Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:Verstappen verlässt die Party vorzeitig

Lesezeit: 6 min

Der Niederländer hadert mit einer Strafe, Hamilton erhebt Vorwürfe gegen seinen Konkurrenten. Und Mick Schumacher funkt: "Tut mir leid." Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Anna Dreher

Max Verstappen

Nach all dem, was am Sonntag passiert war, hatte Max Verstappen keine große Lust auf die Siegerehrung. Nach den Hymnen und der Übergabe der Trophäen verließ der Niederländer die Party vorzeitig. Darauf angesprochen, sagte er: "Da war kein Champagner dabei, das hat keinen Spaß gemacht." Viel weniger Spaß dürfte ihm jedoch der Gedanke an ein Siegerfoto mit Lewis Hamilton gemacht haben. Der stand auf dem Podium ja da, wo Verstappen gerne gestanden hätte: ganz oben. Dann hätte er als WM-Führender sein Punktepolster gewahrt und bessere Chancen auf seinen ersten Titel gehabt. In den Stunden zuvor hatte er mit harter Fahrweise, umstrittenen Manövern und energischer Verteidigung versucht wettzumachen, dass der Mercedes schneller war.

Kurz zusammengefasst: Nach zehn von 50 Runden verunfallt Mick Schumacher, das Rennen wird unterbrochen, beim Neustart führt Verstappen, das Rennen wird nach weiteren Crashs erneut unterbrochen. Von der Rennleitung angeordnet, wird Verstappen nach einem umstrittenen Manöver nach hinten versetzt, beim nächsten Start kommt er wieder auf Platz eins, soll die Position jedoch an Hamilton zurückgeben, weil Verstappen zuvor unerlaubt die Strecke verlassen hatte. Beim Platztausch gibt es Verwirrung, Hamilton fährt Verstappen ins Heck, die Aufregung ist enorm, Hamilton überholt schließlich und gewinnt. Verstappen bleibt trotz nachträglich aufgebrummter Zehn-Sekunden-Strafe wegen Verzögerns Zweiter. "Wir reden hier mehr über Strafen als über Rennsport", sagte Verstappen später verärgert. "Das ist nicht, was ich unter Formel 1 verstehe, aber ich muss mich wohl damit abfinden."

Und nun steht es tatsächlich 369,5 zu 369,5 in der Gesamtwertung. Die Königsklasse bekommt am 12. Dezember in Abu Dhabi ihr großes Finale. In dieser Art gab es das erstmals 1974, als Clay Regazzoni und Emerson Fittipaldi punktgleich ins letzte Saisonrennen gingen. "Ich denke, das ist wirklich aufregend für die Meisterschaft und für die F1 generell", sagte Verstappen. Sollte dieser bis zuletzt spannende und hitzig geführter Titelkampf dazu führen, dass beide zum Saisonabschluss ausfallen, würde Verstappen trotz Punktegleichstand Weltmeister, weil er einen Grand Prix mehr (9:8) gewonnen hat als Hamilton. Ansonsten gilt: Wer gewinnt, ist Champion.

Lewis Hamilton

Bei Mercedes und bei Red Bull waren die Gemüter noch lange aufgeheizt. Wer hatte in welcher Szene die Grenzen überschritten? Wen traf wann die Schuld? Hätte es andere Strafen geben müssen? Von diversen Manövern diskutierten die Beteiligten am Ende vor allem eines: In Runde 37 verließ Max Verstappen beim Überholen von Lewis Hamilton die Strecke und erhielt daraufhin die Order, den Briten vorbeizulassen, um einer Strafe zu entgehen. Der Niederländer wurde langsamer, Hamilton fuhr dicht an ihn ran, wollte vorbei und traf den Red Bull dabei mit der rechten Seite im Heck. Hätte das zum Ausfall beider Fahrer geführt, wäre die Aufregung wohl noch größer gewesen.

"Ich bin in meinem Leben in den 28 Jahren gegen viele Fahrer angetreten und habe viele verschiedene Charaktere kennengelernt", sagte Hamilton. "Es gibt ein paar ganz oben, die über dem Limit sind. Regeln scheinen für sie nicht zu gelten oder sie denken nicht an die Regeln." Und Verstappen, befand der siebenmalige Weltmeister, "überschreitet das Limit mit Sicherheit. Ich habe so viele Kollisionen mit dem Typen vermieden".

