Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:Zeit für eine neue Mission

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Für VW-Chef Herbert Diess ist es eine Frage, die nicht nur den eigenen Konzern betrifft: Ist Deutschland schnell genug, die Standards für das autonome Fahren zu setzen?

Von Max Hägler

Was die neue Regierung jetzt tun muss, damit das Land erfolgreich wirtschaftet? Herbert Diess, Vorstandschef des Volkswagen-Konzerns, ist einer, der darauf wohl gut antworten kann. Er pflegt das offene Wort. Noch ist das größte Industriekonglomerat des Kontinents recht erfolgreich, aber steht vor Herausforderungen, die alles ändern. So ähnlich wie das im ganzen Land ist. "Die Automobilindustrie werden wir in 15 Jahren nicht wiedererkennen", sagt Diess. Wenige ganz große Konzerne würden dann das Geschäft beherrschen: Tesla sei schon da, Apple werde "aller Wahrscheinlichkeit nach" dazukommen und auch chinesische Anbieter. Es sind die ersten Sätze eines Managers auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel - der Grundton ist gelegt, für dieses allererste Panel.

Denn wie anders klingt er damit im Vergleich zu seinem Vor-Vorgänger als Konzernchef, Martin Winterkorn, der vor Jahren noch mit stolzgeschwellter Brust am Wirtschaftsgipfel auftrat. Wer in der damaligen Zeit öffentlich über Schwächen sinnierte, wurde umgehend zum Arzt geschickt. Diess hält im Jahr 2021 schon einiges für gut bei VW - aber er ist eben nicht vollends überzeugt, dass VW einer der Gewinner sein wird nach der globalen Neuordnung.

Im Vergleich zur neuen Konkurrenz sei VW zu bürokratisch, zu unbeweglich. In einem gefährlichen Maße, befindet Diess, der wegen seiner andauernden radikalen Kritik, seines ungeduldigen Anschiebens im eigenen Unternehmen immer wieder für Streit sorgt. Auch jetzt auf dem Wirtschaftsgipfel spricht er so deutlich wie ganz wenigere andere Wirtschaftslenker: "Ich glaube, der Konzern wird keinen Fortbestand haben, wenn sich nicht Wolfsburg auf die neue Zeit einstellt." Das zu ändern sei seine Mission. Und nicht viel anders sei das mit dem ganzen Land: "Gewinnen wird die Volkswirtschaft", sagt er, "die alles vorantreibt, verlieren wird die Volkswirtschaft, die nachhängt!"

Der Weg ist dabei völlig klar: Es geht darum, Software und Hardware zu beherrschen. Und tatsächlich ist Deutschland noch nicht völlig abgehängt. Infineon aus München ist einer der zehn größten Hersteller von Computer-Chips in der Welt, die übrigens auch Volkswagen verbaut - wobei die Zusammenarbeit nicht völlig spannungsfrei ist: "Sehr kostenorientiert" sei ja manche Industrie, sagt Vorstandschef Reinhard Ploss in Richtung Diess. Man darf da hineinlesen, dass die Autobranche mitunter die Preise über Gebühr drückt. In einer Krise vor gut einem Jahrzehnt führte das beinahe ins finanzielle Aus. Der Schlüssel zum Wiedererstarken seitdem? "Immer eher über das nachdenken, was als nächstes kommen könnte, als über das, was schon gut gemacht wurde", sagt Ploss. Und eher vom Produkt aus denken, der Lösung als vom technischen Teil allein.

Das sieht Marianne Janik nicht viel anders. Die Deutschland-Chefin des US-Software-Unternehmens Microsoft wirkt gelassen. Aber der Schein trüge, bescheidet sie dem Publikum: "Innen brodelt es!" Ja, sie sei beunruhigt. Nicht so sehr wegen des eigenen Arbeitgebers - der hat mittlerweile eine Börsenbewertung von zwei Billionen Dollar, ist mithin also höchst stabil.

Nein, sie sorgt sich um die hierzulande so wenig ausgeprägte Fähigkeit des partnerschaftlichen Miteinanders, des Denkens in Systemen, also den großen Zusammenhängen, sowohl in den Firmen, aber auch darüber hinaus: "Es fehlt der Wille über Industriegrenzen hinweg zu arbeiten." Denn eigentlich seien in europäischen Firmen viele Fähigkeiten versammelt, mit deren Hilfe sich auch beim Digitalen "einiges" nachholen ließe.

Doch stattdessen bleiben vor allem die ganz großen deutschen Unternehmen in ihren angestammten Höfen, zu sehen etwa bei der Diskussion um die Rolle der Digitalkonzerne Google, Apple, Facebook und Amazon. "Ich erlebe in Deutschland, dass man mit Neid auf die GAFAs schaut", sagt Janik. Zugleich wollten alle aber irgendwie an deren Erfolg teilhaben. Mit dieser Abwehr-Haltung nach dem Prinzip "Wasch mich, aber mach mich nicht nass", komme man nicht weiter.

Ein merkwürdiges Nähe-Distanz-Verhältnis der Deutschen mit Digitalkonzernen also, das vielleicht mit Unsicherheit zu tun hat? Wenn Technologien eingeführt würden, die das Leben und die Geschäfte verändern, müsse man diesen vertrauen können, müsse man sie verstehen, sagt Janik. So weit nachvollziehbar. Sie sei aber nicht ganz überzeugt, ob den Verhandlern der Ampel-Koalition derzeit wirklich alle wesentlichen Umstände der IT- und Digitalindustrie bekannt seien. Wie gut insofern, dass es VW gibt, wo alle Vorzeichen auf Kooperation und IT stehen. "Herr Diess, Sie bringen die notwendige Unruhe in unsere Chefetagen", sagt jedenfalls die Microsoft-Chefin.

Der scheint einigermaßen zufrieden mit den momentanen politischen Umständen, zumindest mit Blick auf die Gesetze zur Mobilität. Die Regeln zum autonomen Fahren gehörten zu den fortschrittlichsten der Welt, sagt er, auch das Förderprogramm für die Elektromobilität sei hilfreich. Wobei nun bald ein höherer CO2-Preis hinzukommen müsse, um die Gesellschaft noch deutlicher zum Klimaschutz hin zu lenken - und um dann mit den entstehenden Produkten im Rest der Welt Geld zu verdienen.

Die "große Herausforderung" sei indes die Digitalisierung. Die Kernfrage für den VW-Chef: Schaffen es Deutschland und Europa, die Standards beim autonomen Fahren zu setzen? Dem letzten großen digitalen Ökosystem, bei dem die Karten noch nicht gelegt sind, anders als bei Smartphones oder sozialen Medien? Noch sei es nicht zu spät, meint Diess. Auch der altgediente Infineon-Chef wird bei dem Thema geradezu emotional: Etwas hinzustellen, was die anderen noch nicht haben, das wärs doch, sagt Ploss! Könnte klappen. Sofern alle schnell genug sind.

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