Süddeutsche Zeitung

Diesel und Abgase:Was Diesel-Fahrer wissen müssen

Lesezeit: 6 min

Fahrverbote drohen, der Ruf des Diesels leidet. Doch sind die Motoren wirklich so dreckig? Sind Benziner eine sauberere Alternative? Antworten auf diese und weitere Fragen.

Von Thomas Harloff

Frühling, endlich! Das dürfte vor allem die Stuttgarter freuen. Denn damit geht die Zeit der Feinstaubalarme zu Ende. Mehrere Wochen lang sollten die Bürger vorrangig öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad nutzen. Doch zu wenige Pendler aus der Stadt und dem Umland ließen das Auto tatsächlich stehen. Freiwilligkeit funktioniert also nur begrenzt, deshalb zeigt sich kaum ein positiver Effekt. Weder hinsichtlich Feinstaub noch bei den giftigen Stickoxiden, deren Haupterzeuger in Ballungsgebieten der Straßenverkehr ist.

Stuttgart lässt deshalb die nächste Eskalationsstufe folgen: zeitweise Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge. Wahrscheinlich folgen bald andere Städte: München wurde kürzlich juristisch verpflichtet, sauberere Luft sicherzustellen und ein solches Verbot vorzubereiten. Ähnlich ist die Lage in Düsseldorf. Doch in Wahrheit hat ganz Deutschland ein Stickoxid-Problem. Laut Umweltbundesamt überschreiten im Schnitt 57 Prozent der verkehrsnahen Messstationen den Jahresgrenzwert. Interessengruppen wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der BUND verklagen deshalb Städte im gesamten Land. Der BUND will sogar einen Verkaufsstopp für Diesel-Autos mit zu hohem Stickoxid-Ausstoß erzwingen.

Vom kommenden Jahr an gelten in der Stuttgarter Innenstadt, die wegen ihrer Talkessellage besonders anfällig ist für eine hohe Feinstaubkonzentration, Fahrverbote für bestimmte Dieselautos. Allerdings nur an Tagen, an denen Feinstaubalarm herrscht. Rechtliche Grundlage dafür ist ein Gerichtsurteil von 2016, ähnlich wie inzwischen in Düsseldorf und München. Eine solche rechtliche Basis - beispielsweise für eine blaue Plakette, die alte Diesel nicht erhalten, was sie für bestimmte Innenstadtbereiche disqualifizieren würde - fehlt auf Bundesebene aber noch. Diese könnte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Herbst schaffen. Allerdings ist der Ausgang des dort laufenden Verfahrens ungewiss. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich mehrfach gegen eine solche Plakette ausgesprochen.

Welche Autos wären betroffen?

Die Stuttgarter Regelung betrifft alle Dieselautos, die nicht die aktuell gültige Euro-6b-Abgasnorm erfüllen. Die wurde im September 2015 für alle Neuwagen eingeführt, seitdem muss jedes in der EU verkaufte Auto deren Grenzwerte einhalten. Das heißt aber auch: Theoretisch kann ein im August 2015 zugelassenes Modell noch einen Euro-5-Diesel haben - in diesem Fall dürfte ein nicht einmal drei Jahre altes Auto ab 2018 an Feinstaubalarm-Tagen nicht mehr in die Stuttgarter Innenstadt fahren.

Kann ich einen modernen Diesel kaufen und damit in die Innenstädte fahren?

Nach jetzigem Stand: ja. Mit einem Euro-6b-Diesel dürfte man noch eine Weile auf der sicheren Seite sein. Solange die erwähnten juristischen Probleme nicht geklärt sind, gilt sowieso bis auf Weiteres die aktuelle Plaketten-Regelung: Mit dem grünen Aufkleber kommt man in jede City - außer eben Stuttgart.

Dennoch ist es fraglich, wie lange Fahrer moderner Diesel Ruhe haben werden. Die klagefreudigen Umweltverbände dürften solange die Gerichte bemühen, bis jede deutsche Stadt die EU-Grenzwerte einhält. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch hat schon verlauten lassen, dass er kämpfen werde, bis gar keine Dieselfahrzeuge mehr in die Innenstädte fahren dürfen. Er begründet das damit, dass auch moderne Autos die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand erreichen, nicht aber auf der Straße - und das bald sogar geschützt vom Gesetz.

