Süddeutsche Zeitung

Spekulation um WM-Vergabe:Das Geheimnis des Mannes, der den Raum verließ

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

Der Kampf der Deutschen schien verloren zu sein. Nur zwölf Voten hatten sie sicher, als es am 6. Juli 2000 im Vorstand des Weltverbands Fifa in die letzte Wahlrunde für den WM-Zuschlag 2006 ging. Zwölf von 24. Das war zu wenig. Dem Rivalen Südafrika wurden die anderen zwölf Stimmen zugerechnet, darunter die wertvollste: das Votum von Präsident Sepp Blatter, das bei Gleichstand doppelt zählen würde.

Aber plötzlich erhob sich Charles Dempsey. Dem Neuseeländer hatte sein ozeanischer Kontinentalverband und sogar die Regierungschefin in Auckland aufgetragen, für Südafrika zu stimmen. Dempsey aber ging aus dem Raum, er nahm das nächste Flugzeug Richtung Heimat - und der 12:11-Sieg der Deutschen war perfekt.

Die vielleicht wichtigste Angelegenheit in der Skandalhistorie des Weltsports

Seit zwei Wochen debattiert das Land über eine dubiose Transaktion von 6,7 Millionen Euro und die Frage, ob dieses Geld dazu diente, Stimmen im Wahlmännergremium zu kaufen. Der Spiegel behauptet das, Beteiligte von damals bestreiten es. Aber wenn es darum geht, ob und wie sauber das Sommermärchen nach Deutschland kam, bleiben neben dem obskuren 6,7-Millionen-Transfer weitere Baustellen: Zuvorderst das Verhalten des (2008 verstorbenen) Dempsey. Es sorgte dafür, dass seither der Verdacht durch die Sportwelt wabert, es sei nachgeholfen worden.

Jetzt kocht diese Frage wieder hoch, und die Spur legt auch hier Theo Zwanziger. Via Bild deutet er an, Dempsey sei womöglich bestochen worden: über den früheren Sportrechtevermarkter und ausgewiesenen Schmiergeldverteiler ISL. Der frühere DFB-Präsident spielt eine zwiespältige Rolle in dieser Sommermärchen-Affäre: Einerseits prangert er öffentlich Unregelmäßigkeiten und die Existenz einer schwarzen Kasse an. Andererseits war er zumindest ab 2003 Teil des damaligen WM-Organisationskomitees und an entscheidender Stelle sogar ausführendes Organ.

So unterschrieb er 2005 eine Überweisung über 6,7 Millionen Euro an die Fifa, die den fingierten Titel "Beitrag Kulturprogramm" trug, tatsächlich aber die Rückzahlung eines angeblichen Darlehens von Robert Louis-Dreyfus gewesen sein soll. Zwanziger stellt es so dar, dass er erst 2012 alle Zusammenhänge in der WM-Causa verstanden habe - durch Informationen aus der in jenem Jahr geöffneten ISL-Gerichtsakte und "dem dort wiedergegebenen Schmiergeldteppich".

Die ISL-Geschichte ist eine komplizierte Angelegenheit, zugleich die vielleicht wichtigste in der Skandalhistorie des Weltsports. Die Firma war einst größter Sportrechtvermarkter der Welt, ihr Draht nach Deutschland besonders eng: 1982 hatte sie der damalige Adidas-Chef Horst Dassler gegründet. Auch Fedor Radmann, Intimus von Franz Beckenbauer sowie Mitglied im deutschen Bewerbungs- und Organisationskomitee, war einst für die ISL tätig.

2000 war die Agentur schon in Finanznöten und konnte ein Interesse daran gehabt haben, dass das WM-Turnier 2006 auf dem europäischen Kernmarkt stattfinden würde: Klar war ja, dass der Standort Deutschland weit höhere Profite abwerfen würde als ein Risiko-Turnier am Kap.

Zehn Monate nach der WM-Vergabe ging die ISL bankrott. Im folgenden Strafverfahren flog auf, dass sie mindestens 142 Millionen Franken Schmiergeld an Sportfunktionäre gezahlt hatte. 2010 schloss die Staatsanwaltschaft in Zug das Verfahren mit einer sogenannten Einstellungsverfügung ab; zwei Jahre später wurde diese auf massiven öffentlichen Druck hin veröffentlicht. Allerdings waren in dem 2012 freigegebenen Papier nahezu alle involvierten Firmen und Personen anonymisiert worden.

