Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Saudi-Arabien:Diese Attacke trifft die Formel 1 in Boomzeiten

Lesezeit: 4 min

Die Veranstalter der Rennserie befinden sich mit den Grand Prix im Nahen Osten in einem gefährlichen Spiel - das verdeutlicht der Anschlag nahe der Rennstrecke von Dschidda auf schockierende Weise.

Von Elmar Brümmer

Stefano Domenicali, der so etwas wie der Bernie Ecclestone der Neuzeit ist, hat seit seinem Amtsantritt an der Spitze des "Formula One Managements" keinen leichten Job gehabt. Aber der ehemalige Teamchef von Ferrari und CEO von Lamborghini hat schon das vergangene Pandemie-Rennjahr zu einem sportlichen und finanziellen Erfolg werden lassen. Und jetzt soll mit einem veränderten Reglement und einer Budgetbegrenzung eine ganz neue Ära in der Königsklasse beginnen.

Die hat sich beim Auftakt vergangenes Wochenende in Bahrain auf Anhieb als Erfolg herausgestellt. Entsprechend gut gelaunt reiste der Italiener die 1500 Kilometer von Manama nach Dschidda, wo an diesem Wochenende der Große Preis von Saudi-Arabien angesetzt ist. Die einzige Krise, die der 52-Jährige erwarten konnte, war die Diskussion über das Netflix-Epos "Drive to survive" . Die Doku-Serie ist zur weltweiten Werbekolonne für die F1 geworden. Einige Fahrer, allen voran Weltmeister Max Verstappen, beschweren sich aber zunehmend über die Fantasie der Autoren und Cutter, die Konflikte konstruieren würden, wo keine wären.

Als am Freitagnachmittag eine Raketendrohne der jemenitischen Huthi-Rebellen 20 Kilometer von der Rennstrecke an der Corniche von Dschidda in ein Tanklager einschlug, das dem F1-Topsponsor Aramco gehört, war das keine kleine Krise mehr, eher ein Konflikt. Zumindest einer des Gewissens. Plötzlich ist Domenicali selbst in der Rolle des Storytellers: Welche Geschichte will der Rennzirkus erzählen mit seiner Expansion in die arabischen Staaten: etwa die einer rasenden Völkerverständigung? Die der absoluten Gewinnmaximierung? Oder einfach die der Rundentabelle des zweiten WM-Laufs, business as usual?

Die Attacke auf die immer noch ausbrennende Raffinerie trifft die F1 mitten in Boomzeiten, wo sich die Vermarkter bereit machten, das mit 23 Rennen ohnehin schon stattliche Programm auf 30 WM-Läufe pro Jahr auszuweiten; dabei die Auftritte im europäischen Kernland weiter auszudünnen - selbst die Klassiker Monaco, Le Castellet und Spa haben über 2022 hinaus keinen gültigen Vertrag. Bewerber für die Rennen gäbe es wohl genug, vorrangig in Ländern ohne große Motorsporttradition.

Die Formel 1 fährt vorrangig in Gegenden ohne besondere Renn-Tradition

So ist auch der Nahe Osten zu der Ehre gekommen, aktuell fünf Rennen in Serie austragen zu können - mit Startgeldern zwischen 50 und 70 Millionen Euro. Pro Jahr. Da kann kein Veranstalter in Deutschland mithalten. Die Ereignisse in Saudi-Arabien deuten auf eine nicht ungefährliche Dreiecksbeziehung hin, in der Domenicali und die F1 stecken, zwischen Börsenwert, Unterhaltungswert und sportlichem Wert. Natürlich gäbe es da auch noch ein paar moralische Werte.

