Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau:Ein Fall für zwei

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Beim ersten Treffen mit der gesamten Wohnungsbranche setzen Bauministerin Geywitz und Vizekanzler Habeck auf einen Krimi-Trick.

Von Stephan Radomsky

Das Spiel kennt man aus dem Krimi. Beim Verhör teilen sich die Ermittler auf, einer ist der gute Bulle, der andere der böse Bulle. Der eine schafft Vertrauen, der andere haut auf den Tisch. Gemeinsam kommen sie ans Ziel. Ob sich auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) das so oder ähnlich überlegt haben, ist nicht bekannt. Den Eindruck konnte man am Donnerstag aber schon bekommen.

Da waren beide auf dem Wohnungsbautag in Berlin, einer Veranstaltung von Verbänden der Immobilienwirtschaft, der Bauindustrie, einer Gewerkschaft und Mieterschützern. Einem Bündnis also, das sonst "nicht immer an einem Strang zieht", wie es einer der Gastgeber formulierte. Gerade aber gibt es einiges für die ungleichen Partner zu besprechen: anspruchsvolle Ziele beim Neubau, ein enger Zeitplan für den Klimaschutz, enteilende Miet- und Kaufpreise. Und es gibt einiges zu holen: Dutzende Milliarden vom Bund.

Jährlich sollen damit 400 000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100 000 gefördert. Dafür ist Geywitz zuständig. Außerdem soll es endlich losgehen mit der Klimawende in den Gebäuden, bis 2045 muss der ganze Sektor CO₂-neutral sein. Das ist Habecks Job. Beide brauchen dafür den Bau, die Vermieter und auch die Mieter. Dieser Termin sei deshalb auch "eine der wichtigsten Einladungen, die man als Bauministerin erhalten kann", sagt Geywitz gleich vornweg. Allein die 100 000 neuen Sozialwohnungen im Jahr seien eine "ambitionierte Vorgabe". Für bezahlbares und klimagerechtes Wohnen brauche es deshalb die passenden Fördermittel und den richtigen rechtlichen Rahmen.

Wie die aussehen sollten, haben die Gastgeber schon mal vorab formuliert, auf mehr als 100 Seiten in einer eigens in Auftrag gegebenen Studie. Deren Tenor: Was sich die Bundesregierung vorgenommen habe, sei im Prinzip schon möglich, aber es koste eben.

Sollten im Schnitt jährlich knapp zwei Prozent der Wohngebäude im Bestand saniert werden - was nötig wäre, um bis 2045 überall einmal durch zu sein - würde das schon mit dem einfacheren "Effizienzhaus 115" (KfW 115) etwa 110 bis 150 Milliarden Euro jährlich kosten, so die Studie. Ein sanierter Altbau würde damit immer noch 40 Prozent mehr Energie verbrauchen, als ein Neubau nach heutigen Mindestanforderungen. Sei das deutlich anspruchsvollere KfW 55 das Ziel, bräuchte das sanierte Haus also 20 Prozent weniger Energie als der Standardneubau, lägen die Kosten sogar bei 165 bis 210 Milliarden Euro - jedes Jahr, bis 2045. Das sei in etwa das Vierfache dessen, was derzeit jährlich in die Sanierung fließt. In jedem Fall seien zusätzliche Steueranreize und neue Förderprogramme unerlässlich. Und für künftige Neubauten spricht sich die Studie für KfW 70 als Mindestanforderung aus - also fünf Prozent weniger Energiebedarf als bisher.

"In Deutschland belohnen wir das Einhalten von Gesetzen nicht."

Höhere Förderung für niedrigere Standards? Sicher, sagt Habeck, auch ein schlecht gedämmtes Haus könne mit erneuerbaren Energien klimaneutral werden. Nur sei das weder volkswirtschaftlich noch energiepolitisch sinnvoll. Zu groß sei der Bedarf an grünem Strom und Wasserstoff überall in Wirtschaft und Gesellschaft, als dass alle einfach so weitermachen könnten wie bisher. "Es macht deshalb Sinn, Effizienz nach vorn zu stellen."

Zwar sei der plötzliche Förderstopp der Staatsbank KfW für Neubauten und Sanierungen Ende Januar misslich gewesen. "Und natürlich, rückblickend hätte man sehen können, dass es einen Run gab", gab sich Habeck selbstkritisch. Aber inzwischen sei die Sache ja für dieses Jahr geklärt.

Dass die Förderung insgesamt neu sortiert wird, sei überfällig nach zwölf Jahren, in denen sie unverändert blieben. Insgesamt soll der Klimaschutz bereits um Ostern in einem kleineren ersten und im Sommer in einem größeren zweiten Gesetzespaket vorangebracht werden. Spätestens zum Jahreswechsel sollten damit auch die neuen, dann anspruchsvolleren Regeln für die KfW-Förderung in Kraft treten, kündigte Habeck an. KfW 55 beispielsweise solle Mindestanforderung beim Neubau werden. Und klar sei dann auch: "In Deutschland belohnen wir das Einhalten von Gesetzen nicht." Wer nur das Mindestmaß erfülle, dürfe nicht mit Geld rechnen.

Allerdings, und da ging Habeck dann doch ein wenig in Richtung seiner Kollegin Geywitz, sei Klimaschutz nicht alles: Soziale Aspekte seien beim Bauen "mindestens gleich wichtig". Deshalb plane die Bundesregierung auch verschiedene Fördertöpfe für unterschiedliche Aspekte. Er habe auch "immer ein offenes Ohr für alle anliegen der Bauwirtschaft" - wenn man ehrlich miteinander umgehe.

Am Ende wollen eben beide ihr Ziel erreichen, der gute und der böse Ermittler.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes wurde es so dargestellt, als sei das sogenannte Effizienzhaus 100 der geltende Mindeststandard beim Energiebedarf von Neubauten. Richtig ist aber, dass inzwischen das Effizienzhaus 75 gesetzliche Vorgabe ist. Entsprechend waren die Rechnungen zu den Differenzen beim Energiebedarf falsch. Die Angaben wurden im Text korrigiert.

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