Süddeutsche Zeitung

Kleiner Parteitag:Grüne entdecken das Handwerk

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Die Grünen präsentierten sich kürzlich als natürlicher Partner der Industrie, jetzt umgarnt ein Parteitag auch das Handwerk. Es geht um "Anpacken" bei der Energiewende - aber auch um ein breiteres Profil für die Landtagswahl.

Von Johann Osel, München

Flotte Musik, schnelle Schnitte, glückliche Menschen - da wird gehobelt und es fallen Späne, ein Mann in Latzhose streichelt ein Huhn, eine junge Frau tanzt durch die Werkstatt, als diente ihr dicker Kopfhörer gar nicht dem Lärmschutz. Einen Imagefilm zum Handwerk sendet die Regie in der grünen Parteizentrale zu den Delegierten daheim, es ist der Auftakt zum digitalen kleinen Parteitag am Wochenende. Schwerpunkt eben: das Handwerk. So fröhlich wie in dem Einspieler geht es in den Betrieben im Land aber doch nicht zu, das legt zumindest der Leitantrag nahe. Ein ganzes Bündel an Maßnahmen und vor allem mehr Investitionen fordern die Grünen, um dem Handwerk zu helfen. Und indirekt auch sich selbst: Der Parteitag reiht sich ein in jüngste Schwerpunkte, mit denen die Grünen offenkundig ihr Profil verbreitern und etwaige Vorurteile in der Wählerschaft überwinden wollen - mit Blick auf die Landtagswahl 2023.

Die Grünen wollen den Handwerkerinnen und Handwerken "den Platz geben, den sie verdienen: Sie stellen sie ins Zentrum ihrer Politik", sagt die Landesvorsitzende Eva Lettenbauer. Das gelte gerade auch bei den großen Aufgaben der Zeit. Die Handwerker seien es schließlich, die Photovoltaikanlagen auf Dächer schrauben, Häuser dämmen und das Stromnetz für Elektromobilität ausrüsten. Lettenbauer verspricht: "Ihr packt an für uns und die Energiewende, wir packen an für euch."

Für ein faires Gehalt

Um das Interesse an der Ausbildung im Handwerk zu steigern, soll es in jeder Schulart zwei Praktika in einem Lehrberuf geben, "dafür muss Zeit sein", findet Lettenbauer. Mehr Attraktivität soll auch durch "faires Gehalt" für Azubis aller Branchen und flexible Modelle entstehen; zudem durch Mentoring für Frauen, auch sie "können alle Handwerksberufe", ob Mechatronik oder Baustelle. Ein erweitertes Einwanderungsrecht und ein Ende der "rigorosen Abschiebepraxis der Staatsregierung" zählen ebenso zum Forderungskatalog. Oder eine Gründungsprämie für das Handwerk, 10 000 Euro: "Ich will, dass jedes gute Konzept für einen Betrieb in die Tat umgesetzt werden kann."

Als Gastredner spricht Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer München und Oberbayern. Mehr als die Hälfte aller Betriebe könnten Stellen nicht besetzen; der demografische Wandel verstärke das, jeder dritte Arbeitnehmer sei 50 Jahre und älter, berichtet er. Viele Betriebe sähen sich durch den Fachkräftemangel "massiv in der Entwicklungsmöglichkeit beeinträchtigt". Dass der Parteitag dem Thema diesen prominenten Platz einräumt, freue ihn - wenngleich er nicht mit allen grünen Positionen ganz einverstanden sei. "Nicht jede Veränderung ist von heute auf morgen möglich", so bei der Umstellung auf Elektromobilität, wo man an die Investitionszyklen denken müsse. Den Leitantrag Handwerk nehmen die Delegierten mit großer Mehrheit an; ebenso einen Antrag zum Ukraine-Kurs der Bundespartei, inklusive Lieferung schwerer Waffen.

Erst kürzlich hatte sich die grüne Landtagsfraktion bei ihrer Klausur in Bayreuth als natürlicher Partner der Industrie dargestellt. Für Klimaneutralität, regionale Wertschöpfung und Infrastruktur müssten jetzt die "Weichen gestellt werden", hatte Fraktionschefin Katharina Schulze gesagt, das Thema gehöre "sicher nicht der CSU". Bei der politischen Konkurrenz ist man dagegen traditionell bemüht, die Grünen als industriefeindlich zu schelten. Ähnliches beim Handwerk: Im Bundestagswahlkampf, als das Lastenrad zum grünen Wahlkampfschlager wurde, grassierte der Spott über "Ideen aus dem Elfenbeinturm" und über Dachdecker mit drei Paletten Ziegeln auf dem Lastenrad.

Null Handwerker im Bundestag

Um dieses Imageproblem weiß man auch in der Partei. Andreas Birzele, Schreiner und Kreisrat in Fürstenfeldbruck, sagt beim Parteitag: Die Grünen hätten "null Handwerker im Bundestag". Da müsse man sich nicht wundern, dass "uns in der Bevölkerung fälschlicherweise keine Kompetenz zugesprochen wird". Der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek lobt, dass Themen wie Handwerk nach vorne gestellt werden. "Das ist der Weg, dass wir erfolgreich sein werden bei der Landtagswahl", so werde man stärkste Partei und könne die CSU ablösen. In Umfragen liegen die Grünen aktuell bei 18 Prozent. Weitere Redner setzten auf Attacken gegen die Christsozialen. Co-Parteichef Thomas von Sarnowski nannte den Kompromiss der CSU-Fraktion zur 10-H-Regel bei Windrädern ein "trostloses Herumdoktern". Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte in einer Grußbotschaft dazu: "Eine schwierige Debatte zu verweigern, ist kein Beitrag zur Lösung."

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