Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krieg:Unterschleißheimer Infinity-Hotel nimmt 150 Geflüchtete auf

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In dem Haus mit 439 Zimmern werden vorübergehend Familien aus der Ukraine einquartiert - während des laufenden Betriebs. Andernorts werden leerstehende Hotels hergerichtet. Das Landratsamt plant unterdessen die Aufstellung von Traglufthallen.

Von Annette Jäger, Bernhard Lohr und Martin Mühlfenzl, Unterschleißheim

Wo sonst Geschäftsleute tagen, spielen jetzt Kinder im Konferenzsaal Fußball. Nebenan ist eine provisorische Kleiderkammer eingerichtet. Und Helfer des Roten Kreuzes und der Caritas stehen den aus dem Kriegsgebiet geflüchteten Menschen zur Seite, wenn sie Dokumente ausfüllen müssen oder einen Arzt benötigen: Das Infinity-Hotel in Unterschleißheim mit seinen 439 Zimmern hat bisher 150 Geflüchtete aufgenommen. Für bis zu 200 Hilfsbedürftige ist Platz. Währenddessen läuft der Hotelbetrieb weiter. Man habe angesichts der Bilder aus der Ukraine, die "am Boden schlafende Kinder" zeigten, gar nicht anders gekonnt, als die Hilfe anzubieten, sagt Andreas Striebel, der Eigentümer des Hotels.

Als das Landratsamt vor zwei Wochen aufrief, Unterkünfte zu melden, hatten Striebel und seine Familie kurzentschlossen Zimmer in dem großen, modernen Hotel angeboten, in dem regelmäßig Fußball-Nationalmannschaften zu Gast sind, wenn Länderspiele in der Fröttmaninger Arena stattfinden. "Wir sind sofort startbereit als Hotel. Wir müssen keine Betten aufstellen", sagt der Hotelier. Nach ein paar Tagen Vorlauf fuhren Anfang vergangener Woche die ersten Busse mit Flüchtlingen aus der Ukraine am Hoteleingang vor.

In der ersten Woche habe man noch versucht, den Doppelbetrieb als Hotel und Unterkunft für gestrandete Kriegsflüchtlinge noch alleine zu managen, sagt Striebel. Sein Sohn sei Tag und Nacht im Einsatz gewesen. So habe man erst einmal für mehrere tausend Euro Hygieneartikel besorgt. Seit dem Wochenende unterstützen das Rote Kreuz und die Caritas das Hotelpersonal. Auch die Stadt zeigt sich solidarisch: Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) war am Wochenende im Hotel, eine große Spendenaktion ist am Ort angelaufen. Es sei eine große Freude, helfen zu können, sagt Striebel, aber: "Es ist schon auch anstrengend. Die erste Woche war ein intensives Erlebnis."

Doch Striebel bereut seinen Einsatz in keiner Weise. Das Hotel sei derzeit nicht voll ausgelastet, der Hotelbetrieb laufe gut weiter. Bis Ende April könnten die Geflüchteten auf jeden Fall erst einmal bleiben. Die Hälfte der jetzt im Hotel Untergebrachten sind laut Hotelier Kinder. Familien sind im Verbund in Gästezimmern untergebracht. Sie alle bekommen Striebel zufolge Frühstück, Mittag- und Abendessen. Inzwischen ist auch ein Helfernetz aktiv. Als Bürgermeister Böck am Wochenende über Facebook dazu aufrief, es mögen sich Dolmetscher melden, waren schnell genügend Sprachkundige gefunden.

Michael Solbach, Geschäftsführer eines IT-Unternehmens, startete über seinen Account im Netz einen Spendenaufruf und übernahm zusätzlich am Wochenende als Einsatzleiter für das BRK Dienst am Hotel. Dort ist jetzt von 8 bis 20 Uhr eine Bereitschaft eingerichtet, täglich um 13 Uhr zudem eine Arztsprechstunde. "Es geht zum Beispiel darum, wenn eine Familie mit einem Säugling ankommt, dass man den mal anschaut", sagt Solbach. Es würden auch Impfungen angeboten und der 3-G-Status erklärt oder ein Zahnarzttermin vermittelt. Die Solidarität in der Stadt sei sehr sehr groß, sagt Sebastian Schürmann von der BRK-Bereitschaft.

