Süddeutsche Zeitung

Operninterim:Historischer Zwischenstopp

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Weil das Stammhaus saniert werden muss, zieht das Nürnberger Staatstheater um. Der Zielort klingt wenig verlockend - ist beim Ensemble aber hochwillkommen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

In vier Jahren werden mehr als 600 Mitarbeiter der Nürnberger Oper in eine hufeisenförmige Immobilie ziehen, deren Grundstein 1935 Adolf Hitler gelegt hat. Ihre neue Heimat, der NS-Kongresshallentorso auf dem einstigen Reichsparteitagsgelände, ist 39 Meter hoch, halbroh, furchteinflößend, historisch verseucht. Kein verlockender Ort, könnte man meinen. Wer aber Nürnberger Opernsänger beobachtet, wie sie kurz vor der Stadtrats-Entscheidung bunte Luftballons schwenken und aus "Carmen" vorsingen, der bekommt einen Eindruck davon, dass dieser Umzug hochwillkommen zu sein scheint. Fünf Stunden später - die Stadt hat einen interimistischen Opernbau fürs wohl bekannteste Nazi-Areal der Republik beschlossen - klingt Staatsintendant Jens-Daniel Herzog enthusiastisch. Tausend Mitarbeiter, Freiberufler eingerechnet, "haben um ihre Zukunft gebangt", sagt er. Nun wisse man, wie (und dass) es weitergeht.

Neben ihm strahlt Rathauschef Marcus König (CSU) in Kameras, eine "historische Entscheidung" preisend. Tatsächlich standen die Dinge nicht gut in Nürnberg. Das Opernhaus im Stadtzentrum, 1905 eröffnet, gleicht hinter der Bühne in Teilen einem Theatermuseum. 2025 wird es dichtgemacht, des fehlenden Brandschutzes wegen. Es eilte also, das Opern- und Tanzensemble des größten Mehrspartenhauses in Bayern drohte heimatlos zu werden. Ein Interimsbau aber auf früherem NS-Boden? Wäre in Nürnberg, wo sie sich etwas auf "Erinnerungskultur" einbilden, noch im 20. Jahrhundert kaum denkbar gewesen. Ein bisschen hört man das auch noch in der Stadtratsdebatte. An dem Nazi-Bau gäb's doch dann bestimmt auch "Veranstaltungen lustiger Natur", schwant es einem FDP-Mann. Stelle er sich makaber vor. Trotzdem stimmt er dafür, wie fast alle.

Von 130 Millionen Euro fürs Provisorium ist die Rede, das sanierte Stammhaus soll 400 Millionen kosten

Die Probleme freilich begännen nun erst, warnt ein Linken-Stadtrat. Von 130 Millionen Euro fürs Opernprovisorium ist die Rede, das generalsanierte Stammhaus soll 400 Millionen Euro kosten - groben Schätzungen zufolge. Eine halbe Milliarde? Für das notorisch klamme Nürnberg, die historische Arbeiterstadt Bayerns, wäre das unerschwinglich. Also muss der Freistaat helfen. Der betreibt das Haus zwar zur Hälfte, für die Bausubstanz aber wäre grundsätzlich die Stadt zuständig. "Der MP wird schon helfen", sagt einer, der mit der Sache vertraut ist. Gemeint ist Markus Söder, der Nürnberger.

Ob die Opernhalle in den bisher bewusst öde gehaltenen Innenhof der denkmalgeschützten NS-Immobilie gebaut wird oder davor, wirkt - angesichts solcher Kosten - marginal, ist in Nürnberg aber hochumstritten. Festlegen will sich der Stadtrat deshalb nicht, Beschluss vertagt. Kann gut sein, dass Nürnbergs Opernsänger noch häufiger Motivations-Ständchen für den Rat ihrer Stadt vortragen müssen.

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