Westbalkan:Baerbock warnt Serbien und Kosovo
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Der serbisch-kosovarische Konflikt bremst den Weg der Balkanstaaten in die EU. In Tirana stellt die deutsche Außenministerin klar: Ohne Frieden kein Beitritt. Doch stoßen ihre Mahnungen auf Gehör?
Von Paul-Anton Krüger, Tirana
Das Protokoll des albanischen Außenministeriums hatte noch versucht, zumindest den Anschein eines harmonischen Treffens zwischen den Staaten des westlichen Balkans, Deutschland und der EU zu wahren. Mitarbeiter klebten kleine gelbe Post-it-Zettel auf die hellen Steinstufen vor dem pastellgelben Brigadenpalast von Tirana. Ganz links hätte Serbiens Außenminister Ivica Dačić stehen sollen, ein paar Meter neben seiner Kollegin aus Kosovo, Donika Gërvalla-Schwarz. Die Flaggen waren ein Stück weiter vor der Fassade aufgebaut - darunter die blaue Fahne Kosovos mit dem gelben Umriss des Staates, den Serbien nicht anerkennt und als abtrünnige Provinz betrachtet.
In Berlin noch im vergangenen Jahr hatte Belgrads Vertreter kein Problem, sich mit Vertreter aller fünf weiteren Staaten des Westbalkan ablichten zu lassen. Im Zuge des von der Bundesregierung 2014 initiierten Berliner Prozess haben sie mehr Kooperation untereinander vereinbart, die sie zugleich näher an die Europäische Union heranführen soll. Diesmal blieb Dačić dem Familienfoto fern, sowohl auf der Treppe als auch vor den Flaggen. Es ist ein Sinnbild für die Spannungen in der Region.
Die waren eskaliert, nachdem serbischer Freischärler Ende September eine kosovarische Polizeieinheit im überwiegend von Serben bewohnten Norden Kosovos in einen Hinterhalt gelockt hatten. Ein Polizist starb, ebenso wurden drei der Angreifer getötet. Dann verstärkte Belgrad auch noch seine Truppenpräsenz im fünf Kilometer breiten Sicherheitsstreifen auf seiner Seite der Grenze so massiv, dass die USA sich gezwungen sahen, öffentlich davor zu warnen und einen Abzug zu verlangen wie wenig später auch die EU und die Bundesregierung.
Druck in getrennten Gesprächen
Leider habe man bei "Sicherheitsfragen, wo wir eigentlich gehofft und geglaubt haben, dass wir ein gutes Stück weiter sind", einen Rückfall erleben müssen, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Einen Weg in die Europäische Union könne es aber nur gemeinsam geben, warnte die Grünen-Politikerin, "es kann ihn nur geben im Respekt für die territoriale Integrität, es kann ihn nur geben, wenn man versteht, dass die Sicherheit immer wechselseitig ist". Das versuchte sie, Dačić und Gërvalla-Schwarz in getrennten Gesprächen nochmals deutlich zu machen - ob mit Erfolg, muss sich erst noch zeigen.
Aus der deutschen Delegation hieß es, Baerbock habe einen "intensiven und offenen Austausch" mit Dačić gehabt über Wege zum Abbau der Spannungen nach der jüngsten Eskalation der Gewalt, die sich im Mai auch gegen Soldaten der von der Nato geführten KFOR-Schutztruppe gerichtet hatte. Baerbock verlangte die "vollständige serbische Kooperation bei der Aufklärung" der Attacken und machte deutlich, dass eine klare Positionierung der serbischen Regierung gegen Gewalt und für eine friedliche Verständigung ein Schlüssel für den EU-Beitrittsprozess sei.
Die Frage, ob Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bereit ist, gegen den Anführer der Attacke auf die kosovarische Polizei, Milan Radoičić, vorzugehen, gilt der Bundesregierung als Lackmustest, ob er ernsthaft Interesse am weiteren Prozess zum EU-Beitritt hat - zu Rädelsführer Radoičić jedenfalls pflegt er enge Verbindungen. Der war in Serbien vorübergehend festgenommen worden, kam aber wieder auf freien Fuß.
Verbalattacke auf den ermordeten Vater
Auf dem Weg in die europäische Familie führe "kein Weg daran vorbei, dass man mit seinen Nachbarn in Frieden und in Freundschaft lebt und nicht Dinge der Vergangenheit immer gegeneinander aufrechnet", warnte Baerbock nach den Plenargesprächen mit ihren Kollegen. Das galt zum einen Dačić, der in seiner Rede die Kosovaren Unterstützung von Terrorismus geziehen hatte und dabei weit zurück in die Vergangenheit schweifte. Er erwähnte Gërvallas Vater Jusuf Gërvalla, einen kosovo-albanischer Aktivisten und Unterstützer der Unabhängigkeitsbewegung, der 1982 im deutschen Exil vom jugoslawischen Geheimdienst ermordet worden war.
Ein wenig galt Baerbocks Mahnung aber auch der kosovarischen Seite. Außenministerin Gërvalla-Schwarz hatte in Tirana die Forderung nach Sanktionen gegen Serbien wiederholt und eine klare Verurteilung der Attacken verlangt. Auch von der kosovarischen Regierung von Premier Albin Kurti erwarten Berlin und Brüssel aber Kompromissbereitschaft. So müssten die von der EU vermittelten Gespräche über eine Normalisierung weitergehen und etwa die kosovarische Seite Fortschritte machen bei der Einrichtung eines serbischen Gemeindeverbandes im Norden.
Positiv wertete Baerbock, dass Serbien seine Truppen im Grenzgebiet reduziert habe. Das zeige, dass die Gespräche mit Belgrad sinnvoll gewesen seien. Zugleich aber gab die Bundesregierung bekannt, weitere Bundeswehrsoldaten zur Verstärkung der KFOR-Truppe zu entsenden. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte zwar, die Entscheidung habe nichts zu tun mit den gegenwärtigen Spannungen. Die Bundeswehr kompensiere mit der Stationierung von 155 weiteren Soldatinnen und Soldaten von April 2024 an lediglich den Abzug einer österreichische Kompanie. Es handele sich also nicht um eine Aufstockung der KFOR-Truppen. Die Entscheidung sei in Abstimmung mit den Partnerstaaten getroffen worden. Großbritannien und Rumänien wollen jedoch ihre Truppen verstärken. Allerdings demonstriert Deutschland mit der Entscheidung nach Ansicht der Bundesregierung, dass es seiner Verantwortung auf dem Balkan gerecht wird.
In zehn Tagen schon wird Bundeskanzler Olaf Scholz zum Gipfeltreffen des Berliner Prozesses in Albanien erwartet. Dann, so die Hoffnung der Bundesregierung und der Europäischen Kommission, sollen die eigentlichen Themen wieder stärker in den Vordergrund rücken: die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen und andere Dinge, die den Menschen konkrete Vorteile bringen. Auch eine Annäherung an den Binnenmarkt der EU stellte Baerbock in Aussicht, sofern die regionale Kooperation weiter ausgebaut wird. Das sei es, worauf die junge Generation warte, so redete Baerbock ihren Kollegen ins Gewissen. Die verlassen jedes Jahr zu Tausenden ihre Heimat - zumeist um ihr Glück in Ländern der EU zu suchen.