Mining Secrets

„Bergbau ist ein extrem intransparenter Sektor“

Es kommt oft zu Konflikten und Menschenrechtsverletzungen in den Rohstofflieferketten. Warum das so ist und welche Verantwortung deutsche Konzerne tragen, erklärt die Sozialforscherin Melanie Müller.

Interview von Lena Kampf
6. März 2022 - 5 Min. Lesezeit

SZ: Welche Verantwortung tragen deutsche Unternehmen, wenn sie Geschäfte im Ausland machen?

Melanie Müller: Sie müssen sich zunächst einmal an die Gesetzgebung vor Ort halten, also an die dort geltenden Arbeitsstandards, Emissionswerte, Gewässerschutz und so weiter. Probleme entstehen aber häufig, wenn es in Staaten mit schwacher Staatlichkeit oder in fragilen Staaten nicht gelingt, diese Gesetze umzusetzen, zu kontrollieren und Rechtsbrüche zu ahnden.

Das heißt, wenn die Standards in solchen Ländern niedrig sind, sind auch ausländische Unternehmen dort aus der Verantwortung?

2011 wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, die auf internationalen Verpflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechten basieren. Sie besagen, dass Unternehmen sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen können in solchen Fällen, sondern dass ihnen eine Mitverantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten zukommt.

Das bedeutet konkret, dass sie sich eine eigene Menschenrechtsagenda geben sollen, dass sie Menschenrechtsverletzungen in ihrem Umfeld beobachten und verhindern. Und dass sie - sollte es zu Verletzungen kommen - Maßnahmen ergreifen müssen, um diese wieder abzustellen. Sie können zum Beispiel auf Ihre Geschäftspartner einwirken. Als letzte Konsequenz bleibt der Abbruch der Geschäftsbeziehungen.

Gilt das auch für Zulieferer? Unsere Recherchen haben ergeben, dass mindestens fünf deutsche Firmen die Fénix-Mine in Guatemala mit Equipment beliefert haben.

Das gilt für alle Firmen, die in einem riskanten Umfeld agieren, auch für Zulieferer. Wenn es im Umfeld der Mine zu Menschenrechtsverletzungen kommt, muss genau geklärt werden, welche Akteure dafür die Verantwortung tragen und welche möglicherweise auch eine Mitverantwortung tragen. Dies zu klären ist am Ende oft Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen.

„Viele Gemeinden sind sehr gespalten, weil ein Teil von der Mine profitiert."

Und gerade in einem Umfeld, in dem der Staat selten Recht durchsetzt oder die Unabhängigkeit der Justiz in Frage steht, ist dies besonders schwierig nachzuweisen. Dort fehlt oft die Kapazität oder die Bereitschaft dazu, von Anfang an ein gutes Monitoring für zum Beispiel Umweltfolgen aufzubauen. Die Beweislast liegt in den meisten Fällen zudem bei den – oft marginalisierten – Betroffenen.

Warum kommt es gerade im Bergbausektor so oft zu Konflikten und Menschenrechtsverletzungen?

Industrieller Bergbau ist immer ein massiver Eingriff in die Natur. Man braucht den Zugang zu Land, häufig viel Wasser. Dabei entstehen Emissionen, Schadstoffe und Abwässer, auch saure Grubenabwässer. Das ist auch gerade dann ein Problem, wenn Minen nicht renaturiert werden, nachdem der Abbau eingestellt wurde. Und gleichzeitig sind das riesige Infrastrukturprojekte, die massive Veränderungen für das soziale Gefüge vor Ort mit sich bringen. Teilweise geht es um die Umsiedlung von ganzen Dörfern, sehr häufig in Regionen, die in der Peripherie liegen, die von Armut geprägt sind.

Betreiber solcher Minen argumentieren gerne damit, dass sie solche Gegenden entwickeln, den Wohlstand der Bevölkerung mehren.

