Süddeutsche Zeitung

Waffenlieferungen im Bundestag:Große Zustimmung, aber keine Einigkeit - und kein Kanzler

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Der Bundestag stimmt dem Antrag zu Waffenlieferungen für die Ukraine mit großer Mehrheit zu. Trotzdem ist von großer Einigkeit im Parlament nicht viel zu sehen. Besonders die Vorsitzenden von CDU und SPD teilen kräftig aus. Und einer fehlt ganz: Olaf Scholz.

Von Stefan Braun und Philipp Saul

Es hätte eine Bundestagsdebatte werden können, bei der sich ausnahmsweise mal die meisten Abgeordneten einig sind. Nach Tagen intensiven Ringens hatten sich die Ampelfraktionen SPD, Grüne und FDP in seltener Einmütigkeit mit der Union auf einen Antrag zu Waffenlieferungen an die Ukraine geeinigt. An diesem Donnerstag sollte diese Verständigung durch eine Abstimmung bestätigt werden. Eine Verständigung, in der die Abgeordneten der Ampel wie der größten Oppositionsfraktion die Bundesregierung auffordern, Kiew auch "schwere Waffen und komplexe Systeme" zu liefern. Keine Kleinigkeit, sondern eine Entscheidung, die es so in der Republik noch nicht gegeben hat.

Die Koalition hat eine Weile gebraucht, um sich dazu durchzuringen, auch schweres Gerät für die Ukraine freizugeben. Im Bundestag erklärt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann zu Beginn der Sitzung, wie schwer dieser Abwägungsprozess für viele war: "Wir ringen um ehrliche Antworten, wir wägen ab, wir zweifeln, aber wir entscheiden auch."

Für die Lage in der Ukraine verwendet sie harte Bilder. Angesichts der "schrecklichen Bilder von Verletzten, Toten, Flüchtlingen und Durstenden in Bunkern" wache sie jeden Morgen mit "Trauer und Fassungslosigkeit" auf. Es sei richtig, jetzt wirtschaftlich, finanziell, humanitär zu helfen, "aber auch schwere Waffen zu liefern". Am Ende ihrer Rede bedankt sich Haßelmann ausdrücklich bei der Union für die gemeinsame Arbeit an dem Antrag.

Dann tritt Friedrich Merz ans Pult - und allen Anwesenden wird klar: ganz so friedlich und einmütig soll es nach dem Willen des Unionsfraktionschefs dann doch nicht werden. Auch wenn sich der Bundestag später mit einer großen Mehrheit von 586 zu 100 Stimmen für die Lieferungen aussprechen wird, teilt der Oppositionsführer zunächst einmal kräftig gegen Olaf Scholz aus.

Der Kanzler habe Kritiker seiner Politik als "Jungs und Mädels" abqualifiziert. Solch ein Sprachgebrauch bringe Unsicherheit und Schwäche zum Ausdruck. Auch Merz wirft Scholz Zögern, Zaudern und Ängstlichkeit vor. Genüsslich weist der Oppositionsführer auf Unstimmigkeiten innerhalb der Koalition bei Waffenlieferungen hin. Das größte Problem für Scholz sei nicht die Opposition, sondern die Uneinigkeit in den eigenen Reihen.

Sein Diktum: Wenn die Bundesregierung eine klare und einvernehmliche Haltung eingenommen und sich der Kanzler klar positioniert hätte, "dann wäre weder der Antrag nötig gewesen noch diese ganze Debatte heute Morgen". Merz kritisiert zudem die Scholz-Aussage, er sorge sich, dass deutsche Waffenlieferungen die Gefahr eines dritten Weltkriegs erhöhen. Das sei eine "groteske Umkehr von Ursache und Verantwortung für diesen Krieg".

Wenn der CDU-Vorsitzende den SPD-Bundeskanzler mit scharfen Worten attackiert, dann lässt eine Antwort von Seiten der Sozialdemokraten normalerweise nicht lange auf sich warten. Nicht anders ist es am Donnerstagmorgen. Als Lars Klingbeil direkt nach Merz ans Mikrofon tritt, wird deutlich, wie groß die Kluft weiter zwischen Regierung und Opposition ist: "Das hätte heute eine staatspolitische Rede von Ihnen werden können. Es ist aber eine parteipolitische Rede geworden", sagt der SPD-Chef - und keilt dann - nicht weniger parteipolitisch - kräftig gegen die Union zurück. Diejenigen, die von Seiten der Ampel an dem Antrag geschrieben haben, hätten nach dem Prinzip "Erst das Land, dann die Partei" gehandelt. Das hätte er sich auch von den Redenschreibern des CDU-Chefs gewünscht.

Von den anderen Oppositionsparteien gibt es gar keine unterstützenden Worte. AfD-Parteichef Tino Chrupalla wirft der Ampel vor, Deutschland mit Waffenlieferungen "aktiv in einen Krieg hineinzuziehen". Die AfD dagegen habe gehofft, dass der Krieg nach wenigen Tagen vorbei sei und "die Bevölkerung der Ukraine wieder in Ruhe leben kann". Er sagt nicht, was ein schnelles Ende unweigerlich geheißen hätte, nämlich einen Sieg Russland. Und er redet gar nicht darüber, wie das Leben unter russischer Herrschaft für die Ukrainer tatsächlich aussehen würde.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, verlangt, dass mehr über diplomatische Initiativen gesprochen werde. Nur so könne "der Krieg Putins" schnellstmöglich enden, sagt Bartsch. Er kündigt an, dass sich auch die Linksfraktion gegen Waffenlieferungen aussprechen werde. Der Fraktionschef kritisiert, dass Kanzler Scholz sein Zögern bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine erst vor wenigen Tagen mit der Sorge vor einem Atomkrieg begründet habe und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nun plötzlich verkünde, dass doch Panzer geliefert würden. Die Bundesregierung vollziehe "jeden Tag eine Kehrtwende", klagt Bartsch. "Wir erleben ein Kommunikationsdesaster der Ampel."

Olaf Scholz übrigens verteidigt sich an diesem Vormittag nicht selbst gegen die Attacken aus der Opposition. Der Kanzler weilt auf Staatsbesuch beim G-7-Partner in Japan. Auch dafür wird Scholz angegangen: Merz nennt die Reise ein völlig falsches Signal; der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla spricht herablassend von einem "Besuch zur Kirschblüte in Japan". Womöglich ist es dem Kanzler auch ganz recht, den Angriffen der Opposition nicht im Bundestag lauschen zu müssen. Sein Stuhl auf der Regierungsbank bleibt jedenfalls leer.

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