Gleich neben dem Hotel hat der SV Lohhof im Ballhausforum ebenfalls Geflüchtete untergebracht. Die Stadt selbst hat laut Rathaussprecher Steven Ahlrep ihre Liegenschaften nach geeigneten Räumen abgeklopft. Die Kirchen und auch viele Bürger hätten Wohnraum zur Verfügung gestellt. Die Nachbarschaftshilfe habe einen offenen Treff eingerichtet. Weitere Aktivitäten, um Kinder in Schulen aufzunehmen oder Deutschkurse bei der Volkshochschule anzubieten, würden organisiert.

In Gräfelfing und vielleicht auch in Ottobrunn werden ehemalige Hotels genutzt

Auch andere Hotels im Landkreis nehmen Ukraine-Flüchtlinge auf. Landrat Christoph Göbel (CSU) bestätigte am Dienstag die Anmietung von Hotels in Oberhaching und Planegg, auch das Dormero-Hotel in Kirchheim ist darunter. Im Gespräch ist weiterhin das ehemalige Hotel Pacific in Ottobrunn, hier liefen derzeit Verhandlungen zwischen dem Eigentümer und dem Landratsamt, bestätigt Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU). Er würde es ausdrücklich begrüßen, wenn in dem Objekt Geflüchtete aus der Ukraine unterkommen.

Das Hotel Dolce Vita in Gräfelfing ist sogar schon bezugsfertig. Am Samstag werden an die 50 ukrainische Geflüchtete erwartet, die dort einziehen. In den vergangenen Tagen haben Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung und des Bauhofs sowie Engagierte der katholischen Pfarrgemeinde St. Stefan das leerstehende Haus unter Hochdruck ausgestattet. Die Gemeinde ist Eigentümerin des Hotels, das seit Beginn der Pandemie nicht mehr betrieben wird, und hatte es dem Landratsamt für die Unterbringung von Flüchtlingen angeboten.

Wasser und Heizung funktionieren in dem Hotel einwandfrei, der Brandschutz ist gewährleistet, auch Möbel sind vorhanden, stellt Stefan Schädle vom Bauamt fest. Außerdem wurden Zäune errichtet, um die Würm auf der einen Seite des Hotels und die Planegger Straße auf der anderen abzugrenzen, es werden ja viele Kinder erwartet. In dem Hotel gibt es einen Gastraum mit Küche, die so ausgestattet wurde, dass mehrere Familien kochen können. Die Gemeinde hat Kühlschränke, eine Gefriertruhe, zwei Herde, Waschmaschinen und Trockner besorgt, Mitarbeiter des Bauhofs haben sie angeschlossen.

Mitglieder der Pfarrgemeinde sind nun seit Tagen damit beschäftigt, den Hausrat zusammenzustellen: Matratzen, Bettwäsche, Handtücher, Geschirr, Lampen, Tische, Spielsachen für die Kinder, Hygieneartikel, haltbare Lebensmittel werden besorgt. Maria Wieser, eine der Helferinnen, lobt die große Spendenbereitschaft. So hätten die Betreiber des gerade wegen Neubaus geschlossenen Hotels Pschorrhof in Lochham großzügig mit Ausstattungsgegenständen geholfen, ein anderer privater Kontakt zu Hoteliers habe weitere Spenden bewirkt. Die Wirte vom Wilden Hirschen in Gräfelfing hätten Besteck und Geschirr organisiert, die Gemeinde kümmere sich in den ersten Tagen um die Bewirtung der Gäste. "Es ist eine Freude zu sehen, wie engagiert alle helfen", sagt Wieser. Im gleichen Zuge wurde ein leerstehendes Reihenhaus, das privat zur Verfügung gestellt wurde, eingerichtet. Hier können zwei Familien unterkommen. Am Sonntag werden die Menschen aus der Ukraine - es werden vor allem Frauen und Kinder erwartet - mit einem Gottesdienst in der Pfarrei St. Stefan begrüßt.

Der Landkreis wird bei der Unterbringung Geflüchteter aber auch auf Formen setzen, die bereits im Jahr 2015 erfolgreich erprobt wurden, als vor allem Flüchtlinge aus Syrien und Nordafrika eintrafen. So sollen erneut Traglufthallen zum Einsatz kommen, zunächst zwei Hallen mit einer Kapazität von bis zu 300 Schutzsuchenden. Zudem hat das Landratsamt Containeranlagen bestellt, die voraussichtlich auf dem Areal des ehemaligen Luftwaffen-Corps der Bundeswehr in Unterhaching aufgestellt werden sollen. So könne die Kapazität bei der Unterbringung Schutzsuchender insgesamt auf 1000 Plätze hochgefahren werden.

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