Süddeutsche Zeitung

Kunst:Ton, Steine, Lebensgeister

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Donatello, einer der Erfinder der Renaissance, versöhnte das Politische mit dem Privaten. Eine große Ausstellung in Florenz feiert den Bildhauer - zu Recht.

Von Kia Vahland

Die Skulptur ist die vielleicht öffentlichste Kunst, jedenfalls im alten Europa und in den Ländern, die es prägte: Was auf den Marktplätzen und in den Schlossgärten steht, welche Figuren an den Kirchenfassaden prangen, das erzählt einiges über das Selbstverständnis eines Gemeinwesens. Immer noch entfachen sich an alten Skulpturen Konflikte politischer Tragweite: In den USA müssen Denkmäler rassistischer Südstaaten-Generäle weichen, in Hamburg wird über einen monumentalen Bismarck gestritten, in der Ukraine schützt man Statuen von Nationalhelden mit Sandsäcken vor Bomben und demontiert andere aus der Sowjetunion.

Florenz rang früh und leidenschaftlich um sein Selbstverständnis und damit auch um dessen bestmögliche skulpturale Repräsentation. Dort ist jetzt eine Blockbuster-Ausstellung zu dem Florentiner Bildhauer Donatello (1386-1466) zu sehen, im Skulpturenmuseum Bargello und im Palazzo Strozzi. Sie soll in abgewandelter Form im Herbst nach Berlin und im kommenden Jahr nach London wandern. Zu erleben ist ein Œuvre, in dem sich das Politische und Persönliche immer wieder durchdringen, und das auch deshalb die Renaissance mitinitiieren und Künstler wie Michelangelo prägen konnte.

Was schon den jungen Donatello umtrieb, war die Frage, wie sich in Materialien wie Ton, Marmor, Bronze dem Leben nahekommen ließe. In seinen frühen Zwanzigern schnitzte er einen Jesus, der so gar nicht stilisiert wirkt, sondern eher, als habe der Künstler tatsächlich das schmerzverzerrte Gesicht eines kräftigen Mannes vor Augen gehabt. Das provozierte seinen Freund, den Architekten und Künstler Filippo Brunelleschi, zu Spott: Donatello habe einen Bauern ans Kreuz gehängt. Um ihn zu übertreffen, schuf er eine feingliedrige Jesusfigur, die nach dem Vorbild antiker Statuen nackt war und einen Lendenschurz aus Stoff bekam. Die beiden sakralen Werke lassen sich in der Schau vergleichen. Sie demonstrieren, dass Renaissancemeister in der Regel keine einsamen Genies waren, sondern sich gegenseitig anstachelten.

Auch hartem Marmor will dieser Bildhauer Zartheit und Leben abgewinnen

Donatello zollte Brunelleschis Jesus Respekt - und ging weiter seinen Weg. Von einer gemeinsamen Romreise mit dem Freund hatte er wohl den Vorsatz mitgenommen, in den Regungen des Körpers der Seele nahezukommen. Junge Kinder wurden zu einem seiner bevorzugten Sujets, vielleicht, weil sie ihre Bewegungen noch nicht kontrollieren, wie das Erwachsene tun.

So schwingen Putti aus Bronze beim Tanzen und Musizieren ihren Babyspeck. Zeitgenossen nannten sie spiritelli, Geister oder Beseelte - der Kunsthistoriker Ulrich Pfisterer konnte in seiner Studie "Donatello und die Entdeckung der Stile" (Hirmer Verlag) zeigen, wie Donatello hier mit den Lebensgeistern der Kunst spielt und sein Stilempfinden daran schärft.

Auch hartem Marmor will dieser Bildhauer Zartheit abgewinnen. Der Jesusknabe eines um 1422 geschlagenen Reliefs, "Pazzi Madonna" genannt, krallt sich in das Halstuch Marias, lächelt sie mit seinen Milchzähnen an, reibt seine Nase an ihrem leicht melancholischen Gesicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehört dem Sohn, sie stützt ihn, erwidert die Nähe.

