Süddeutsche Zeitung

Großer Preis von Österreich:Oranje-Party in der Steiermark

Lesezeit: 4 min

Max Verstappen gewinnt vor Tausenden Fans auch das zweite Rennen in Spielberg. Es ist sein dritter Sieg innerhalb von 14 Tagen - das gab es in der Formel 1 noch nie. Konkurrent Lewis Hamilton schafft es nicht einmal aufs Podium.

Von Philipp Schneider, Spielberg/München

Er habe sich dabei "ertappt, wie ich aufgewacht bin und gleich ans Rennfahren gedacht habe", das hatte Lewis Hamilton am Samstag erklärt. Auch wegen dieses Gedankens habe er beschlossen, Ende des Jahres noch nicht in die Rennfahrerrente zu gleiten, sondern seinen Vertrag bei Mercedes um zwei Jahre zu verlängern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit aber hatte Hamilton bei diesem Erweckungserlebnis nicht an jene Art des Rennfahrens gedacht, die er tags darauf erlebte.

Was sich 17 Runden vor Ende eines erstaunlichen Rennens vor seinem Visier abspielte, das muss ihm vorgekommen sein wie eine optische Täuschung: Ein gewisser Lando Norris, ausgestattet mit einem McLaren, scherte aus und flog dann vorbei an ihm. 20 Runden lang war Hamilton zu Beginn der Sause ohnehin hinter seinem 21-jährigen Landsmann hinterhergehechelt in Spielberg. Und während dieser Jagd über die Randsteine hatte er irgendwann seinen Silberpfeil so beeinträchtigt, dass er trotz eines Überholmanövers vorbei an Norris gegen Ende des Rennens doch noch zurückfiel auf Platz vier. Erst musste er seinen Teamkollegen Valtteri Bottas vorbeilassen, der nun schneller war. Dann Norris.

Und als dann um kurz nach halb fünf sein großer Widersacher Max Verstappen in der Steiermark vor Bottas und Norris über die Ziellinie schoss, da war Hamiltons Ernüchterung grenzenlos. "Ich habe mein Bestes gegeben. Ich konnte nicht mehr machen", klagte er. Er habe "massive Schäden" am Auto gehabt. Verstappen feierte den vierten Sieg in fünf Rennen, den dritten innerhalb von 14 Tagen - das gab es in der Formel 1 noch nie. Und nun ließ er sich einnebeln vor einer Wand aus Orange. Tausende Niederländer, gänzlich unmaskiert, und fröhlich, als sei die Pandemie vorbei, feierten, dass ihr Landsmann seine Führung im Gesamtklassement auf 32 Punkte ausgebaut hatte. In einem Meer aus Oranje zündeten sie teils lustig orangene Rauchtöpfchen. "Ich war selbst ein wenig überrascht, wie gut es gelaufen ist. Das Auto fuhr wie auf Schienen", sagte Verstappen.

Helmut Marko, der Motorsportberater von Red Bull, gelang es dann, die Erniedrigung des Gegners noch zu maximieren. "Wir haben das Tempo reduziert", sagte er auf Sky, "um nicht mehr über die Kerbs zu fahren." Hamilton hatte sich ja bei der Fahrt über ebenjene Begrenzungssteine das Auto beschädigt.

Mercedes? Platz vier. Langsamer als der eigene Kunde

Sebastian Vettel wurde, auf Platz 13 kreisend, in der letzten Runde von seinem besten Kumpel Kimi Räikkönen aus dem Rennen gedreht. Mick Schumacher schaffte es im Haas mal wieder als Vorletzter ins Ziel.

Vor einer Woche hatte Mercedes-Teamchef Toto Wolff zu verstehen gegeben, dass die strategische Planung des Teams vorsieht, sich eher auf das Auto der Zukunft zu konzentrieren als auf das Auslaufmodell der Gegenwart. Am Freitag hatte Hamilton per Unterschrift besiegelt, dass er auch dann noch Teil dieser Zukunft sein möchte, wenn er Ende 2023 schon 38 Jahre alt sein wird.

Eigentlich wollte Mercedes den Abstand zu Red Bull und Verstappen verkürzen, bei diesem zweiten von zwei Läufen auf der Strecke in Spielberg. Hamilton war dafür sogar eigens aus Österreich abgereist, um sich Mitte der Woche in einen Simulator in England zu setzen, in dem er gedachte, zumindest einen Hauch jener zwei Zehntel zu finden, die ihm pro Runde gefehlt hatten auf Verstappen. Doch anstatt etwas zu finden, vergrößerten sich die Probleme sogar - zunächst der Abstand zur Pole Position um ein Zehntel. Dann fehlte Hamilton auch im Rennen die gewünschte Rasanz.

