Süddeutsche Zeitung

Rechtsextreme Gewalt in Deutschland:Meine Nazis, deine Nazis

Lesezeit: 4 min

Wie braun ist Deutschland - und wo stecken die Rechtsextremen? Westdeutsche schieben das Problem gerne nach Ostdeutschland, dort wehrt man sich gegen die Klischees in der Berichterstattung. Dabei hinkt die Debatte den Verhältnissen seit Jahrzehnten hinterher und geht daran vorbei, dass Polizei, Verfassungsschutz und Justiz den Rechtsradikalismus selbst befördert haben.

Jens Bisky

Ost-Berlin in den späten achtziger Jahren, kurz vor dem Mauerfall, mit dem damals keiner rechnete: Wer nicht blond und blauäugig war, wer den tänzelnd tuntigen Gang nicht zu kontrollieren vermochte oder wer an Krücken ging, der passte auf, wo er hinging, der wählte in der Nacht seine Wege mit Bedacht, um nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Es hatte sich herumgesprochen, dass in Fußballstadien blockweise "Sieg Heil" gerufen wurde, dass die "Glatzen" keine Hemmungen hatten, zuzuschlagen.

Am 17. Oktober 1987 stürmten ein paar Skinheads die Ostberliner Zionskirche, in der die Rockgruppe Element of Crime spielte. "Juden raus aus deutschen Kirchen", sollen sie gerufen haben. Sie prügelten blitzartig, wild und verschwanden. Die Volkspolizei reagierte behäbig, abwartend. Der Skandal schlug Wellen, es kam zu einem Prozess gegen die "Rädelsführer". Die Angst aber blieb.

Das Vertrauen, im Staat der Antifaschisten, unter Honecker, den die Nazis zehn Jahre ins Zuchthaus gesteckt hatten, vor rechtsextremer Gewalt geschützt zu sein, war dahin.

Die Verunsicherung ist seitdem nicht verschwunden. Bestimmte Landstriche, kleine Städte in den fünf neuen Ländern, Plattenbauviertel in Ost-Berlin meidet man oder betritt sie mit besonderer Vorsicht. Das mag ungerecht sein, ein Vorurteil, aber das Risiko zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, geht man doch lieber nicht ein. Dass auch in Hamburg oder Duisburg Nazi-Schläger wohnen, ändert wenig an der Angst, dem Unbehagen. Die Bilder der Gejagten und der jagenden Meute in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Guben haben sich eingeprägt.

Die DDR-Rechten wurden beobachtet, ohne entschlossen einzugreifen

Spätestens seit 1987 humpelt und hinkt auch die deutsch-deutsche Debatte über rechtsextreme Gewalt in der DDR, in Ostdeutschland, in der gesamten Bundesrepublik, ohne recht vom Fleck zu kommen. Dabei sind ziemlich dämliche Routinen entstanden. Wie unter Landsleuten üblich, nutzt man jede Gelegenheit beleidigt zu sein, erst einmal übel zu nehmen. Ostdeutsche wehren sich gegen Klischees der Berichterstattung, Westdeutsche geben sich dem Irrglauben hin, das Problem sei erledigt, wenn man es in Ostdeutschland lokalisiert und die Mitschuld der SED-Herrschaft festgestellt hat. "Meine Nazis" - "Deine Nazis" - es ist ein müßiges Spiel.

Am Montag hatte die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu einer Diskussion über "das braune Erbe der Diktatur" eingeladen. Erstaunlicherweise verlief der Abend ganz ohne Kontroverse, aber er ließ zumindest die Leerstellen deutlich erkennen, die sonst von Erregungsroutine verdeckt werden. Die Debatte zerfiel in zwei Teile.

Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein stellte die Ergebnisse der Studie über "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" vor. Danach erzählten drei Ostdeutsche - Annetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur und der Historiker Patrice G. Poutrus - Anekdoten und Geschichten. Wer es noch nicht wusste, konnte hier noch einmal hören, wie fehlende Öffentlichkeit, die Vorliebe fürs Autoritäre und die auf Gleichheit, Konformität und Homogenität zielende Politik der DDR die Entstehung einer rechten Subkultur beförderten.

In der NVA und bei der Polizei wurde mit Nazi-Symbolen und völkischer Gesinnung gern kokettiert, waren rassistische, sexistische, homophobe Sprüche an der Tagesordnung. Das Ministerium für Staatssicherheit hat die DDR-Rechten beobachtet, ohne entschlossen einzugreifen. In den achtziger Jahren waren in Ost-Berlin viele davon überzeugt, die Obrigkeit wolle die rechten Schläger als Waffe gegen die Opposition nutzen.

