Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Erdoğan und Putin führen Konfliktgespräche im Urlaubsgebiet

Lesezeit: 3 min

Von Silke Bigalke, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Moskau/München

In dieser Woche hat Russlands Präsident Wladimir Putin einen ganzen Kontinent nach Sotschi geladen, zum ersten russischen Afrika-Gipfel. Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs sollen kommen, Moskau baut seinen Einfluss aus. Doch vor dem Gipfel kommt an diesem Dienstag ein Gast in den russischen Urlaubsort am Schwarzen Meer, der Putin regelmäßig besucht: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die beiden müssen über Syrien reden. Am Dienstagabend endet die zwischen Washington und Ankara ausgehandelte fünftägige Kampfpause in Nordsyrien. Dort stehen russische Einheiten zwischen türkischen, syrischen und kurdischen Truppen.

Putin und Erdoğan, sonst in vielem Partner, haben in Syrien unterschiedliche Interessen. Der türkische Präsident fordert einen Sicherheitskorridor in Nordsyrien, 32 Kilometer tief und 444 Kilometer breit. Putin dagegen möchte Syrien möglichst ohne Abstriche unter die Kontrolle eines anderen Präsidenten bringen: Baschar al-Assad. Und er möchte das mit möglichst wenig militärischem Aufwand erreichen.

Während Moskau den von Präsident Donald Trump angekündigten Abzug der US- Truppen aus Nordsyrien begrüßt hat, kritisierte es die folgende türkische Offensive gegen die Kurden. Stabilität und Sicherheit in Syrien seien nur möglich, wenn die Souveränität und territoriale Integrität wiederhergestellt werde, heißt es aus dem Außenministerium in Moskau. "Das bedeutet die endgültige Überführung aller nationaler Territorien, einschließlich der Grenze zur Türkei, unter die Kontrolle einer legitimen syrischen Regierung."

Russland will die Türkei aber als Verhandlungspartner nicht verprellen und hat Sympathien geäußert für Ankaras "legitime" Sicherheitsinteressen in Syrien. Die Pufferzone und ihre Dimension werden Thema sein in Sotschi. Unmittelbar geht es aber um die Frage, wie sich türkisches und syrisches Militär in Nordsyrien gegenüber einander verhalten: "Es gibt Regimetruppen unter russischem Schutz in Teilen unseres Operationsgebietes", sagte Erdoğan. "Wir werden das mit Putin diskutieren, wir müssen eine Lösung finden."

Die meisten Russen würden die Truppen am liebsten sofort aus Syrien abziehen

Die Türkei könne in Syrien nichts erreichen ohne eine Einigung mit Moskau, sagte Fjodor Lukjanow vom regierungsnahen Waldaj-Klub der Zeitung Wedomosti. "Russland möchte natürlich, dass Syrien zu den Grenzen zurückkehrt, die früher bestanden, aber das ist unmöglich." Nun wolle man die von Assad kontrollierte Zone "maximal ausbauen", müsse aber wohl auch Forderungen der Türken nachgeben.

Außenminister Sergej Lawrow erinnerte jüngst an ein Abkommen, das 1998 im türkischen Adana geschlossen wurde. Es erlaubt der Türkei, bis zu 15 Kilometer auf syrisches Territorium vorzudringen, wenn es sich von kurdischen Terroristen bedroht sieht. Werden die beiden Präsidenten in Sotschi also über Kilometer verhandeln? Danach gefragt, ob Erdoğans 32-Kilometer-Forderung bedeute, dass er die russischen Wünsche missachte, wiegelte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow ab: "Nein, so kann man die Frage nicht stellen", sagte Peskow, "weder nach 30 noch nach zehn." Kilometer meinte er.

Putin kommt in Syrien seinen Zielen näher: Er hat das Assad-Regime an der Macht gehalten und sichert damit Russlands Einfluss auf Dauer. Dazu zählen der Luftwaffenstützpunkt Khmeimim und Tartus als einziger Militärhafen Russlands am Mittelmeer. Eine Mehrheit der Russen würde die Truppen laut Umfragen dennoch am liebsten sofort abziehen. Sie sind Putins teure Außenpolitik leid. Auch deshalb treibt der Kreml seine Bemühungen um eine politische Lösung voran. Kreml-Sprecher Peskow warnte, die Entwicklung im Nordosten Syriens könne dem Schaden zufügen, was äußerst besorgniserregend sei. Ähnlich äußerte sich Jurij Uschakow, ein außenpolitischer Berater Putins.

Putin hat sich mit Erdoğan und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani auf ein Verfassungskomitee verständigt. Vertreter des Regimes in Damaskus, der Opposition und der Zivilgesellschaft sollen eine Reform ausarbeiten. Ende September hatten sich die drei geeinigt, wie das Komitee zusammengesetzt sein soll. Offen dagegen ist, wie viel Einfluss es bekommen soll.

Putin will Erdoğan an den Verhandlungstisch mit Assad bringen

Dagegen passt es gut in Moskaus Pläne, dass die Kurden bei Assad Schutz vor den türkischen Truppen gesucht haben. Sie hatten zuvor ein föderales System und weitgehende Autonomie innerhalb Syriens gefordert. Nun ist es fast unausweichlich, dass sie sich dem Regime unterordnen. Sie haben Assads Truppen in das von ihnen kontrollierte Gebiet eingeladen. Was die Kurden als vorläufige Vereinbarung über eine begrenzte militärische Zusammenarbeit ausgeben, ist nach dem vom Regime verbreiteten Text der von Russland vermittelten Vereinbarung de facto eine Kapitulation, die eine Unterstellung der Kurden unter die Autorität Assads beinhaltet und die Eingliederung ihrer Einheiten in die syrische Armee.

Daran werden auch neue Pläne des Pentagon kaum noch etwas ändern können, nun doch bis zu 200 Soldaten im Osten Syriens zu belassen. Offiziell sollen sie die Kurden im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen und die dort gelegenen Ölfelder schützen. Diese wieder unter die Kontrolle des Regimes zu bringen, ist nicht nur ein wichtiges Ziel Assads, sondern auch Russland ein lange gehegtes Anliegen. Im Maßstab des Weltmarktes sind sie zwar zu vernachlässigen, nicht aber für die Energieversorgung Syriens, die derzeit Iran und Russland mit Öllieferungen sicherstellen müssen.

Putin wird in Sotschi versuchen, Erdoğan an den Verhandlungstisch mit Assad zu bringen. Er hat dafür in der vorigen Woche bereits Verstärkung eingesammelt. Es gab regen Kontakt zwischen russischen und iranischen Diplomaten, am Donnerstag telefonierten die Außenminister beider Länder miteinander. Es sei dabei auch um die Notwendigkeiten gegangen, einen "Dialog zwischen Damaskus und Ankara" zu starten, erklärte das russische Außenministerium. Man sei bereit, dabei zu helfen.

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SZ vom 22.10.2019
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