute in der Opposition "anders kommunizieren" als früher, weil die Situation "zu aufgeheizt" sei. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst wiederum brachte eine "Allianz der Mitte" ins Spiel; ein Bündnis mit der Ampel für besonders heikle gesellschaftliche Fragen.

Für Merz aber ist das eine ambivalente Idee. Nicht nur, weil er sich seit dem Amtsantritt von Olaf Scholz in seiner Rolle als Oppositionsführer vom Kanzler nicht genug wertgeschätzt fühlt - sondern auch, weil es womöglich auf das Konto von Scholz einzahlen könnte, wenn die Union seiner Ampel zur Seite springt. Vor der Fraktionssitzung am Dienstag sagte Merz deshalb sibyllinisch: "Die Frage, wie wir mit der Bundesregierung zusammenarbeiten, muss die Bundesregierung entscheiden."

In der Agrardebatte am Donnerstag tritt der Grundkonflikt, wie man mit der Stimmung im Land umgehen soll, deutlich zutage. "Wir haben jetzt die Möglichkeit, dass wir alle auf die Bäume gehen oder auf die Bäume treiben, und zwar möglichst weit nach oben", sagt Agrarminister Cem Özdemir, "oder wir arbeiten alle gemeinsam konstruktiv daran, dass unsere Landwirtschaft, die deutsche Landwirtschaft, zukunftsfest aufgestellt wird."

Von der Regierung war zur Agrardebatte nur Fachminister Özdemir anwesend

Renate Künast, grüne Bundestagsabgeordnete und Ex-Agrarministerin, ruft Merz zu: "Reden Sie nicht das Land schlecht, geben Sie nicht den Trump, sondern gehen Sie mit uns nach vorne." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dagegen denkt gar nicht an Konzilianz. Es sei die "ideologische Verbohrtheit" der Regierung, sagt er, "die dieses Land in Unruhe bringt". Nicht die Opposition sei das Problem. "Das, was skandiert wird, ist, dass die Ampel wegmuss. Das ist die Stimmung in Deutschland."

Egal für welche Strategie sich die Union auch entscheiden wird: Das Agrarthema wird ihr erhalten bleiben. Dafür sorgt just am Donnerstag Joachim Rukwied. Zum Auftakt der Agrarmesse "Grüne Woche" in Berlin sagt der Präsident des Bauernverbandes: "Das Einzige, das die Bauern von der Straße holen kann, ist: Agrardiesel zurückzunehmen." Vorher brauche man über Zugeständnisse gar nicht zu reden. Die bisherigen Proteste seien nur ein "Vorbeben" gewesen. Schon kommenden Montag könnten sie weitergehen. "Wenn sich nichts verändert, dann kommt es möglicherweise zur Eruption."

Von der Bundesregierung war zur Agrardebatte am Donnerstag übrigens nur Fachminister Özdemir anwesend. Sie dürften die minister- und kanzlerfreie Regierungsbank durchaus zur Kenntnis genommen haben: die Bauern da draußen.

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