Wenn von 2019 an die " Real driving emissions", also die wirklichen Emissionen während der Fahrt, erhoben werden, dürfen diese das 2,1-fache der Prüfstands-Grenzwerte betragen. Offiziell, um Messtoleranzen zu berücksichtigen. In Bezug auf Stickoxide heißt das: Ein Auto darf im Labor nur 80 Mikrogramm pro Kilometer emittieren, auf der Straße aber 168 - und zwar ganz legal. 2021 darf es immer noch das 1,5-fache sein. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Fahrverbote in der geplanten Form nicht viel bringen. Sollte sich das bewahrheiten, dürften sich viele Kommunen die Frage stellen, ob sie sogar alle Diesel aussperren.

Sind gebrauchte Dieselautos dann plötzlich nichts mehr wert?

Die Gefahr eines überproportional hohen Wertverlustes droht tatsächlich. Und zwar schon für relativ junge Autos, die nur nach Euro 5 eingestuft sind. Auch deshalb, weil eine technische Umrüstung auf Euro 6b kaum möglich ist. Allerdings darf man eines nicht verkennen: Im Gespräch sind lediglich Fahrverbote für einige Innenstädte in Ballungsräumen. Wer auf dem Land lebt, selten in die Ballungszentren fährt und für den sich aufgrund einer hohen Fahrleistung der Diesel rechnet, muss sich jetzt nicht panisch ein Auto mit einer anderen Motorvariante kaufen.

Gibt es eine technische Möglichkeit, Dieselmotoren sauber zu bekommen?

Ja, und sie kommt in immer mehr Modellen zum Einsatz: Es handelt sich um den SCR-Katalysator. Er spritzt ein Mittel namens "Adblue", eine Mischung aus Harnstoff und Wasser, in die Abgase. Dadurch kommt es zu einer chemischen Reaktion, durch die Stickoxide wirkungsvoll eliminiert werden. Doch auch dieses Verfahren ist problembehaftet. Es arbeitet zum Beispiel nur dann perfekt, wenn die Temperatur im System bei etwa 200 Grad liegt. Das gelingt einfacher, wenn die Abgasnachbehandlung nah am Motor erfolgt - was erschwert wird, weil die Motorräume moderner Autos auch so schon vollgestopft mit Technik sind. Außerdem reicht es für eine effektive Abgasnachbehandlung nicht, Adblue nur bei der Inspektion nachzufüllen: Als aktueller Richtwert gilt ein Verbrauch von 2,4 bis drei Liter auf 1000 Kilometer. Aber immer mehr Tankstellen bieten die Harnstofflösung an, sodass Autofahrer sie einfach beim Tankstopp auffüllen können. Die Kosten halten sich mit derzeit gut 50 Cent pro Liter Adblue in Grenzen.

Also besser einen Benziner kaufen?

In der aktuellen Debatte sind Ottomotoren weitgehend außen vor. Aber sollte die blaue Plakette wirklich kommen, wären laut ADAC neben etwa 13 Millionen Dieselautos auch gut drei Millionen Benziner von Fahrverboten bedroht. Zwar ist noch nicht klar, welche Abgasnormen genau erfüllt werden müssen. Aber erste Forderungen sehen vor, dass nur Benziner ohne Direkteinspritzung ab Euro 3 und jene mit Direkteinspritzung ab Euro 6b für das Abzeichen infrage kommen. Das würde bedeuten, dass ein VW Golf 1.4 TSI, Baujahr 2013, mit dem seinerzeit beliebten Direkteinspritzer-Benziner keine blaue Plakette erhalten würde.

Der ADAC hat kürzlich den Blick auf das Abgasproblem moderner Benzinmotoren gelenkt: Direkteinspritzer stoßen zu viele Feinstaubpartikel aus, im aktuellen ADAC-Ecotest im Schnitt das Fünffache des von September 2017 an gültigen Grenzwertes. Dann greift die Abgasnorm Euro 6c mit deutlich strengeren Feinstaub-Grenzwerten für Ottomotoren. Die neuen Vorgaben sind der Grund, warum immer mehr Hersteller - allen voran Daimler und VW - flächendeckend Partikelfilter für ihre Benziner einführen werden. Ein weiteres Manko ist der im Schnitt höhere Verbrauch eines Benziners verglichen zum Diesel - und damit dessen höherer CO₂-Ausstoß. Auch hinsichtlich dieses Treibhausgases hat Deutschland Probleme, die internationalen Richtlinien zu erfüllen. Würden nun mehr Benziner statt Diesel verkauft, würde sich das verschärfen.

Welche Alternative gibt es sonst?

