Süddeutsche Zeitung

Zuschauer in Hallen und Stadien:Der Sport ist längst im Überlebenskampf

Lesezeit: 2 min

Einige Bundesliga-Manager wollen trotz hoher Corona-Zahlen weiter vor Publikum spielen. Der Vorschlag ist unpassend in dieser Zeit - aber den Vereinen ist nicht zu verdenken, dass sie auf kreative Gedanken kommen.

Kommentar von Claudio Catuogno

Besonders blöd gelaufen ist die Sache mit dem positiven Corona-Test kürzlich bei Norris Cole, dem Spielmacher des französischen Basketball-Spitzenklubs Asvel Lyon-Villeurbanne. Als wenige Minuten vor dem Ligaspiel bei Cholet Basket der Befund hereinflatterte, stand Cole schon zum Aufwärmen auf dem Parkett. Und weil sein Trainer der Meinung war, das könne man jetzt auch nicht mehr ändern ohne Punktabzug, hielt er Folgendes für die, nun ja, sicherste Lösung: Cole spielte 40 Sekunden - und wurde dann ausgewechselt.

Ein Skandal? Irgendwie schon; der Bürgermeister von Cholet drohte jedenfalls mit Strafanzeige. Andererseits: Was sind schon 40 Sekunden? Braucht es für einen Risikokontakt der Kategorie 1 - kurz beim Robert-Koch-Institut nachgelesen - nicht einen "kumulativ mindestens 15-minütigen Face-to-face-Kontakt mit einem Quellfall"? Eben! Vielleicht ist der Fall (bzw. Quellfall) Norris Cole ja gar kein Skandal, sondern ein Vorgeschmack!

Jede Regel, die einem nicht passt, lässt sich im Zweifel etwas anders auslegen. Das kann man gerade auch an ein paar Managern der Fußball-Bundesliga beobachten. An Männern wie Stefan Reuter (FC Augsburg) oder Alexander Wehrle (1. FC Köln), die sich jetzt damit konfrontiert sehen, dass ihre schönen Hygienekonzepte, mit denen sie die Wiederzulassung von Publikum in den Stadien absichern wollten, nichts mehr wert sind. Nicht wegen der Konzepte, sondern weil sich im Leben um sie herum leider die Inzidenzlage zuspitzt. In Augsburg lag sie am Donnerstag bei 64 wöchentlichen Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern, in Köln bei 69. Ab 35, so hatte man es mal verabredet, sind Spiele vor Publikum tabu. Aber muss das so sein? Könnte man, fragen Reuter, Wehrle und Co., den Fußball nicht abkoppeln von den Inzidenzzahlen - und einfach trotzdem vor Zuschauern spielen?

Wo welche Regeln gelten, da blickt längst keiner mehr durch

Natürlich passt so ein Vorschlag schlecht in eine Zeit, in der in Berlin die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten fast verzweifelt versuchen, die Kontakte der Menschen im Land zu unterbinden, ohne dafür wieder Schulen und Geschäfte schließen zu müssen. Andererseits kann man es den Vereinen auch nicht verdenken, dass sie im Überlebenskampf auf kreative Gedanken kommen.

Und der Sport ist ja genau das längst: im Überlebenskampf. Die Deutsche Eishockey-Liga weiß überhaupt nicht, wann und wie sie wieder loslegen soll; Profis wie Moritz Müller, immerhin Kapitän der Nationalmannschaft, flüchten jetzt in die zweite Liga. Die Volleyball-Saison startet, aber mehrere Teams sind schon zum Auftakt nicht dabei. Die Handballer spielen, wissen aber auch nicht, wie lange noch. Die Basketballer wiederum warten noch auf ihre Bundesliga, jetten aber im Namen der Euroleague schon von Risikogebiet zu Risikogebiet, und wehe, sie treten mal nicht an: Dann wird ihr Spiel 0:20 gewertet!

Wo welche Regeln gelten, da blickt längst keiner mehr durch. Aber wer weiß, vielleicht bedeutet die dynamische Pandemielage ja bald auch dies: Alle Corona-Positiven spielen einfach überall mit, aber bitte nur RKI-konforme 14:59 Minuten!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5072451
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.