Ausgenommen waren nur die im Kern Beschuldigten: der Weltverband als solcher, Sepp Blatters Amtsvorgänger João Havelange sowie dessen Schwiegersohn Ricardo Teixeira, ebenfalls ein langjähriges Vorstandsmitglied der Fifa. Diese drei Parteien waren auch von der Justiz mit Wiedergutmachungszahlungen von insgesamt 5,5 Millionen Franken belegt worden.

Zwanziger zeigte in Bild nun einen einfachen Ausdruck dieser anonymisierten ISL-Sünderliste. Hinter einer Zeile mit dem Empfänger-Kürzel "E16" hat er ein Kreuzchen und die Buchstaben "Dempsey!" gekritzelt - und das schon vor drei Jahren, wie er versichert. Er habe die Liste damals erhalten, "und an den mir interessant erscheinenden Punkten Anmerkungen angebracht, die zu dieser Zeit nur Vermutungscharakter haben konnten", sagte Zwanziger am Dienstag der SZ.

Diese hätten ihn allerdings so alarmiert, dass er die Erkenntnisse mit den anderen Mitgliedern des früheren WM-Organisationskomitees (Beckenbauer, Radmann, Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach) erörtern wollte. Bei einem Gespräch am Frankfurter Flughafen habe er darauf "keine Antworten" erhalten. Angeblich habe sich die Runde darauf verständigt, erst einmal die damals angestoßenen Untersuchungen der Fifa-Ethikkommission zu dieser Causa abzuwarten.

Wartete ein Koffer mit 250 000 Dollar auf Dempsey?

Eine anonymisierte ISL-Sünderliste mit einer drei Jahre alten handschriftlichen Notiz ist nun alles andere als ein Beleg, eher eine recht dünne Lage. Zwanziger selbst sagt, er hätte durch die Präsentation dieses Dokumentes nur seine Wortwahl "Flickenteppich an Schmiergeldzahlungen" erläutern wollen. Aber in der Tat fällt rund um diese Überweisung an "E16" einiges auf.

Die in der betreffenden Zeile beschriebene Transaktion betrug 250 000 Dollar und wurde am 5. Juli 2000 getätigt: also am Tag vor der WM-Vergabe, als Dempsey mit Funktionärsfreunden zusammensaß und sogar wiederholt mit Anwälten telefonierte. Er sei sehr aufgewühlt gewesen, beschreiben damalige Zeugen die Situation. Auch fällt auf, dass "E16" in den zwölf Jahren, für die das Schmiergeldgebaren der Agentur dokumentiert ist, nur einmal Geld erhielt. Viele andere Empfänger sind mehrfach bedacht worden.

Vor Wochen griff der britische Fifa-Kenner Andrew Jennings das Gerücht auf, dass im Dolder Grand Hotel ein Koffer mit 250 000 Dollar auf Dempsey gewartet habe: "Was war die Quelle für die an Dempsey gezahlten 250 000 Dollar? Es sieht so aus, als hätten Jean-Marie Weber (langjähriger Chef der ISL, die Red.) und die ISL diese Rechnung beglichen."

Allerdings hätte Zwanziger auch auf einfacherem Wege erfahren können, wer sich hinter "E16" verbirgt. Denn die drei betroffenen Parteien, die bei der Einstellung des ISL-Verfahrens durch die Zuger Justiz Wiedergutmachung leisten mussten, erhielten statt der anonymisierten Liste von 2012 bereits 2010 das Originaldokument: Das mit den Klarnamen.

Dieses Papier besaßen also die beiden Brasilianer Havelange und Teixeira sowie die Fifa, sprich: Sepp Blatter, mit dem Zwanziger lange gut stand. Und schon damals hatte der Schweizer deutschen Funktionären, die ihn wegen seiner im ISL-Papier enthüllten Rolle als Mitwisser von Schmiergeldzahlungen zum Rücktritt aufforderten, gedroht: Er erinnere sich gut an die WM-Vergabe 2006 - als ein Funktionär plötzlich den Raum verließ.

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SZ vom 28.10.2015
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