Süddeutsche Zeitung

Klimakrise:EU will Atomkraft und Erdgas als "grün" einstufen

Lesezeit: 3 min

Einem Vorschlag der EU-Kommission zufolge sollen diese Energieträger künftig als nachhaltige Investitionen angesehen werden. Die Grünen üben scharfe Kritik.

Von Thomas Hummel, München

Die EU-Kommission will Investitionen in Atomkraft und Erdgas als "grün" oder "nachhaltig" anerkennen. Das geht aus einem Papier hervor, das am späten Abend des 31. Dezembers an die Mitgliedsstaaten verschickt wurde. Demnach sollen neben emissionsfreien Technologien wie Wind und Solar auch Atom und Gas in die sogenannte Taxonomie aufgenommen werden, die den Finanzmärkten eine Orientierung geben soll, welche Investitionen klima- und umweltfreundlich sind.

Damit deutet sich vorerst eine Entscheidung an in einem hoch emotional geführten Ringen. Vor allem die Grünen laufen Sturm dagegen, Kernkraft und Erdgas als grün zu bezeichnen. Ihr klimapolitischer Sprecher im EU-Parlament Michael Bloss kommentiert: "Kommissionschefin Ursula von der Leyen zerstört mit diesem Vorschlag die Glaubwürdigkeit des europäischen Ökosiegels für Finanzinvestitionen." Es sei, als würde man ein Ei aus Käfighaltung als bio abstempeln. Bloss spricht von einem "Etikettenschwindel sondergleichen".

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck erklärte der Deutschen Presse-Agentur: "Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch." Dabei sei es ohnehin fraglich, ob "dieses Greenwashing überhaupt auf dem Finanzmarkt Akzeptanz findet". Auch Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen sagte, sie halte die Pläne der EU für falsch.

Zuletzt hatten sich allerdings die Zeichen verdichtet für eine solchen Vorschlag. Zu stark war der Druck vieler Mitgliedsstaaten und wohl auch der Einfluss von Interessengruppen, die den Übergang raus aus fossilen Energiequellen entweder mit Kernkraft oder mit Gas als Übergangstechnologie gestalten wollen. Der Entwurf für den Rechtstext geht demnächst auch an das Parlament in Straßburg. Für die Kritiker dürfte es aber schwierig werden, diesen Vorschlag noch zu stoppen.

Für die Atomkraft setzte sich eine Gruppe von Staaten unter der Führung Frankreichs ein. Präsident Emmanuel Macron kündigte zuletzt an, massiv in neue Atommeiler investieren zu wollen. Will Frankreich weiterhin einen Großteil seines Stroms mit Atomkraft abdecken, ist das auch nötig, weil die aktuelle Flotte von 56 Kraftwerken immer älter wird und Stilllegungen drohen. Doch neue Kraftwerke zu bauen, kostet viel Geld, wie der aktuelle Neubau in Flamanville an der Atlantikküste zeigt. Die Kosten schnellten in die Höhe, die Fertigstellung verzögerte sich.

Fünf Länder votieren gegen Atomkraft - zu wenige

Nun sollen Investitionen in neue Kraftwerke bis 2045 in die Taxonomie aufgenommen werden. Zudem auch die Laufzeitverlängerung aktueller Atommeiler. Das könnte private Gelder mobilisieren. Dafür muss ein Land einen konkreten Plan für den Betrieb eines Endlagers für für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegen.

Auf der anderen Seite steigt Deutschland gerade aus der Atomkraft aus, zum Jahreswechsel wurden die Meiler in Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen (Bayern) abgeschaltet. Damit laufen hierzulande nur noch drei Meiler, die Ende 2022 abgedreht werden.

Deutschland, Österreich, Luxemburg, Portugal und Dänemark votieren offen gegen eine Aufnahme der Atomkraft. Das reicht allerdings in Brüssel nicht für eine Mehrheit. Deshalb wurde offenbar ein Kompromiss gesucht, und der heißt: Auch die Deutschen sollen ihre finanzielle Unterstützung bekommen. Hierzulande versucht die Politik, neben einem Ausbau von Wind und Solar über den Einsatz von Gaskraftwerken klimaneutral zu werden. Zuerst mit Erdgas, dann aber sukzessive mit emissionsärmeren Gasen wie Wasserstoff. So ist auch der Entwurf der EU-Taxonomie angelegt.

Erdgas wird als Übergangstechnologie bezeichnet. Es sollen nur Anlagen unterstützt werden, die ehrgeizige Grenzwerte einhalten und bis Ende 2030 genehmigt sind. Diese sollen Kraftwerke mit höheren Treibhausgasemissionen ersetzen. Zudem sollen sie in der Lage sein, ihren Betrieb auf CO₂-arme Gase umzustellen, wie etwa Wasserstoff. Das soll bis Ende 2035 umgesetzt sein. Zudem gelten Investitionen in Gaskraftwerke nur in jenen Mitgliedsstaaten als "grün", die sich dazu verpflichten, aus der Kohleverbrennung auszusteigen.

Der Vorschlag der EU-Kommission im Hinblick auf Gas richtet sich auffällig nach den Plänen der neuen Bundesregierung. Habeck kritisierte die geplante Aufnahme von Gas dennoch. "Immerhin macht die EU-Kommission hier aber sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss." Es sei eine der großen Aufgaben, entsprechende Investitionen hin zum Wasserstoff anzureizen. Erste entsprechende Projekte seien in Deutschland auf dem Gleis, so Habeck.

Fehlen nun Investitionen in Wind und Solar?

Die EU-Kommission unterstreicht die Bedeutung der Transformation des Energiesektors. Dieser sei für etwa 75 Prozent der Treibhausgase in der Union verantwortlich. Mit der Taxonomie versucht die Europäische Union als erster, großer Wirtschaftsverbund zu entscheiden, was nachhaltige Investitionen sind. Damit soll das sogenannte Greenwashing von schädlichen Aktivitäten verhindert werden.

Umweltorganisationen reagierten indes mit scharfer Kritik. "Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu kennzeichnen entzieht der Taxonomie jede Glaubwürdigkeit", erklärt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Mit seiner Zustimmung riskiere Bundeskanzler Olaf Scholz die klimapolitische Reputation der Bundesregierung.

Erdgas emittiert zwar weniger Treibhausgase als Kohle, treibt aber dennoch den Klimawandel voran. Zudem tritt bei der Gewinnung und dem Transport häufig Methan aus, ein zwar nicht so langlebiges Klimagas wie CO₂, dafür aber wesentlich stärker wirkend. Atomkraft steht vor allem wegen des Abbaus von Uran in der Kritik oder wegen des Restrisikos eines Super-GAUs wie in Tschernobyl oder Fukushima. Dazu ist die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Brennelemente nicht geklärt, außer Finnland ist in keinem Land ein Endlager in Bau. Einige Brennstäbe müssen mehrere zehntausend Jahre sicher verstaut werden. Zudem befürchten Kritiker, dass mit einer solchen Entscheidung der EU weniger Geld in saubere Technologien wie Windkraft oder Solar fließen wird.

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