Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht
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Juliette Binoche als "Geliebte Köchin", das gefeierte Familiendrama "All of Us Strangers" und ein mordender Swimmingpool in "Night Swim": Die Starts der Woche in Kürze.
Von Philipp Bovermann, Fritz Göttler, Tobias Kniebe, Doris Kuhn, Christina Lopinski, Annett Scheffel, Anna Steinbauer und David Steinitz
Tobias Kniebe: Menschen, die man viel zu früh verloren hat - was, wenn man über alles Schmerzhafte und Ungesagte noch einmal mit ihnen reden könnte? Der Endvierziger Adam (Andrew Scott), der mit zwölf zur Waise wurde, geht an seinem Geburtshaus vorbei und trifft dort auf einmal seine Eltern, so jung wie in der Nacht ihres Todes. Er erzählt ihnen, dass er schwul geworden ist, sie haben viele Fragen, es fließen Tränen. Und sie mögen Harry (Paul Mescal), den Nachbarn, in den er sich gerade verliebt. Egal, wie man den Film liest - als Geisterstunde oder Erinnerungsdrama - unter Andrew Haighs brillanter Führung lässt dieses Meisterwerk keinen kalt.
Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums
Doris Kuhn: Ein 15-jähriger Einzelgänger erzählt vom Sommer 1987 in El Paso, in dem er seinen besten Freund findet. Aitch Alberto filmt das so poetisch wie eigenwillig, er beginnt im öffentlichen Freibad und wandert vom Wasser in die Wüste. Die Jungs lachen erst über ihre Namen, dann über die umwerfende Erkenntnis, dass es jetzt jemanden gibt, mit dem sie vertraut sein können. Das Glück darüber ist hell und mitreißend, bis das Drama auf die Probleme schwuler Jugendlicher in Texas umschwenkt.
Arkie und die Stadt des Lichts
Christina Lopinski: Arkie, ein Teenager-Oktopus, lebt mit ihrem Papa-Oktopus Blister auf einer Halbinsel, auf der alles bunt ist und glänzt. Ihr Leben könnte sehr schön sein, wären da nicht Chihoohoo und Dr. Maybee, bösartig aussehende Mischwesen, die es auf Blister und Arkie abgesehen haben. Nach wilden Verfolgungsjagden und an Tentakeln herbeigezogenen Überraschungen endet der Film dort, wo er begonnen hat - auf der verwunschenen Halbinsel. Dass ein Hase und ein Ei die Oktopusse retten, unterstreicht die Skurrilität des Films ((Regie: Ricard Cussó) perfekt. Leider ist die Handlung trotz schöner Heldenreise absehbar, und zwischendurch fühlt man sich auf parodistische Weise an "Harry Potter" und "Star Wars" erinnert. Schöne Momente gibt es vereinzelt auch, zum Beispiel, als der Hase das Ei fragt, ob seine Schale den Stress gerade aushalten kann. Manch ein Zuschauender wird sich in anderthalb Stunden Schwachsinn diese Frage aber auch stellen.
Annett Scheffel: Die Verfilmung der Broadway-Fassung von Alice Walkers berühmtem Südstaatenroman verweist auf Steven Spielbergs Filmversion aus dem Jahr 1985, steht aber für sich. Immer noch tränenreich, aber mit eher heiterem als düsterem Unterton folgt der Film der traumatischen Lebensgeschichte der schwarzen Celie. Regisseur Blitz Bazawule, der mit Beyoncé an "Black is King" gearbeitet hat, haucht dem Stoff die Energie von Soul und Gospel ein. Die Härte der Geschichte wird zwar von den Musiksequenzen noch mehr aufgeweicht als schon bei Spielberg. Dafür lebt der Film von der kraftvollen Performance der Hauptdarstellerinnen und der stärkeren Ausrichtung auf weibliche Solidarität.
