Süddeutsche Zeitung

Politik im Landkreis München:Abschied von der Macht

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Nicht nur das Aus Kerstin Schreyers als Verkehrsministerin und Florian Hahns als stellvertretender CSU-Generalsekretär schwächen den Einfluss des Landkreises in Bund und Land. Auch SPD und Grüne tragen zum - wahrscheinlich langfristigen - Bedeutungsverlust bei.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Es gibt nicht diesen einen Moment, an dem sich festlegen lässt, wann der Abstieg genau begann. Aber am Abend des 24. Septembers 2017 ist genau so ein Augenblick, als Punkt 18 Uhr auf den Bildschirmen im vierten Stock des Landratsamtes die ersten Balken erscheinen und bei der ersten Hochrechnung der Bundestagswahl klar wir: das ist ein Einschnitt. Fast neun Prozent verliert die Union an diesem Abend, mehr als fünf die Sozialdemokraten - und dem anwesenden Spitzenpersonal um den Bundestagsabgeordneten Florian Hahn, der Landtagsabgeordneten Kerstin Schreyer und der SPD-Direktkandidatin Bela Bach frieren die Gesichter ein.

Es ist ein schleichender Abstieg der CSU im Landkreis seit Jahren, bei der SPD nahezu ein freier Fall. Dem gegenüber aber stand vollkommen konträr ein Aufstieg des Spitzenpersonals aus dem Landkreis München in gewichtige Ämter, auf allen Ebenen, in allen Farben: die Beförderung der Unterhachingerin Kerstin Schreyer zur bayerischen Familienministerin 2018 und später zur Ressortchefin für Wohnen, Bauen und Verkehr; der Einzug des Putzbrunners Florian Hahn in den innersten Parteizirkel um Ministerpräsident Markus Söder als stellvertretender Generalsekretär. Die Neubiberger Landtagsabgeordnete Natascha Kohnen brachte es von der Generalsekretärin der Bayern-SPD zur Landeschefin, Bela Bach aus Planegg zog in der vergangenen Legislatur als Nachrückerin in den Bundestag ein. Und dann ist da noch Anton Hofreiter aus Unterhaching, der acht Jahre lang als starker Mann der Fraktion der Grünen im Bundestag vorstand. Wohl kaum ein Landkreis konnte sich einer derartigen Machtfülle, so viel Einflusses und Gestaltungskraft in den Händen einiger Landtags- und Bundestagsabgeordneter rühmen.

Doch davon ist nicht viel geblieben. Was ist da los?

In der SPD ist es schwerer, Abgeordneter zu werden als zu sein

Politik kann grausam sein, ein Ministerpräsident ebenfalls. Dass Söder über eine gewisse Ruchlosigkeit verfügt, ist kein Geheimnis; aber Schreyer bei der jüngsten Kabinettsumbildung geopfert zu haben, hat nicht nur unter den Christsozialen im Landkreis Kopfschütteln und Unverständnis ausgelöst. Schreyer galt als loyal, aber mehr noch: Als kompetent und durchsetzungsstark. Hahn wurde ebenso ein Opfer der Umbildung der Söder'schen Regierung, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Denn während sein bisheriger Chef, Generalsekretär Markus Blume, zum Staatsminister für Wissenschaft und Kunst befördert wurde, musste Hahn seinen Posten als stellvertretender Generalsekretär aufgeben - und wurde stattdessen in den Rang eines "internationalen Sekretärs" erhoben, was gewichtiger klingt, als es tatsächlich ist.

Doch es ist nicht nur der innerparteiliche Bedeutungsverlust, der schwer trägt. Qua Kombination aus Amt und Mandat hatten Schreyer und Hahn immer wieder die Möglichkeit, direkten Einfluss zu nehmen - und Projekte im Landkreis anzutreiben. An der A 8 etwa ist es nach jahrzehntelangem Kampf endlich gelungen, Tempolimits einzuführen und so für mehr Lärmschutz für die leidgeplagten Anwohner in Unterhaching und Neubiberg zu sorgen - unter der Ministerin Schreyer, die sich dafür maßgeblich eingesetzt hat. Schwer wiegt auch der Verlust von Einfluss für den Abgeordneten Hahn, der sich immer wieder gerühmt hat, Subventionen in den Landkreis München umgeleitet zu haben - Förderungen für Projekte in der Luft- und Raumfahrt in Ottobrunn, für die Forschung an Corona-Medikamenten in Martinsried oder kleinere Summen für den Städtebau, einen Spielplatz, ein Jugendzentrum. Nun aber fehlt als Parlamentarier in der Opposition der direkte Draht in einst unions-geführte Ressorts wie das Bundeswissenschafts- oder Wirtschaftsministerium. Hahn ist abgeschnitten, wichtige Kontakte sind unterbrochen.

Nie war der Einfluss des Landkreises im Land und im Bund größer als in den vergangenen Jahren - doch damit ist es vorerst vorbei. Und die Aussichten, dass sich dies schnell wieder ändern könnte, sind derzeit gering. In Natascha Kohnen verlässt im kommenden Jahr das Gesicht der Kreis-SPD die Politik, die einstige Chefin des Landesverbands, die auch dem Bundesvorstand der SPD angehörte. Aus diesem Machtzirkel sind die Genossen raus; ob sie es wieder in den Landtag schaffen, wird auch von der eigenen Schlagkraft innerhalb des Landesverbandes abhängen, wenn es um die Verteilung der Listenplätze geht. Vor den vergangenen Wahlen hat sich stets gezeigt, dass der innerparteiliche Einfluss der Kreis-SPD meist zu gering war. Außer bei Kohnen.

Dass sich auch das Zukunftsversprechen Bela Bach nicht eingelöst hat, könnte für die Genossen zudem auf Dauer ein Problem werden. Knapp zwei Jahre gehörte die einstige Hoffnungsträgerin als Nachrückerin dem Bundestag an - dann folgte die Vergabe der Listenplätze vor der Wahl 2021, Bachs Nichtberücksichtigung auf einem aussichtsreichen Platz und ihr Rückzug von der Kandidatur und aus der Bundespolitik. Und Bachs Beispiel selbst zeigt, wie schwer es ist, einen Bewerber langfristig aussichtsreich positionieren können, in der Partei und der Öffentlichkeit. Innerhalb der Genossen ist es anstrengender, Abgeordneter zu werden als zu sein.

Doch nicht nur die Sozialdemokraten leiden. Geplatzt ist auch der Traum der Grünen im Landkreis, ihre Bedeutung zu steigern, an Gewicht zuzulegen. Und dementsprechend groß war die Enttäuschung, als bekannt wurde, dass der Unterhachinger Anton Hofreiter in der neuen Bundesregierung kein Amt bekommen würde. Verkehrsminister hätte er doch - auch zum Wohle des Landkreises - werden sollen. Jetzt ist Hofreiter einfacher Abgeordneter - und Vater. Anfang des Jahres ist sein Sohn zur Welt gekommen, und Hofreiter legte erst einmal bis Ostern eine Pause ein. Schwer denkbar als Minister.

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