Red Bull beteuerte, dass Verstappen nicht mutwillig abgebremst habe, der 24-Jährige suchte selbst nach einer Erklärung für den Vorfall, Mercedes fand sie in der fehlenden Information an Hamilton. Dieser habe zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er vorbeigelassen werden würde - weil das Team selbst erst kurz zuvor davon erfahren habe. "Es kann sein, dass es ein totales Missverständnis war. Lewis wusste nicht, dass er vorbeidurfte", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, der nun vor allem eines hofft: "Es gab heute genug Warnschüsse, dass es in Abu Dhabi hoffentlich nicht eskalieren wird. Niemand kann sich ein Saisonende leisten, in dem der WM-Kampf nicht auf der Rennstrecke ausgetragen wird."

Mick Schumacher

Mick Schumacher brachte den Stein gewissermaßen ins Rollen. Der reguläre Start des GP verlief fast schon langweilig, Hamilton fuhr vorneweg, der Rest des Feldes hinterher. Als Schumacher in der zehnten von 50 Runden die Kontrolle über seinen Wagen verlor und dabei nach Kurve 22 heftig in eine Streckenbegrenzung krachte, löste er damit die erste Rennunterbrechung aus. Sein Haas war derart demoliert, dass er abtransportiert werden musste. Die Reparaturarbeiten an der Mauer konnten nicht so schnell erledigt werden, dass das Safety Car ausreichte - die rote Flagge wurde geschwenkt, alle Autos fuhren zurück in die Boxengasse.

"Tut mir leid", funkte der 22-jährige F1-Neuling direkt nachdem er gemeldet hatte, okay zu sein. Später zeigte sich Schumacher am TV-Mikrofon nicht nur aus sportlichen, sondern auch aus finanziellen Gründen schwer enttäuscht über diesen Vorfall, der nicht der erste in dieser Saison war. Von Teamchef Günther Steiner hatte es bereits Ermahnungen gegeben, einen kleinen Rennstall wie Haas treffen solche Schäden härter als andere.

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel ist in der jüngeren Vergangenheit zum politischen Rennfahrer geworden, der Haltung zeigt und Kritik äußert: in Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsfragen. Auch in Saudi-Arabien wollte er ein Zeichen setzen. Der 34-Jährige trug erneut seine weißen Sneaker mit Regenbogenfahne, um - wie bereits in Ungarn - die LGBTQ-Gemeinschaft zu unterstützen. Am Donnerstag trug er zudem ein Kart-Rennen mit acht saudi-arabischen Frauen aus - in einem Land, in dem Frauen erst seit dem Sommer 2018 Auto fahren dürfen. Er wolle auf den positiven Wandel aufmerksam machen, es gehe darum "zu feiern, dass hier auch Frauen ans Lenkrad greifen dürfen, gerade in einem Sport, der normalerweise sehr von Männern dominiert wird". Vettel ermutigte sie und verriet Tricks, wie den Kopf abzuschalten und einfach dem Instinkt zu folgen.

Als er dann am Sonntag in diesem Sinne mit jedem Neustart Positionen gutmachte, sah es zunächst so aus, als könne es der viermalige Weltmeister von Startplatz 17 aus doch noch in die Punkte schaffen. Doch erst erwischte ihn Yuki Tsunoda, dann kam es auch noch zu einer Kollision mit seinem früheren Teamkollegen Kimi Räikkönen. Danach verlor der Aston Martin zu viele Teile und war zu demoliert. Vettel musste seinen Wagen vorzeitig in der Box parken. Sein Fazit immerhin war pointiert. "Was nehmen Sie mit aus diesem Rennen?", lautete die Frage - die Antwort: "Nix!"

