Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik in Bayern:"Ein Klick, ein Ticket"

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Verkehrsminister Bernreiter will den ÖPNV stärken und bis 2030 die Fahrgastzahlen gegenüber 2019 verdoppeln - mit besserer Infrastruktur, neuen Fahrzeugen und bayernweit einheitlichem Tarifsystem. Unklar ist allerdings noch, wer das bezahlen soll.

Von Andreas Glas

Der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) will den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Freistaat massiv stärken. Entsprechende Pläne, die sein Ministerium mit Kommunalpolitikern, Verkehrsbetrieben und Fahrgastverbänden entwickelt hat, präsentierte Bernreiter am Donnerstag in München. Das Ziel ist demnach, bis zum Jahr 2030 die Fahrgastzahlen in Bussen und Bahnen gegenüber 2019 zu verdoppeln. Hierfür wolle man den ÖPNV "klimaschonend, digital und vernetzt" aufstellen. Unter anderem plant Bernreiter ein bayernweit einheitliches Tarifsystem, das über eine neue App den Ticketkauf erleichtern soll. Er sprach vom Prinzip "Ein Klick, ein Ticket".

Um die Verdoppelung der Fahrgastzahlen zu erreichen, muss es laut Ministerium gelingen, etwa 12,5 Prozent der rund 129 Milliarden Kilometer, die in Bayern jährlich auf den Straßen zurückgelegt werden, auf Busse und Bahnen zu übertragen. Zu diesem Zweck soll die Zahl der Busse im Freistaat deutlich steigen, von derzeit rund 13 000 auf 20 000 Fahrzeuge. Um darüber hinaus das Ziel zu erreichen, die bayerischen Busflotten bis spätestens 2040 auf emissionsfreie Antriebe umzustellen, will der Freistaat mit Unterstützung des Bundes insgesamt 400 klimaneutrale Busse pro Jahr fördern. Was Regionalzüge, S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn angeht, enthält Bernreiters Strategiepapier dagegen kaum konkrete Ziele. Darin heißt es, recht vage: "Die Angebote im Schienenverkehr sind weiter auszubauen." Der Hintergrund: Maßgeblich ist hier der Verkehrswegeplan des Bundes, der nicht an der Entwicklung der bayerischen ÖPNV-Strategie beteiligt war.

Bernreiter betonte, dass die neue bayerische ÖPNV-Strategie "eine Chance" sei, aber auch "ein ambitioniertes Ziel". Wegen der drastisch gestiegenen Energie- und Treibstoffpreise und weil unklar sei, was in der Krise "noch alles auf uns zukommt". Er werde sich deshalb "hüten", die Gesamtkosten für die 80 Einzelmaßnahmen seiner ÖPNV-Pläne zu beziffern. Da niemand wisse, "wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt, wie die Steuereinnahmen sind", sei es vermessen, "jetzt zu sagen, wie es 2030 ausschaut, da würde man sich verheben", sagte Bernreiter. Entscheidend sei, dass Bund, Freistaat und Kommunen "mehr Geld in die Hand nehmen". In Bayern sei man dazu bereit, doch brauche es dringend mehr Regionalisierungsmittel des Bundes.

Zu den Infrastrukturmaßnahmen, die der Freistaat laut "ÖPNV-Strategie 2030" selbst voranbringen möchte, gehört die Barrierefreiheit. Hierzu muss man wissen: Vor wenigen Wochen erst hatte Bernreiter das ursprüngliche Ziel der Staatsregierung, Bayern bis 2023 komplett barrierefrei zu machen, für unrealistisch erklärt. "Da müssen wir ehrlich sein, das bekommen wir nicht hin", sagte er im November. An diesem Donnerstag nun hat der Verkehrsminister eine neue, bescheidenere Zielmarke gesetzt. Demnach sollen bis 2040 mindestens 75 Prozent aller Haltestellen barrierefrei sein. Passenderweise wählte Sandra Schönherr, Betriebsleiterin des Stadtwerks Regensburg, bei der Präsentation der ÖPNV-Strategie nicht den Zielbegriff "barrierefrei", sondern "barrierearm".

Schönherr ist Mitglied des 23-köpfigen Zukunftsteams ÖPNV, das an den Plänen mitgewirkt hat. Auch sie betonte am Donnerstag die offenen Fragen zu den Kosten. "Es fehlen Finanzierungsmodelle", sagte sie - und nannte die ÖPNV-Strategie entsprechend zurückhaltend eine "ganzheitliche Themensammlung". Im selben Tonfall kommentierte der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU) die Pläne. Er war ebenfalls daran beteiligt und fordert "eine erhebliche Steigerung der eingesetzten Bundes- und Landesmittel", um die Ziele am Ende auch erreichen zu können. Er sehe "Bereitschaft aufseiten des Bundes". Auch mit der Staatsregierung habe man "in den letzten Jahren ein gemeinsames Verständnis geschaffen".

"Keinen Plan und kein Konzept" sieht Markus Büchler in den Plänen des Verkehrsministers

Wie sich Bernreiter ein möglichst einheitliches Tarifsystem samt einfachem Ticketkauf vorstellt, beschreibt er so: "Sie wischen an Ihrem Handy einmal nach rechts, steigen in den Bus ein und das System erkennt sogar automatisch, wo sie wieder aussteigen und rechnet dann ab", sagt der Minister, immer zum günstigsten Preis. Wer oft fahre, zahle einen niedrigeren Kilometerpreis als jemand, der selten fahre. Grundsätzlich aber sei es wichtig, den ÖPNV auch für "Gelegenheitsfahrer" attraktiver zu machen, die laut Bernreiter die Hälfte aller Fahrgäste ausmachen.

Es gehe nicht darum, die Fahrgastzahlen dort zu verdoppeln, wo Busse und Bahnen ohnehin hoch frequentiert sind, etwa in München. Die ÖPNV-Strategie sei insbesondere eine Maßnahme für den ländlichen Raum, sagte Bernreiter, der sich bayernweit flächendeckende Verkehrsverbünde wünscht, um die Tarifstrukturen möglichst zu vereinheitlichen. Auch hier dämpft er allerdings die Erwartungen. Es sei schon auf Landkreisebene schwierig, "alle unter einen Hut zu bekommen, wenn Sie 30 Busunternehmer haben", so Bernreiter, der bis Februar 2022 selbst noch Landrat war, in Deggendorf.

"Keinen Plan und kein Konzept", sieht derweil Markus Büchler in den ÖPNV-Plänen des Verkehrsministers. Während der Etat für den Straßenbau im Haushaltsentwurf deutlich erhöht worden sei, seien für den ÖPNV-Ausbau "keine nennenswerten Steigerungen erkennbar", kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion. Für Büchler ist das "Verkehrspolitik der 1970er". Auch der FDP ist Bernreiters Strategie "nicht digital und innovativ genug". So formulierte es Sebastian Körber, verkehrspolitischer Sprecher der Liberalen. Er forderte "eine bessere Verflechtung zwischen dem motorisierten Individualverkehr und dem ÖPNV, um mehr Personen zu einem Umstieg zu bewegen". Darüber hinaus kritisierte Körber das "Gejammer, mehr Geld aus Berlin zu fordern" und verlangte von der Staatsregierung, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen.

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