Süddeutsche Zeitung

Nach den Klima-Protesten:"Vereinnahmt und instrumentalisiert"

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Nach den Zusammenstößen in Lützerath verteidigt NRW-Innenminister Herbert Reul seine Polizei gegen Gewaltvorwürfe. Der CDU-Politiker sieht ein anderes Problem: Der zivile Protest grenze sich nicht von Linksextremisten ab.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hat am Donnerstag schwere Vorwürfe gegen einen Teil der etwa 35.000 Demonstranten erhoben, die vorigen Samstag an Protesten gegen die Zerstörung des Dorfes Lützerath im Rheinland teilgenommen hatten. Einige Klima-Aktivisten hätten im Gerangel gezielt versucht, Polizeibeamten ihre Dienstwaffen zu entwenden, berichtete der CDU-Politiker vor dem Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags. Vorwürfe exzessiver Polizeigewalt wies er zurück. Der zivilgesellschaftliche Teil der Klimabewegung, so Reul, habe sich zu wenig von Gewalttätern abgegrenzt und sei am Samstag von Linksextremisten "vereinnahmt und instrumentalisiert" worden. Politiker von SPD, FDP und AfD hielten den Grünen vor, sie würden sich nicht klar von Gewalttätern distanzieren.

Reul berichtete im NRW-Parlament, militante Aktivisten hätten Steine, Matschbrocken und Pyrotechnik auf die Polizisten geworfen und mit Holzlatten zugeschlagen. Ein Beamter habe ihm rückblickend gesagt, Störer hätten "kriegsähnliche Zustände angestrebt" und vorm Zaun von Lützerath "eine Schlacht" gesucht. Insgesamt seien in den Tagen vor, während und nach der Räumung des Weilers im Rheinischen Braunkohle-Revier ungefähr 500 Straftaten begangen worden, darunter Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch.

Griffen Aktivisten nach den Waffen der Polizei?

Lützerath war geräumt worden, weil der Energiekonzern RWE die darunter liegende Braunkohle zur Verstromung verbrennen will. Die grünen Klimaschutzminister Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) hatten im Gegenzug einen um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg für 2030 in Westdeutschland ausgehandelt. Die Klimabewegung hatte die Ortschaft derweil zur deutschen 1,5-Grad-Grenze und zum Symbol ihres Widerstandes erklärt.

Reul sagte am Donnerstag, einigen militanten Störern sei es im Verlauf der Tumulte vor Lützerath offenbar gelungen, nach den Pistolen am Bein der Polizisten zu greifen und "eine der Sicherungen am Holster schon zu lösen". Der CDU-Politiker fügte hinzu: "Ich will mir gar nicht ausmalen, was da noch hätte passieren können."

Zugleich räumte der Innenminister ein, man ermittle inzwischen auch gegen fünf am Einsatz beteiligte Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Vorwürfe der Klimaaktivisten, die Polizei habe Demonstranten gezielt mit Schlagstöcken auf Kopf und Nacken verletzt, bestritt Reul: Das seien "verbotene Trefferzonen". Vielmehr hätten "die Polizisten gezeigt, dass unser Staat, unser Rechtsstaat funktioniert".

Der CDU-Politiker bedauerte, dass der eher bürgerliche Teil der Protestbewegung sich zu wenig distanziere und sogar mit den militanten Demonstranten an die Abbruchkante des Tagebaus und vor den Zaun von Lützerath gezogen sei: "Es gab zu viele Menschen, die ein gutes Anliegen hatten, sich aber nicht von Gewalttätern abgegrenzt haben."

Der Chef des NRW-Verfassungsschutzes Jürgen Kayser fügte während der Ausschusssitzung hinzu, den Linksextremisten sei in Lützerath "die Entgrenzung" zwischen militantem und bürgerlichem Protst gelungen. Scharfe Kritik äußerte Reul an einem Redner bei der Kundgebung zwei Kilometer vor Lützerath. Der Sprecher des regionalen Anti-Braunkohle-Bündnisses "Alle Dörfer bleiben" hatte den Demonstranten zugerufen: "Geht nach Lützerath rein. Lasst euch nicht aufhalten."

Während einer anschließenden Debatte dankten im Ausschuss Sprecherinnen aller Parteien den Polizisten für ihren Einsatz. Für die in NRW mit der CDU regierenden Grünen erklärte die Abgeordnete Julia Höller zudem, sie danke "allen, die zur Strategie einer Deeskalation beigetragen" hätten vor und während der Räumung.

Scharfe Kritik an den Grünen äußerte der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke. In Lützerath habe man "wie im Brennglas gesehen, was passiert, wenn sich das links-grüne Lager nicht distanziert" von gewaltbereiten Kräften. Lürbke sprach von "linkem Öko-Terrorismus" und erinnerte daran, dass die Grünen vor fünf Jahren einen kleinen Parteitag am Rande des damals umkämpften Tagebaus Hambach veranstaltet hatten: "Das sind am Ende die Geister, die ich rief!" Höller verwahrte sich gegen die Vorwürfe.

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