Insofern kann man Patrice G. Poutrus nur zustimmen, dass 1990 nichts Neues, Überraschendes emporkam. Mit der Revolution wurden die Zustände in der DDR sichtbar. Und doch vermag die Betonung der Kontinuität nicht zu überzeugen. Denn wer den Rechtsextremismus der Gegenwart verstehen will, der muss neben der DDR-Geschichte die frühen neunziger Jahre im Auge behalten.

In Ost wie West, so Bernd Wagner, war in den achtziger Jahren eine starke rechte Subkultur entstanden. Die DDR-Glatzen hatten Geheimhaltung, konspiratives Vorgehen gelernt, die Rechten aus dem Westen wussten, wie man politisch agiert. Beides kam nun zusammen. Wie dies geschah, zeigt der Film "Führer Ex" aus dem Jahr 2002 so plakativ und brutal, wie es gewesen ist.

Zwar wurden die Häuser, die die Nationale Alternative in Berlin-Lichtenberg besetzte durchsucht, aber das Vorgehen gegen die Jung-Nazis war weitaus weniger martialisch und durchgreifend als die Räumung der von Autonomen besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Ost-Berlin, November 1990. Das wurde durchaus als Signal verstanden: die Nationalen dulden, die Autonomen räumen wir. Es hat das Berliner Klima auf Jahre hinaus vergiftet.

Darüber wäre zu reden und über die Atmosphäre, die für Rechtsradikale in den frühen neunziger Jahren insgesamt günstig schien. In einem grandiosen Artikel für die Berliner Zeitung hat Sabine Rennefanz, nur wenig jünger als Uwe Mundlos, vor kurzem an einige entscheidende Momente erinnert: zur elenden Debatte über das Asylrecht kam die Verunsicherung der Gesellschaft Ost, der Verlust eines eindeutigen Weltbildes, das Gefühl fehlenden Sinns nach dem Ende der kommunistischen Verheißung. Schwach waren Autoritäten und Institutionen im Osten, "Führer" und Schläger konnten die Lücke für sich nutzen.

Staat muss das Gewaltmonopol durchsetzt

Man wird die Stärke der Rechten im Osten nicht verstehen, wenn man nicht auch über den Antikommunismus spricht. Er wirkte mobilisierend und integrierend, er konnte nach dem berechtigten Zorn auf die SED, auf die Jahre unter der Diktatur mit Zustimmung rechnen. Bei den letzten Montagsdemonstrationen in Leipzig gehörten die Rufe "Deutschland - einig Vaterland" und "Rote raus!" zusammen. Hier wird es unbequem, weniger einfach.

Gewiss, es gibt sehr viele gute Gründe gegen den Kommunismus, und die Warnung vor einem Rechtsruck ist obendrein immer wieder von Diktaturverklärern instrumentalisiert worden. Dennoch gehört zum vollständigen Bild neben den autoritären DDR-Traditionen eben auch der so lange unterdrückte Antikommunismus. Er speiste sich auch aus offiziell in der DDR verschwiegenen Erinnerungen an Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion, an die Vergewaltigungen durch Rotarmisten. Politische Überzeugungen luden sich auf mit Hass.

Die Untersuchung der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" mit ihren vielfach tautologischen Erklärungen erfasst derlei nicht. Sie registriert immerhin, dass in den neuen Ländern der Antisemitismus zunächst weniger verbreitet war als in den alten. Die Vermutung liegt nahe, dass dessen Rolle im rechten Weltbild der Antikommunismus übernommen hatte. Ronny Busse, der für den Angriff auf das Zionskirchenkonzert in der DDR verurteilt wurde, hat sich von der Gewalt inzwischen distanziert, zu seinem Hass auf die "rote Scheiße" und die Kommunisten steht er weiterhin.

Der entscheidende Unterschied zwischen Ost und West besteht heute darin, dass die Gewaltbereitschaft in den neuen Ländern deutlich höher ist. Diskussionen, zähe Aufklärungsarbeit, das Ermutigen der Zivilgesellschaft, der bürgerlichen Mitte, die sagen muss, was sie nicht will, mögen dagegen helfen. Vor allem aber wäre vom Staat zu fordern, dass er das Gewaltmonopol durchsetzt. Eben weil in den neunziger Jahren vielfach der Eindruck entstand, so ernst sei es damit nicht, bleibt die Angst. Das Versagen von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz hat die rechte Gewalt ebenso befördert wie "das braune Erbe der Diktatur".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1272038
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.02.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.