Süddeutsche Zeitung

Neuseeland bei der Rugby-WM:Drei Brüder für die All Blacks

Lesezeit: 4 min

Aus einem launigen Spruch zum Karriereende wurde eine Prophezeiung - und die Geschwister von einer Milchkuh-Farm in Neuseeland schafften es ins WM-Finale: Die Geschichte der Familie Barrett erzählt von großem Sport und großem Charakter.

Von Felix Haselsteiner

Ob Kevin Barrett, den in Neuseeland alle "Smiley" nennen, seinen berühmten Satz wirklich so gesagt hat, weiß niemand mehr so genau. Die Geschichte allerdings, die sich ausgehend von dieser kurzen Aussage erzählen lässt, ist zu gut, um sie durch genaue Nachforschungen infrage zu stellen, daher hält sich die Legende eben weiterhin: Nach seinem 167. und letzten Einsatz für die Taranaki Rugby Football Union wurde Barrett im Jahr 1999 noch auf dem Spielfeld gefragt, was er denn nun machen würde, mit seiner vielen freien Zeit?

"Ich werde ein paar All Blacks züchten", so die kurze überlieferte Antwort an jenem Tag, die in den Folgejahren zu einer Prophezeiung wurde: Acht Kinder haben Kevin Barrett und seine Frau Robyn, darunter fünf Söhne, die allesamt in der höchsten neuseeländischen Liga gespielt haben oder spielen - und drei haben es tatsächlich bis zu den All Blacks geschafft.

Beauden, Scott und Jordie Barrett werden am Samstagabend im WM-Finale von Paris Neuseelands Nationalstolz, die Rugby-Nationalmannschaft der All Blacks, vertreten, bei drei von 15 Spielern könnten also 20 Prozent eines möglichen WM-Titels auf eine Familie entfallen. Und wer dahinter einen Zufall vermutet, der irrt, denn: Papa Kevin meinte seine berühmte Aussage damals offenbar wesentlich ernster, als man im ersten Moment hätte denken können.

Rund 200 Milchkühe beherbergt die Familienfarm in Opunake, einem Dorf an der Westküste der neuseeländischen Nordinsel. Taranaki ist für die sonst milde Nordinsel eine raue Gegend, das Klima wird geprägt vom offenen Meer und vom majestätischen Mount Taranaki, einem 2518 Meter hohen Vulkan, in dessen Schatten nach einem Ausbruch 1854 nicht allzu viel Vegetation übrig blieb, weshalb Wind und Wetter gutes Weideland für Milchvieh hervorbringen - und gute Bedingungen, um Rugby-Spieler großzuziehen.

"Eine Playstation hatten wir hier nicht, alles spielte sich draußen ab", sagte Vater Barrett einmal vor Jahren, als ihn ein Fernsehteam auf seiner Farm besuchte. Kevin Barretts tiefer, neuseeländischer Akzent ist nichts für ungeübte Ohren, umreißen lässt sich seine Philosophie dennoch in wenigen Worten: Lasst die Kinder spielen!

Weiden und Spielfelder für die Kinder: Das war die Farm der Barretts

Drei Parzellen gehörten auf der Farm den Kühen, eine war reserviert für die acht Barretts und zahlreiche Nachbarskinder, die sich tagtäglich im Cricket, Rugby, Fußball oder irgendeiner anderen Sportart messen wollten. "Es endete meistens mit Tränen", sagte Jordie einmal, mit 26 Jahren der jüngste Bruder, über die Erfahrungen am elterlichen Hinterhof. Manchmal allerdings endeten die Matches auch mit einem finalen Kick, bei dem es um alles ging: "Dann haben wir alle im Scherz oft gerufen: Das ist der Kick für den WM-Titel!", erzählte Scott, 29, der mittlere Bruder, einmal. 2015 wurde daraus Realität.

Jordie und Scott mussten sich damals noch gedulden. Im Fokus stand ihr älterer Bruder Beauden, heute 32, der im WM-Finale gegen Australien eine Viertelstunde vor Schluss aufs Feld kam und eine Minute vor Schluss mit einem sensationellen Lauf den entscheidenden Versuch erzielte. Der dritte WM-Titel in der Geschichte des Landes wurde für Beauden Barrett zum Auftakt einer beeindruckenden Karriere: Zweimal wurde er in den Folgejahren zum besten Spieler der Welt gewählt, es waren seine Fähigkeiten, die die All Blacks nach dem Abschied der Überfiguren wie Richie McCaw und Dan Carter auf dem höchsten Niveau hielten.

Acht Jahre später haben sich die Rollen ein wenig gewandelt. Beauden findet sich bei der WM in Frankreich weiterhin in einer zentralen Rolle wieder - jedoch könnte man tatsächlich Argumente dafür finden, dass er sich vom besten Spieler der Welt zum drittbesten in seiner eigenen Familie entwickelt hat. Scott Barretts Physis ist ein entscheidender Bestandteil der All Blacks. Vor allem aber Jordie Barretts Versetzung auf eine zentralere Position hat wesentlich zum guten Abschneiden der vor dem Turnier noch hart kritisierten Neuseeländer beigetragen.

Ein Teil der Geschichte der Barrett-Brüder nämlich ist auch, dass ihre Karrieren bislang noch nicht vom alles überstrahlenden Erfolg gekrönt sind. 2019 stand das Trio schon einmal gemeinsam in einem WM-Halbfinale, dann allerdings verloren die All Blacks deutlich gegen England und mussten danach viel Kritik einstecken. Angesichts von Beaudens Alter und seinem bevorstehenden Wechsel nach Japan könnte sich daher am Samstag auch die finale Chance bieten, um gemeinsam den ganz großen Titel zu gewinnen, das war den dreien schon vor der Abreise bewusst. "Besondere Zeiten" seien die Wochen in Frankreich daher, bescheinigte Jordie vor dem Finale.

Sportlicher Erfolg jedoch ist nicht alles in der Familie Barrett, in der sich nicht alles auf die drei Brüder konzentriert, die es in die Rugby-Weltspitze geschafft haben. Zum einen wäre da die Geschichte von Kane Barrett, ein Jahr älter als Beauden, dem mindestens genauso viel Talent bescheinigt wurde wie seinen Brüdern - der allerdings im Jahr 2014 nach einer Kopfverletzung seine Karriere beenden musste, bevor sie richtig begonnen hatte.

Und dann ist da noch Zara, die in der Familie alle nur liebevoll "Zaz" nennen. Die jüngste Schwester kam mit dem Down-Syndrom, einer genetischen Störung, zur Welt. Die Barretts machten ihr Schicksal vor einigen Jahren öffentlich, um Bewusstsein für die Schwierigkeiten von Menschen mit Down-Syndrom beim Erlernen einer Sprache zu wecken. "Menschen wie Zara müssen wissen, dass sie geliebt werden, und sich einbezogen fühlen", sagte Beauden Barrett in einem Interview, weshalb im Mittelpunkt der Familie oftmals nicht der Rugby-Sport, sondern eben Zara stünde.

Es ist Kevin "Smiley" Barrett also tatsächlich gelungen, drei All Blacks heranzuzüchten, wie er 1999 versprochen hatte. Mindestens genauso beachtlich ist, welche Charaktere er innerhalb seiner Familie geschaffen hat und was für einen Ruf die Familie innerhalb Neuseelands genießt - ganz unabhängig von einem möglichen WM-Titel.

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