Ein solches Miteinander von Mutter und Kind ist in der Toskana zu dieser Zeit nicht selbstverständlich. Üblicherweise geben Eltern, die es sich leisten können, ihre Neugeborenen zu Ammen, oft weit weg auf dem Land. Diese wiederum lassen ihre eigenen Kinder von noch ärmeren Frauen stillen. Nicht immer geht das gut, manche Kinder sterben, viele entfremden sich von ihren Familien. Die Sehnsucht nach einem innigen Mutter-Kind-Verhältnis wandert derweil in die Kunst ab. Donatello zelebriert sie wie kein anderer Bildhauer.

Dabei ist Donatello kein expliziter Kritiker seiner Zeit, wohl aber ihr beständiger und genauer Beobachter. Die biblische Szene, wie dem Herodes der abgeschlagene Kopf von Johannes dem Täufer präsentiert wird, verlegt er in seinem vergoldeten Bronzerelief in eine verwinkelte Architektur voller neugieriger, entsetzter oder auch anderweitig beschäftigter Menschen. Nicht eine einzelne Person, die tanzende Salome, erscheint verantwortlich für das Verbrechen, sondern die ganze feierwütige Gesellschaft, die sich in diesem Palast eingefunden hat.

Die Florentiner identifizieren ihre Stadt mit David - und Donatello erfindet ihn neu

Anders sieht Donatello die Sache, wenn nicht der Geköpfte, sondern der Köpfende Sympathieträger ist. Die Geschichte von David und Goliath fasziniert die Florentiner seit Langem, sie identifizieren ihre Stadt mit dem jungen Mann, der entgegen aller Wahrscheinlichkeit den übermächtigen Feind zur Strecke bringt. Im Auftrag der herrschenden Medici-Familie erfindet Donatello David neu, als ersten stehenden Bronzeakt seit der Antike. Sein abgewinkeltes Handgelenk stützt der Jüngling in seine schmale Taille, zu seinen Füßen liegt Goliaths abgeschlagener Kopf. Von vorn gesehen hat das in aller blendenden Schönheit etwas Staatstragendes: Jung und dynamisch will Florenz unter den Medici sein, siegreich sowieso.

Wer allerdings im Museo Bargello die Statue umrundet und sie von hinten betrachtet, erkennt, was Donatellos dunkel glänzender David auch sein will: ein Verführer. Sein welliges Haar fällt über seinen Nacken, sein Hüftschwung hat etwas Androgynes. Und Goliath? Der erscheint in dieser Ansicht nicht nur als Krieger, sondern auch als Mann besiegt. Die sehr lange Feder seines Helms schmiegt sich an Davids nackte Schenkel, als habe der Ältere den Jüngeren nicht nur bekämpft, sondern auch begehrt - was im Florenz dieser Zeit zwar verboten, aber auch sehr verbreitet ist. Wieder wird das Privateste bei Donatello politisch, das Politische persönlich.

Florenz als Staatswesen möchte in der Frührenaissance nicht nur unabhängig bleiben, es möchte auch in Eleganz, Schönheit, Schlag- und Kunstfertigkeit alle anderen Städte übertreffen. In Donatello hat die Stadt ihren Meister gefunden. Seine menschenzugewandte Kunst war selten so gebündelt zu erleben wie in dieser von Francesco Caglioti sorgsam zusammengestellten Ausstellung.

"Donatello. The Renaissance", bis 31. Juli, Palazzo Strozzi und Museo Nazionale del Bargello in Florenz. Katalog (Marsilio Arte): 68 Euro. Zusätzlich gibt es einen Donatello-Rundgang in der Toskana. Abgewandelt wandert die Ausstellung nach Berlin in die Staatlichen Museen (2. September bis 8. Januar) und anschließend in das Victoria and Albert Museum London.

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