Als besonders bitter erwies sich aus Sicht von Mercedes jedoch, dass sich diesmal sogar zwei Piloten zwischen den Pole-Setter Verstappen und Hamilton geschoben hatten: Von Platz drei rollte Verstappens Teamkollege Sergio Perez ins Rennen, und vor ihm parkte tatsächlich der schon seit ein paar Wochen sensationelle Norris, der die begehrteste Startbucht nur um den Hauch von 48 Tausendsteln verpasst hatte. In einem Auto, das bekanntlich von einem Motor angetrieben wird, den Mercedes produziert. Mercedes war langsamer als sein eigener Kunde. Und Norris machte noch den ziemlich guten Witz, es sei schön gewesen, in seinem orangenen Auto vor all den Oranjes auf den Tribünen zu fahren, die zu Tausenden nur wegen ihm gekommen seien.

Die Ampeln gingen aus in Spielberg, und genau wie in der Vorwoche blieb die Sortierung an der Spitze unverändert. Verstappen vereitelte einen blendenden Start von Norris, indem er sich gleich nach rechts treiben ließ. Weiter hinten gab es den Hauch einer Berührung: Esteban Ocon rieb seinen rechten Vorderreifen am Alfa Romeo von Kimi Räikkönen. Ocon kletterte aus dem Alpine. Das Safety Car rückte aus, nach vier Runden verschwand es wieder. Und dann wurde es turbulent: Perez griff Norris an, der konterte erfolgreich. Ein paar Kurven später probierte er es erneut auf der Außenbahn, dabei rutschte er ins Kiesbett, der Mexikaner fiel zurück auf Platz zehn. Die Kommissare schauten sich die Szene an, kamen zu dem Ergebnis, Norris habe Perez von der Strecke getrieben - und verurteilten ihn zu einer Strafe von fünf Sekunden.

Bottas schaffte es vorübergehend vorbei an Hamilton, wurde aber schnell wieder überholt. Nun kreiste Verstappen ganz auf sich gestellt an der Spitze, gefolgt von Norris und den zwei Silberpfeilen. Red Bull hatte seinen strategischen Vorteil verwirkt. Perez konnte Hamilton nicht länger bremsen. Freundlicherweise übernahm das aber nun Lando Norris.

Als erst die Hälfte des Rennens vorbei ist, fehlen Hamilton bereits 14 Sekunden auf Verstappen

"Sehr schwierig zu folgen", klagte Hamilton nach zehn Umdrehungen über sein gedrosseltes Rennfahrerdasein am Heck seines Landsmanns. Hamilton benötigte eine ganze Weile, erst in Runde 20 rollte er vorbei an Norris, der just in dem Moment Platz machte, als er von seiner Bestrafung durch die Kommissare erfuhr. Widerstand war fortan zwecklos. Hamilton bedankte sich bei Norris, er war endlich Zweiter. Aber in diesem Moment hatte Verstappen schon einen Puffer von 9,5 Sekunden auf ihn herausgefahren. Den er weiter fröhlich vergrößerte.

Nach 31 Runden hielten Norris und Bottas für einen frischen Satz Reifen. Weil Norris seine Strafe absitzen musste, fiel er nun zurück hinter den zweiten Silberpfeil. Eine Runde später fuhr Hamilton raus an seine Versorgungsstation, und eine Umdrehung nach ihm auch Verstappen. 14 Sekunden fehlten Hamilton nun schon auf den Red Bull. Das Rennen war erst zur Hälfte gefahren. Aber aus Hamiltons Sicht war es vorbei. Zumal dem Funkverkehr bei Mercedes zu entnehmen war, dass sich Hamilton auch noch die formvollendete Aerodynamik an seinem Flitzer beschädigt hatte.

Im Mittelfeld lieferten sich nun zumindest Perez und Charles Leclerc ein denkwürdiges Duell. Zweimal drückte Perez bei der Verteidigung seiner Linie den Ferrari ins Kiesbett. Zweimal erhielt er dafür eine Zeitstrafe. Leclerc schimpfte und fluchte im Funk. An der Spitze allerdings ließ sich Verstappen noch einen frischen Satz Reifen anschrauben, um sich völlig entspannt auch noch den Extrapunkt für die schnellste Rennrunde zu sichern. Er kam trotz des Stopps fluffige 18 Sekunden vor Bottas ins Ziel.

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