Naheliegend ist: Wann immer es geht, auf das Auto verzichten, den öffentlichen Nahverkehr und Park & Ride-Parkplätze nutzen, Fahrrad fahren. Doch das setzt einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr voraus, für den etwa die Fahrverbots-Stadt Stuttgart nicht gerade bekannt ist. Auch Autos mit Gasantrieb sind eine Alternative. Sie würden die blaue Plakette bereits erhalten, wenn sie mindestens die Euro-3-Norm erfüllen. Aber Flüssig- (LPG) oder Erdgasautos (CNG) sind in der Anschaffung meist teurer als Benziner und rechnen sich erst nach vielen Kilometern. Außerdem ist das Tankstellennetz noch immer recht löchrig. Und die auf den ersten Blick gute CO₂-Bilanz wird oft durch umstrittene Verfahren bei der Gasgewinnung getrübt.

Was ist mit Elektro- und Hybridautos?

E-Mobile sind für viele Autofahrer noch keine Alternative: zu teuer, zu geringe Reichweiten, eine spärlich ausgebaute Lade-Infrastruktur. Eine kurzfristige Lösung könnten Plug-in-Hybride sein. Deren Gesamtreichweite liegt mindestens auf dem Niveau eines Benziners oder Diesels, der Strom reicht bei den meisten Modellen für 30 bis 40 rein elektrische und lokal emissionsfreie Kilometer. Genug, um in die Stadt und wieder hinauszukommen. Außerdem kann, wer von außerhalb in die Stadt fahren möchte, bei den meisten Modellen bis zum Stadtrand den Verbrenner nutzen und die Batterie schonen, um in der City rein elektrisch zu fahren.

Doch auch Plug-in-Hybride sind im realistischen Betrieb nicht so sparsam und sauber, wie von ihren Herstellern versprochen. Das hat der ADAC kürzlich wieder bestätigt. Hinzu kommt: Das sauberste Elektroauto nützt nichts, wenn man dessen Batterie mit dreckigem Kohlestrom lädt. Auch sonst ist ihre Umweltbilanz, gerade bei der Herstellung und beim Recycling der Akkus, noch nicht sonderlich grün. Und nicht zu vergessen: Feinstaubbelastung entsteht vor allem durch von Reifen aufgewirbelte Partikel. Egal, ob es die Reifen eines Diesel- oder Elektroautos sind.

Wie sieht es mit gewerblich genutzten Dieselautos aus?

Natürlich sind nicht nur private Diesel-Pkw in den Innenstädten unterwegs. Ob Taxis, behördliche Autos wie die von städtischen Institutionen bis hin zu Polizei- oder Rettungsfahrzeugen oder vor allem Lieferwagen: Die meisten von ihnen werden von Selbstzündern angetrieben, und eine große Zahl davon ist zu alt, um die neueste Abgasnorm zu erfüllen. Weil deren Umrüstung oder Austausch teuer werden würde, darf man - auch aufgrund der Erfahrung mit den bisherigen Feinstaub-Plaketten - davon ausgehen, dass es zahlreiche Ausnahmen von eventuellen Fahrverboten geben wird. Das wiederum dürfte deren Wirksamkeit einschränken.

Warum reinigen Lastwagen ihre Dieselabgase effizienter von Stickoxiden als Pkw?

Die Forschungsgruppe International Council on Clean Transportation (ICCT) fand heraus, dass nach Euro 6b zertifizierte Dieselautos mehr als doppelt so viele Stickoxide ausstoßen wie moderne Lastwagen oder Busse: im Schnitt 500 statt 210 Mikrogramm pro Kilometer.

Ein 40-Tonner sauberer als ein Kleinwagen? Das erscheint paradox, ist aber erklärbar. Lastwagen sind zwar auf einen niedrigen Spritverbrauch optimiert, wären sonst aber Dreckschleudern, würden sie nicht über eine effektive Abgasnachbehandlung verfügen: den bereits erwähnten SCR-Kat. An Bord eines Lastwagens ist Platz genug für diese Chemiefabrik samt großem Adblue-Tank, sodass der Fahrer stets genug von der Flüssigkeit mitführen kann. Außerdem kommt den Lastwagen ihr Fahrprofil zugute: Sie sind viele Stunden am Stück mit konstanter Geschwindigkeit unterwegs - Bedingungen, in denen der Katalysator seine Wirkung am besten entfalten kann. Der Motor eines Pkw dagegen wird sehr oft kalt gestartet. Dann fährt das Auto nur wenige Kilometer und wird dann für einige Stunden geparkt, bevor das Spiel von vorne beginnt. Und nicht zu vergessen: Lastwagen müssen bei ihrer Typzulassung schon seit einigen Jahren nachweisen, dass sie die Abgasnormen nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße einhalten. Das zeigt: Die Industrie kann saubere Diesel-Fahrzeuge bauen, wenn sie will - vorausgesetzt, die Politik setzt sie genügend unter Druck.

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