In meiner Forschung habe ich mir verschiedene Konflikte in unterschiedlichen Ländern rund um Bergbauoperationen angeschaut, das läuft meist nach sehr ähnlichen Mustern ab. Einerseits werden den Gemeinden Arbeitsplätze in die Region versprochen, es gibt wirtschaftliche Anreize für die Bevölkerung, schnell zuzustimmen, wenn sie konsultiert werden. Dann folgt oft eine Enttäuschung, weil natürlich die Arbeitsplatzeffekte langfristig in so hochtechnisierten Operationen gar nicht so hoch sind, zumindest nicht für die lokale Bevölkerung.

„Bergbau ist ein extrem intransparenter Sektor"

Es kommt ein bisschen auf den Kontext an, aber viele Gemeinden sind sehr gespalten, weil ein Teil von der Mine profitiert. Aber gerade diejenigen, die nicht davon profitieren, bekommen eher die negativen Konsequenzen zu spüren, indem sie etwa das lokale Trinkwasser nicht mehr benutzen können oder sie unter der Luftverschmutzung leiden – dann führt das zu enormen Spannungen. Dazu kommt, dass Bergbau ein extrem intransparenter Sektor ist, bei dem viele verschiedene Akteure an einer Operation beteiligt sind oder zuliefern. Das gilt ja auch für die Endverbraucher: Nehmen Sie Ihr Mobiltelefon als Beispiel, da sind sehr viele verschiedene Rohstoffe verbaut, und jeder dieser Rohstoffe hat eine eigene Lieferkette, die sehr schwierig nachzuvollziehen ist.

Da sollte das deutsche Lieferkettengesetz Abhilfe schaffen, das im Juni 2021 verabschiedet wurde, oder?

Ja, das Gesetz wird 2023 in Kraft treten und wird laut des deutschen Entwicklungsministeriums dann zunächst für rund 900 Unternehmen und ab 2024 für schätzungsweise 4800 Firmen in Deutschland gelten, das hat etwas mit der Anzahl der Mitarbeiter zu tun. Diese Unternehmen müssen, wenn sie importieren, Risikoanalysen machen und sollten nicht mehr bei Zulieferern kaufen, bei denen es zu Verstößen gegen Menschenrechtsstandards kommt.

Dabei unterscheidet man zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern. Die direkten Zulieferer müssen sie gut kennen und aktiv auch deren Umfeld im Blick behalten, indem sie etwa lokale Presseberichte und Berichte von NGOs und Betroffenen vor Ort lesen. Das ist natürlich schon sehr viel mehr Aufwand. Bei mittelbaren Zulieferern, also weiter weg in der Lieferkette, werden die Unternehmen verpflichtet zu handeln, wenn sie Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen erhalten.

Welche Menschenrechte schützt das Gesetz?

Das Gesetz umfasst soziale und politische Rechte, also das Recht auf Leben, Gesundheit, gerechte Arbeitsbedingungen. Weitreichende Umweltrechte fallen aber nicht darunter, und es gibt auch keine zivilrechtliche Haftung, anders als etwa in Frankreich. Beides könnte aber durch ein EU-weites Lieferkettengesetz korrigiert werden, dessen Entwurf gerade von der EU-Kommission veröffentlicht wurde. Aber auch hier muss man darauf hinweisen: Rohstoffe werden von europäischen Firmen aus Schmelzen und Raffinerien weltweit bezogen, die wiederum Komponenten aus verschiedenen Minen zusammenschmelzen.

Im Rohstoffsektor fehlt es an Transparenz – beim Abbau aber auch bei Schmelzen, die die Herkunft ihrer Rohstoffe häufig nicht offen legen. Das macht es bislang unmöglich, die Lieferkette vom Abbau bis Endprodukt genau nachzuvollziehen – obwohl es an allen Stationen der Lieferkette zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.

Team
Text Lena Kampf
Digitales Design Samira Roll
Digitales Storytelling Joshua Beer
Redaktion Ralf Wiegand
Schlussredaktion Florian Kaindl