Esteban Ocon

Es war tatsächlich Esteban Ocon, der in Saudi-Arabien vorne mitmischte. Das Chaos nach dem Unfall von Schumacher hatte den Franzosen im Alpine von Platz neun nach vorne gebracht. Beim Neustart kam Hamilton besser weg, doch beim Konter von Verstappen musste er bremsen, und so kam Ocon am siebenmaligen Weltmeister vorbei. Kaum hatte sich der 25-Jährige an eine für ihn seltene Perspektive gewöhnt, wurde das Rennen wieder unterbrochen - weil es hinten krachte. Nach dem Hin und Her am Funk zwischen Rennleitung, Mercedes und Red Bull war Ocon sogar Erster. Quelle chance!

In einem Auto, das den Titelkonkurrenten deutlich unterlegen ist, konnte er sich dort zwar nicht lange halten. Platz drei aber behauptete er tapfer und war dann so nah dran am Podium, dass es einem fast das Herz brach, wie sich Valtteri Bottas im schnellen Mercedes auf den letzten Metern Richtung Ziel noch an ihm vorbeischob. "Das Auto war genau richtig, aber wir kämpfen in einer anderen Liga als Mercedes. Den dritten Platz Sekunden vor der Ziellinie zu verlieren, ist sehr frustrierend", sagte Ocon - nicht jedoch, ohne eine Ansage zu machen. Nach Platz drei seines Teamkollegen Fernando Alonso in Katar und nun diesem Ergebnis zeige sich, dass Alpine in der Zukunft gefährlich sein könne.

Michael Masi

Der 42 Jahre alte Rennleiter steht in dieser Saison womöglich öfter im Fokus, als ihm lieb ist - aber es passiert Wochenende für Wochenende nun mal so viel, dass es das Eingreifen der Oberschiedsrichter der Formel 1 braucht. In Saudi-Arabien kam es dabei zu Szenen, an die sich die Motorsportwelt noch lange erinnern wird. Nach der zweiten Rennunterbrechung und dem umstrittenen Konter von Max Verstappen auf den Angriff von Lewis Hamilton liefen die Leitungen zwischen Michael Masi, Mercedes und Red Bull heiß. Die einen forderten eine Strafe, die anderen wollten das verhindern, und dann begann das Verhandeln wie auf einem Basar, was natürlich zum Veranstaltungsort passte.

Wenn Red Bull beim dritten Start des GP freiwillig auf Platz zwei rutschen würde, könne auf eine Strafe verzichtet werden, bot Masi an. Nun wollte Red Bull ausloten, wie weit sie gehen konnten. Wenn Esteban Ocon auf die Pole ginge, seien sie dabei. "Ihr müsst hinter Hamilton!", funkte daraufhin Masi. Red Bull bat um Bedenkzeit und willigte schließlich ein. Hätten sie das nicht getan, wären die Rennkommissare eingeschaltet worden. Vor der Unterbrechung lautete die Reihenfolge Verstappen, Ocon, Hamilton - nach der Funkfeilscherei Ocon, Hamilton, Verstappen. Und der GP von Saudi-Arabien war um eine Kuriosität reicher.

Der Dschidda Corniche Circuit

Ob der Dschidda Corniche Circuit wirklich fertig werden würde zum Rennwochenende, dahinter stand lange ein Fragezeichen. Doch am Donnerstagmorgen vor dem Rennen konnte Fia-Renndirektor Michael Masi den Kurs offiziell freigeben, nachdem er alles inspiziert hatte. In gerade einmal neun Monaten war die Strecke gebaut worden mit dem Ansinnen, den schnellsten Stadtkurs weltweit zu schaffen. "Es war für alle Beteiligten eine beeindruckende Reise", sagte Masi. Erst vor einem Jahr hatten die Veranstalter in Saudi-Arabien den Zuschlag erhalten, danach musste alles in Höchstgeschwindigkeit über die Bühne gehen, bis zuletzt waren Tausende Arbeiter damit beschäftigt, das Unterfangen ins Ziel zu bringen.

6,174 Kilometer ist die Strecke von Dschidda mit ihrer spektakulären Kulisse am Meer nun lang, damit ist sie nach Spa-Francorchamps die längste im aktuellen Kalender. Dass es den Streckenbauern tatsächlich gelungen ist, die Runde extrem schnell befahrbar zu machen, ließ bei den Fahrern in Kombination mit vielen Kurven, aber kaum Auslaufzonen schon erahnen, dass es ein ereignisreicher Sonntag werden könnte - und so kam es dann auch.

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