Dreamers
Anna Steinbauer: Wenn sich der amerikanische Traum in einen Albtraum verwandelt. Carlos ist ein Dreamer, einer von zweieinhalb Millionen Menschen in den USA, die als Minderjährige mit ihren Eltern illegal eingewandert sind und keine gültigen Ausweispapiere besitzen. Carlos kam als Neunjähriger aus Mexiko und lebt nun seit fast 30 Jahren ohne legalen Status in Chicago. Die ständige Angst vor der Einwanderungspolizei ist sein täglicher Begleiter, seinen abgeschobenen Bruder hat er seit 15 Jahren nicht gesehen. Der Dokumentarfilm von Stéphanie Barbey und Luc Peter, die Carlos und seine Familie zwei Jahre gefilmt haben, entwickelt sich zur berührenden Einwanderungstragödie. Die bemerkenswerten Schwarz-Weiß-Bilder von Kameramann Nikolai von Graevenitz unterstreichen die Widersprüche, die das Schattendasein am Rande des US-Rechtssystems mit sich bringt.
Geliebte Köchin
Fritz Göttler: Eine Liebe, die vor allem in der Küche zelebriert wird, an Schnippelbrettern und brodelnden Töpfen und Pfannen (und hin und wieder auch in der Schlafkammer). Eugénie ist die Köchin im Landhaus des Monsieur Dodin Bouffant, unentwegt beschäftigt, weil er gern seine Freunde zu Tisch bittet und exquisite Menüs für sie komponiert - "La passion du Dodin Bouffant" ist der Originaltitel. Juliet Binoche ist die auch im größten Herddunst coole Köchin und Benoît Magimel der verliebte Mann, der seine Liebe gern in eine Ehe münden lassen würde. Der in Vietnam geborene Tran Anh Hùng filmt die Metamorphosen von Fleisch, Gemüse und Gewürz mit sinnlichem Suspense und wurde dafür beim Festival in Cannes für die beste Regie ausgezeichnet.
My Sailor, My Love
Doris Kuhn: Ein verstockter, alleinlebender Ire möchte sich nicht von seiner Tochter ins Altersheim stecken lassen. Also beginnt er eine Beziehung mit seiner Zugehfrau, was beide unerwartet glücklich macht. Klaus Härö erzählt über die Hälfte des Films eine berührende Liebesgeschichte zwischen Senioren, bis klar wird, dass die Tochter damit nicht umgehen kann. Dann wechselt er zu der lang gärenden Wut, die es manchmal zwischen Eltern und Kindern gibt, mit der er so konsequent experimentiert, dass es einen das Fürchten lehrt.
David Steinitz: Ein Swimmingpool als Monster? Das ist in der Tat mal etwas Neues aus der Abteilung Horror. Eine Familie zieht in ein Vorstadthaus in den kühleren Regionen des Mittleren Westens. Im Garten steht ein Schwimmbecken, das von den neuen Bewohnern ein Todesopfer fordert. Das Problem: Pools sind eher mäßig unheimlich, selbst wenn, wie hier, das Wasser recht trübe ist. Weshalb der Film von Bryce McGuire leider nicht über Spuk auf Seepferdchenniveau hinauskommt.
Reality
Philipp Bovermann: Die Aufnahme beginnt direkt, nachdem die FBI-Agenten an die Autoscheibe der jungen Frau klopfen. Sie arbeitet für den US-Nachrichtendienst und denkt gewiss nicht daran, dass jedes ihrer Worte später in einem Kinofilm landen würde. Reality Winner, so heißt sie, hat vertrauliche Dokumente an eine Nachrichtenwebsite weitergegeben. Warum? Der Film, den Tina Satter aus dem Transkript des Verhörs macht, ist ein zunächst spannendes Experiment, weil ein echtes Verhör eben nicht so abläuft, wie Drehbuchschreiber sich das vorstellen. Zunehmend wird aber genau das zum Problem - die Spannung fehlt. Weshalb ein paar alberne inszenatorische Kniffe nachhelfen müssen.