Um was es bei Grenzwerten für Abgase am Auspuff geht, machte vor wenigen Monaten eine Studie der europäischen Umweltbehörde in Kopenhagen klar: Die Hälfte der Bewohner von Städten in Europa muss bislang eine Belastung durch Feinstaub hinnehmen, die laut Weltgesundheitsorganisation schädlich ist. Gemessen an den EU-Grenzwerten für die Luftqualität, waren 16 Prozent aller Bürger zu hohen Konzentrationen ausgesetzt. Jährlich sterben dem Papier zufolge 470 000 Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung.
Alarmierend nennt der Autoclub ADAC wegen der Umweltfolgen die Ergebnisse seines neuesten Ökotests. Denn trotz Bekenntnissen der Autoindustrie zur Besserung fielen die in der Abgasaffäre belasteten Diesel-Fahrzeuge erneut mit teils deutlich überschrittenen Grenzwerten auf. Das war nicht die einzige böse Überraschung: Denn auch Benziner zeigen laut ADAC einen "deutlich zu hohen Ausstoß an Feinstaub". Zudem stellten die Tester bei Benzinern erstmals erhöhte Stickoxid-Emissionen fest - und damit eine neue Eskalation in der Abgasaffäre.
Der ADAC-Test gilt als aussagekräftig, weil er die Autos in realistischeren Situationen prüft als Hersteller und Behörden. Für die Autobranche gelten die Ergebnisse als Rückschlag. Von 38 getesteten Diesel-Pkw lieferten gerade mal zwei gute Ergebnisse: Den Mercedes E220 d 9G-Tronic und den BMW 118d Urban Line stufte der Autoclub als empfehlenswert ein. Besonders bei den Stickoxiden schnitten die meisten Fahrzeuge schlecht ab: Im schlimmsten Fall stieß der Renault Captur dCi 90 durchschnittlich 725 Milligramm pro Kilometer aus, 900 Prozent mehr als der Grenzwert.
Auch die Debatte um Fahrverbote in deutschen Städten dürfte von den Messungen befeuert werden. In Stuttgart und anderswo drohen an Tagen mit hoher Feinstaub-Belastung Fahrbeschränkungen. Betroffen sind Autos, welche die aktuell strengste Abgasnorm "Euro 6" nicht erfüllen. Doch den Tests zufolge garantieren neuere Autos nicht automatisch eine bessere Umweltverträglichkeit: So stießen laut ADAC einige Euro-5-Diesel weniger Schadstoffe aus als Euro-6-Modelle.
Nicht nur starke Motorisierungen sind betroffen
Das schwache Abschneiden stellt die Tester vor ein kurioses Problem. Man wisse kaum noch, welche Autos man den Mitgliedern empfehlen soll, sagt Reinhard Kolke, der Leiter des Bereichs Tests und Technik. "Wir sind bei der Beratung am Ende."
Denn auch den Benzin-Autos attestieren die Experten gravierende Schwächen. Unter den verschärften Testbedingungen stießen sie im großen Stil zu viel Feinstaub aus. Betroffen sind nicht nur starke Motorisierungen wie beim Ford Focus RS, sondern auch der VW Tiguan 1.4 TSI oder der Opel Corsa 1.0 Turbo ecoFlex. Der durchschnittliche Partikelausstoß bei Benzin-Autos mit Direkteinspritz-Technik - rund 90 Prozent der neuen Benzinfahrzeuge - liege im Durchschnitt fast um das Fünffache über dem ab September 2017 gültigen Grenzwert, teilt der ADAC mit. Bis dahin ist es wegen einer Gesetzeslücke erlaubt, dass Benziner zehnmal so viele Partikel wie Dieselmotoren ausstoßen dürfen.
Noch vor einigen Jahren spielte die Direkteinspritzung kaum eine Rolle. Seit sich die Technik jedoch ausbreitet und jedes Jahr von den Pkw mit Ottomotor etwa 1,6 Millionen durch Neuwagen mit Benzindirekteinspritzung ersetzt werden, steigt die Belastung der Atemluft mit feinen Partikeln an. Erst mit der Einführung einer Abgasnorm von September an unterliegen Ottomotoren den gleichen Grenzwerten wie Dieselmotoren.
Laut ADAC sind die Grenzwerte ohne zusätzliche Filter kaum zu erreichen. Die Sorge wächst, dass die Schönrechnerei bei den Abgasen weitergehen könnte. Zwar sollen ebenfalls ab Herbst neue Tests helfen: Real Driving Emissions (RDE), so heißt das neue Verfahren in Europa, mit dem künftig die Abgase von Dieselfahrzeugen ermittelt werden. Geprüft wird dann, was auf der Straße an Stickoxiden wirklich aus dem Auspuff kommt. Allerdings nach einem genormten Zyklus. Kritiker bemängeln seit Längerem, dass Fahrzeuge auch diese Prüfungen erkennen und in einen sauberen Modus schalten könnten.
Die Politik will sich einschalten
Die jüngsten Tests wecken zumindest Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verfahrens. Denn Autos der Marken Audi, BMW, Volvo und Land Rover hielten zwar sowohl bei den Labor- als auch den RDE-Straßentests die Grenzwerte ein. In einer anderen Fahrsituation mit höherer Last auf der Autobahn wurden die Grenzwerte jedoch laut ADAC um das vier- bis elffache überschritten. Deshalb ist inzwischen nicht mehr nur der Autoclub alarmiert.
Auch die Bundespolitik kündigte am Montag eine Reaktion an. Arnold Vaatz, Verkehrspolitiker der CDU, sprach von Emissionssituationen, die die Politik bislang noch nicht auf dem Schirm hatte. "Das werden wir lösen müssen."