Süddeutsche Zeitung

Frauen bei den French Open:Mal eben beiseitegeschoben

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Grand-Slam-Turniere haben nicht die Aufgabe, die Welt zu retten. Aber sie können sie besser machen. Roland Garros und Direktorin Mauresmo hätten ein Gespür dafür haben müssen, dass nur eine Frauen-Ansetzung in zehn Night Sessions Debatten auslöst.

Kommentar von Gerald Kleffmann, Paris

Es hat bei den French Open bemerkenswerte Auftritte von Frauen gegeben. Die frühere Siegerin Simona Halep aus Rumänien erlitt eine Panikattacke während ihres Zweitrundenmatches gegen Zheng Qinwen und scheute sich nicht, ihre Schwäche zu schildern. Die Chinesin wiederum machte kein Geheimnis daraus, warum sie gegen die Polin Iga Swiatek zwischenzeitlich den Platz verließ. Sie hatte Menstruationsbeschwerden und sprach damit ein Thema an, das zu oft tabuisiert wird, nicht nur im Tennis. Die Amerikanerin Coco Gauff erreichte den größten Erfolg ihrer Karriere, mit 18 Jahren erreichte sie erstmals ein Grand-Slam-Finale, wo sie am Samstag auf Swiatek trifft, die 34 Siege in Serie verbucht hat, kaum zu glauben. Gauff nutzte den Moment, um eine Botschaft loszuwerden. Sie forderte ein Ende der Waffengewalt in den USA. Sie schweige nicht. Sie sei in erster Linie Mensch, dann Athletin. Starke Worte. Von allen.

Kann man da ernsthaft behaupten, solche Persönlichkeiten hätten nicht genügend Anziehungskraft? Deshalb zeige man lieber abends, in zehn "Night Sessions", neun Mal Männertennis? Der Markt verlange danach?

Für diese Formulierungen wurde Amélie Mauresmo nun viel kritisiert, sogar von Spielerinnen. Die einseitige Gewichtung der 2021 eingeführten Nachtmatches an zehn Abenden ist ein Politikum. Swiatek sprach von einer "Enttäuschung und Überraschung", schließlich sei die neue Turnierdirektorin selbst Profi gewesen. Ein guter Punkt. Tatsächlich aber muss man Mauresmo auch in Schutz nehmen. Als fürs Tagesgeschäft wichtigste Führungskraft von Roland Garros hat die 42-Jährige all das vererbt bekommen, was vor ihr fixiert wurde, dazu zählt ein Vertrag mit Amazon Prime, das in Frankreich die Nachtmatches sendet. "Das Fernsehen entscheidet, das ist die Welt, in der wir leben", sagte Novak Djokovic richtig. "Sie geben das Geld." Das ist der Preis solcher Deals.

In Paris ist Entrüstung Volkssport. Das Verkehrschaos nach den Night Matches verärgerte ja zu Recht auch viele Zuschauer

Inzwischen ruderte Mauresmo zurück, sie wollte nicht so verstanden werden, als habe sie das Frauentennis, das genauso attraktiven Sport wie das Männertennis bietet, diskreditiert. Man wolle prüfen, wie Ansetzungen gerechter aufgeteilt werden können. Eine Überlegung: ein Frauen- plus ein Doppelmatch auch mal am Abend; die Zuschauer, die ein Extraticket kaufen müssen, sollen ja auf ihre Kosten kommen und nicht nur ein schnelles 6:2, 6:1 sehen. Sonst gehen die nächsten auf die Barrikaden, in Paris ist Entrüstung ohnehin Volkssport. Das Verkehrschaos nach den Night Matches verärgerte ja zu Recht auch viele Zuschauer.

Ein Umdenken wird stattfinden, war Mauresmos Worten zu entnehmen. Das ist gut. Die Problematik brachte aber auch eine Entwicklung zum Ausdruck, die in der Folge der Pandemie eine neue Dimension erreicht hat: Grand-Slam-Turniere sind gewaltige Apparate geworden, ihre gesellschaftliche Verantwortung rückt zunehmend in den Fokus. Sich nur als Gelddruckmaschinen zu sehen, was Melbourne, Paris, Wimbledon, New York sind, funktioniert in einer sich selbst überholenden Welt immer schwerer. Wenn Frauen beiseitegeschoben werden, wird das nicht mehr klaglos hingenommen. Das Gespür hätte Roland Garros haben können.

Die Australian Open gerieten im Zuge der Affäre um den ungeimpften Djokovic unter Druck, gerade isolierte sich Wimbledon mit dem Alleingang, Russen und Belarussen auszuschließen. Sogar das berühmteste Turnier hat sich dabei überschätzt: Männer- und Frauentour verkündeten, keine Weltranglistenpunkte zu vergeben, niemand dürfe als Sportler aufgrund seiner Herkunft diskriminiert werden. Die Moralität, gerne von Eigeninteressen gelenkt, nimmt zu. Auf der ATP- sowie der WTA-Tour spielen ja auch Profis aus anderen Ländern mit schlechten Menschenrechtsbilanzen. Was macht man bei einem Präzedenzfall Wimbledon mit ihnen?

Nein, Grand Slams haben nicht die Aufgabe, die Welt zu retten. Nur muss ihnen bewusst sein: Sie sind derart mächtig, sie können sie besser machen. Das hat Mauresmo verstanden. Die zweimalige Grand-Slam-Siegerin sagte, sie müsse manches noch lernen. Das sollte man ihr zugestehen.

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