Die Huthi-Rebellen aus Jemen verfolgen mit der Attacke ein ähnliches Ziel wie die saudische Regierung mit dem Gastspiel: Sie wollen Aufmerksamkeit erlangen, sich positionieren. Die F1 kassiert laut dpa angeblich für zehn Jahre 900 Millionen US-Dollar Antrittsprämie. Human Rights Watch kritisiert dieses Engagement scharf: "Saudi-Arabien hat immer wieder prominente Persönlichkeiten und internationale Großveranstaltungen genutzt, um von seinen weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen abzulenken."

Erst kurz vor dem Eintreffen der Rennserie wurden 81 Menschen hingerichtet. Journalisten, die in offiziellen Interviewrunden die Rennfahrer darauf ansprechen, ernten meist nur ratlose Blicke als Antworten. Lewis Hamilton, Vorkämpfer für Diversität, hatte bereits im Vorjahr mit einer geschickten rhetorischen Gegenfrage an sich selbst seine Position verdeutlicht: "Fühle ich mich hier wohl?" Um dann zu antworten: "Ich würde nicht sagen, dass ich das tue. Aber es ist nicht meine Wahl gewesen, hier zu sein. Der Sport hat sich dafür entschieden." Nach dem siebenmaligen Weltmeister richten sich die meisten Fahrer mit ihren Aussagen.

Von den Fahrern wollte ein Großteil offenbar zunächst nicht starten

Der Anschlag und die grassierende Angst im Fahrerlager - der deutsche Fernsehsender Sky hat sein Reporterteam sofort zurückbeordert - hat Domenicali die halbe Nacht zum Samstag gekostet. Der Manager stand bisher immer auf dem Standpunkt, dass der Motorsport Scheinwerferlicht in Staaten wie Saudi-Arabien bringe, und deshalb auch die Verhältnisse im Land beleuchten würde und dadurch den Wandel befördere.

Nachdem die Trainingssitzungen am Freitag noch halbwegs geordnet über die Bühne gingen, drohten zunächst die Teams mit einem Boykott. Als diese befriedet waren, wohl mit Hinweis auf die Finanzen, gab es zwei lange Meetings mit den Fahrern, von denen ein Großteil offenbar zunächst nicht starten wollte. Erst Sicherheitsgarantien der saudischen Regierung verhinderten die drohende Absage des zweiten WM-Laufs.

"Es war ein schwieriger Tag für die Formel 1 und ein aufreibender Tag für uns Fahrer", teilte die Pilotengewerkschaft GPDA mit. Es sei schwierig gewesen, voll konzentriert zu bleiben und alle natürlichen menschlichen Bedenken auszuschalten, wenn man den Rauch von dem Vorfall gesehen habe.

Wenig überraschend als Fürsprecher, den erst vor fünf Monaten erstmals ausgetragenen Grand Prix am Roten Meer unbedingt durchzuziehen, präsentierte sich der neue Präsident des Automobilweltverbandes. Mohammed Ben Sulayem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, erster Nichteuropäer an der Spitze in 117 Fia-Jahren, will den Motorsport in seine Heimatregion tragen.

Einfacher wird das nach den aktuellen Vorkommnissen nicht, auch wenn Ferrari-Teamchef Mattia Binotto tapfer daran festhält, dass die Formel 1 den Saudis "eine positive Botschaft" vermitteln müsse. Niemand aus seinem Team wollte abreisen, und für die Fahrer sei es gut gewesen, sich aussprechen zu können.

Der dahinter stehende Vorsatz "Die Show muss weitergehen" mag für dieses Wochenende gelten. Generell aber muss sich die Serie fragen, ob auf Dauer ein Land Austragungsort sein kann, das Krieg mit einem Nachbarn führt, dort eine humanitäre Katastrophe verursacht, das Regierungskritiker verfolgt oder töten lässt. Auch wenn die Abhängigkeit groß ist, muss die Formel 1 gut überlegen, ob sie noch einmal riskieren kann, Ziel von Terrorismus zu werden. Außer den Gastgebern tut sie damit niemand einen Gefallen. Es bleibt ein Spiel mit dem Feuer.

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