Süddeutsche Zeitung

Großer Preis von Kanada:König Max auf Butterfahrt

Lesezeit: 4 min

Max Verstappen lässt sich nicht mal von einem Vogel auf der Strecke aufhalten und rast in Montreal zum 100. Formel-1-Sieg eines Red Bull. Fernando Alonso und Lewis Hamilton duellieren sich immerhin sehenswert um Platz zwei.

Von Philipp Schneider

Sieben Runden vor Schluss knarzte eine letzte Warnung in den Kopfhörern von Fernando Alonso. Er war jetzt der Gejagte. Hamilton sei nur noch 1,9 Sekunden hinter ihm, wurde Alonso von seinem Renningenieur informiert. "Ich weiß. Überlass es mir", funkte der Spanier lässig zurück. Und hielt Wort. Gerade so schleppte sich der zweimalige Weltmeister noch vor Hamilton über die Ziellinie, geschüttelt offenbar von Problemen mit der Bremse wurde er trotzdem Zweiter.

Und sonst so?

Ach ja! Selbstverständlich gab es am Sonntag in Kanada auch einen Gewinner. Es war - scheppernde Fanfare - Max Verstappen, der triumphierte! Und dieser 100. Rennsieg eines Red Bull in der Formel 1 hätte vielleicht sogar ein spannenderes Drehbuch verdient als diese Butterfahrt von Verstappen auf der Strecke Circuit Gilles-Villeneuve.

Red Bulls Rennauto weit überlegen - Verstappen zieht mit Ayrton Senna gleich

100 Rennsiege haben immerhin lediglich Williams (114), Mercedes (125), McLaren (183) und natürlich Ferrari (242) erzielt. Doch ein derart überlegenes Rennauto wie der RB19 der Saison 2023 war möglicherweise nicht einmal Michael Schumacher, Alain Prost oder Lewis Hamilton jemals Untertan gewesen. Als Verstappen am Sonntag die Ziellinie querte, da hatte sein Rennstall alle acht WM-Läufe in diesem Jahr gewonnen, sechs davon er allein, der zweimalige Weltmeister aus den Niederlanden.

"Unglaublich! Ich habe nie gedacht, eine solche Zahl mal miterleben zu dürfen", gab Verstappen ob des runden Siegjubiläums von Red Bull freudig zu Protokoll. Für ihn persönlich war es der 41. Triumph seiner Karriere - damit zog er mit dem legendären Ayrton Senna gleich. An so einem historischen Tag kann man durchaus mal ein bisschen über Kleinigkeiten grübeln: Das Rennen sei gar nicht so einfach zu gewinnen gewesen, wie es ausgesehen habe, sagte Verstappen. "Es war kalt heute, wir haben die Reifen nicht direkt ins richtige Fenster bekommen."

Entlarvender war seine Heiterkeit kurz vor Rennende, als Verstappen mit seinem Red Bull über die Randsteine gerutscht war, und er trotz des Malheurs lachen musste: "Hehehe! Jetzt hätte ich mich fast selber rausgeworfen!"

Tags zuvor hatte Nico Hülkenberg für eine Überraschung gesorgt, als er sich für die zweitbeliebteste Parkbucht qualifizierte. Er hatte davon profitiert, dass die Zeitenjagd unmittelbar nach seiner schnellsten Runde wegen eines Unfalls unterbrochen wurde. Weil das Wetter sich nicht besserte, konnte keiner der Konkurrenten auf pitschnasser Strecke noch vorbeiziehen. Doch dann ermittelten die Rennkommissare gegen ihn und kamen zu dem Ergebnis, er habe die nach seiner schnellen Runde geltende Geschwindigkeitsbegrenzung nicht eingehalten. Also wurde er strafversetzt von Platz zwei auf fünf - und Alonso erbte seinen Startplatz hinter Verstappen, gefolgt von den beiden Silberpfeilen.

