Süddeutsche Zeitung

Fußball:Torhüter-Domino kündigt sich an

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Selldorf, Köln

Ob Graf Dracula jemals Fußball gespielt hat, ist nicht überliefert, aber Bruce Grobbelaar hat vermutlich keine literaturwissenschaftlichen Recherchen angestellt, bevor er seinem Nachfolger Simon Mignolet eine originelle Polemik widmete: Mignolet sei "schlimmer als Dracula", sagte der ehemalige Torwart des FC Liverpool über den aktuellen Torwart des FC Liverpool, denn Dracula sei "wenigstens ab und zu aus seinem Kasten rausgekommen".

Anderthalb Jahre nach diesem Zitat ist der stellvertretende belgische Nationaltorhüter Mignolet, 28, immer noch die Nummer eins in Jürgen Klopps Mannschaft, erst im Januar verlängerte der Klub seinen Vertrag bis 2021. Aber wenn man den Gerüchten Glauben schenken möchte, hat die Führung des FC Liverpool nicht viel anderes zu tun, als nach einem neuen Keeper Ausschau zu halten. Scharen von Scouts fahnden demnach nach einer Alternative zu Mignolet. Speziell deutsche Torhüter scheinen begehrt zu sein: Als Kandidaten wurden auch Bernd Leno, Timo Horn und Marc-André ter Stegen genannt.

Die Grenze zwischen Fiktion, Gerücht und (Halb-)Wahrheit ist auch für Eingeweihte der Branche oft schwer zu definieren. Fest steht, dass der Transfermarkt für deutsche Torhüter in Bewegung geraten ist. Prominente Vertreter des Fachs sind betroffen, mithin Manuel Neuers komplette Ersatzmannschaft in der DFB-Auswahl: außer Leno, Horn und ter Stegen auch Ron-Robert Zieler. Dass Letzterer im Sommer den Arbeitgeber wechselt, steht weitgehend außer Zweifel.

Etliche Interessenten

Auch nach sechs Jahren bei Hannover 96 reicht Zielers Loyalität nicht so weit, dass der 27-Jährige bereit wäre, mit seinem alten Verein in die zweite Liga zu gehen. Für 3,5 Millionen Euro kann ihn der nächste Klub aus dem laufenden Vertrag kaufen - kein hoher Preis für einen erfahrenen, verlässlichen Torwart, der in seinem Trophäenschrein die goldene Weltmeistermedaille aufbewahrt. Etliche Interessenten haben sich daher bei Zielers Berateragentur gemeldet. Tendenz: offen.

Vorgesprochen haben bei Zieler auch die rheinischen Nachbarn Bayer 04 Leverkusen und 1. FC Köln, obwohl beide mit ihren Torhütern sehr zufrieden sind und mit ihnen langfristige Verbindungen unterhalten. Doch sowohl Lenos (bis 2018) als auch Horns Vertrag (bis 2019) enthalten Ausstiegsklauseln. Bayer und der FC sehen sich deswegen genötigt, mit Plänen vorzubeugen, falls sich ihre Stammtorhüter zum Abschied entschließen sollten.

Den Kölnern wird nachgesagt, sie könnten die Entschädigung für Horn - angeblich neun Millionen Euro - als Versuchung ansehen, denn falls ersatzweise der gebürtige Kölner Zieler käme, bliebe ein schöner Überschuss für weitere Kader-Investitionen. In Leverkusen hingegen ist der Fall nicht allzu kompliziert: Bis zum 30. April hat ein möglicher Interessent Zeit, Leno für einen Wechsel zu gewinnen und Bayer die Zahlung der festgeschriebenen 18 Millionen Euro Ablöse zu garantieren.

Nach dem Stichtag werde man nicht mehr gesprächsbereit sein, heißt es bei Bayer. Leno, 24, ist seit fünf Jahren im Rheinland, zumindest vorübergehend scheint er sich mit dem Gedanken an eine Veränderung beschäftigt zu haben. Persönliche Befindlichkeiten werden in seinem Klub als Motiv gesehen.

Leno spielt nicht die beste Saison seiner Karriere, und die Ambitionen auf einen Platz in der Nationalelf wurden zuletzt enttäuscht, als sein ständiger Privatkonkurrent ter Stegen beim Testspiel gegen Italien den Vorzug erhielt. Die Europameisterschaft wird allem Anschein nach ohne Leno stattfinden, es gilt nicht als wahrscheinlich, dass der Bundestrainer ihn als dritten Torwart mitnimmt und damit eventuell Unruhe schafft.

Als Abnehmer für Leno kommt der mutmaßliche Erstliga-Aufsteiger RB Leipzig in Betracht, der dann nicht nur einen exzellenten Torwart bekäme, sondern mit der Verpflichtung auch einen Prestigeerfolg landen könnte - kein ganz nebensächliches Motiv für den ehrgeizigen Red-Bull-Sportchef Ralf Rangnick, der bei früheren personellen Operationen mehrmals das Nachsehen gegen Bayer 04 hatte.

Leno macht noch ein Geheimnis

Eine womöglich hilfreiche Nähe zu Leno ergibt sich aus dem Umstand, dass dessen schwäbische Berateragentur mit Rangnick gute Beziehungen unterhält und früher den heutigen Leipziger Vorstandschef Oliver Mintzlaff als PR-Mann beschäftigte. Die Verantwortlichen in Leverkusen sind dennoch optimistisch, ihren Schlussmann behalten zu dürfen, mit attraktiven Konkurrenten aus fremden Ligen wird eher nicht gerechnet. Leno macht noch ein Geheimnis aus seiner Entscheidung: "Lassen Sie sich überraschen", entgegnete er vor ein paar Tagen auf Befragungen zu dem Thema.

Klarer hat sich Marc-André ter Stegen zu seiner Situation in Barcelona geäußert. Die halbe Torhüterstelle, die ihm sein Trainer bisher gewährt - die Einsätze beschränken sich auf die Pokalwettbewerbe -, befriedigt den 23-Jährigen nicht. Auch ter Stegen wäre für eine gewisse Summe zu bekommen. Allerdings liegt diese bei der festgeschriebenen Ablöse von 80 Millionen Euro, und angeblich ist der FC Barcelona entschlossen, auf diesem Betrag zu beharren.

Für Borussia Dortmund wäre das ein bisschen zu teuer. Der BVB sondiert den Markt, und ter Stegen war ein Thema, als man Überlegungen anstellte, den amtierenden Stammkeeper Roman Bürki zu ersetzen, der bisher nicht alle Wünsche erfüllt hat. Aber bei der Borussia stehen andere Personalien im Mittelpunkt. Vermutlich wird es nicht der BVB sein, der am Torhütermarkt den Domino-Effekt auslöst. Und auch Liverpool hat laut Klopp nichts mehr auszusetzen an Simon Mignolets Strafraumbeherrschung.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2016
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