Die Ampeln gingen aus in Montreal und Verstappen zog sogleich unwiderstehlich davon. Er wolle Verstappen heute ein wenige ärgern, hatte der Spanier zuvor vollmundig angekündigt, "der Abstand soll nicht mehr 20, sondern nur noch zwei Sekunden betragen". Stattdessen wurde er dann seinerseits schon auf den ersten einhundert Metern von Hamilton geärgert, der nach einem Blitzstart an ihm vorbeizog. Alonsos Optimismus speiste sich aus der Vorfreude auf die Auswirkungen eines aerodynamischen Umbaus seines Aston Martins. Doch mit jeder Runde schwand die Hoffnung, dass dieser ausreichen würde, um Verstappen den Schrecken in den Gasfuß zu treiben.

"Ich glaube, ich habe einen Vogel angefahren!"

Während der König Verstappen hoch zu Ross ein Rennen gegen sich selbst ritt und den Abstand zum Fußvolk hinter sich rasch vergrößerte, schloss Alonso immer dichter auf zu Hamilton. Sein Hufeisenverschleiß, pardon, sein Reifenverschleiß sei höher als im zweiten Training, jammerte Verstappen im Funk, aber das Mitleid seiner Zuhörer hielt sich in Anbetracht von reihenweise schnellsten Rennrunden des Niederländers durchaus im nicht messbaren Bereich. Anders verhielt es sich bei Verstappens nächstem Funkspruch. "Ich glaube, ich habe einen Vogel angefahren!", rief er hinein in seine erlebte Einsamkeit an der Spitze. So mancher fühlte jetzt zumindest mit ihm - also dem unbekannten und auch unsichtbaren Vogel.

Als George Russell daraufhin mit seinem Mercedes die Mauer berührte und sich die Radaufhängung anknackste, rückte das Safety Car auf die Strecke. Russell schleppte sich mit einem Platten an die Box, fuhr noch eine Weile weiter, die Zielflagge sah er aber nicht. Verstappen, Hamilton und Alonso nutzten die Gelegenheit für zeitsparende Besuche in der Versorgungsgasse. Der Brite wurde von seiner Crew viel langsamer abgefertigt als der Spanier, haarscharf wurde er vor diesem zurück auf die Piste geschickt, Alonso musste bremsen, um ihm nicht ins Heck zu rauschen.

Nach dem fliegenden Wiederstart führte Verstappen vor Hamilton und Alonso, dahinter rollten die Ferraris von Charles Leclerc und Carlos Sainz sowie Sergio Pérez im zweiten Red Bull, alle drei waren noch nicht an der Box gewesen. Und wo war Hülkenberg? Der hatte Pech, weil er die Box in der Runde vor dem Safety Car angesteuert hatte, als noch Renntempo gefahren wurde - deshalb war er zurückgefallen auf Platz 15. Und dort beendete er auch das Rennen.

Um Verstappen vielleicht doch noch ein bisschen zu ärgern, musste sich Alonso zunächst Hamilton schnappen. Nach 22 von 70 Runden zwängte er sich in der Schikane vor der Zielgerade an ihm vorbei - nun war er wieder Zweiter, aber das Tempo des WM-Führenden konnte er nicht ansatzweise mitgehen. "Ich verliere Grip an meinen Reifen", klagte dieser nun weiter. Jaja, Max, alles okay, wir haben verstanden, funkte sein Kommandostand lakonisch zurück. "Einfach Kopf runter und weiter."

Zwei Piloten schlittern in den Notausgang - dann parkt einer den anderen zu

Für das größte Spektakel sorgten vorübergehend Kevin Magnussen und Nick De Vries mit ihrem Duell um Rang zwölf. Sie beharkten sich über mehrere Kurven, ehe sie sich beide zeitglich verbremsten, in den Notausgang schlitterten und stehenblieben. Damit er garantiert nicht vor ihm im Rückwärtsgang auf die Strecke zurückkehren würde, parkte Magnussen seinen Rivalen sozusagen zu.

Als ihm nun endgültig dämmerte, dass er Verstappen nicht würde ärgern können, sah Alonso zumindest zu, dass ihn Hamilton nicht piesacken konnte. Da der Niederländer in diesem Moment bereits auf schonender Schleichfahrt in Richtung Ziel tuckerte, fuhren die zwei verbliebenen Rivalen abwechselnd schnellste Rennrunden - und am Ende rettete sich der zweimalige Weltmeister vor dem siebenmaligen ins Ziel.

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