Süddeutsche Zeitung

Pflegereform:Ein Pflegetrio trotzt dem Groko-Notstand

Lesezeit: 3 min

Von Kristiana Ludwig und Henrike Roßbach, Berlin

Die Festgesellschaft wartet. Einzelne Gäste flanieren über die weitläufige Terrasse hinter dem ehemaligen Abwasserpumpwerk an der Spree, die Tische sind weiß gedeckt, mit Pfingstrosengestecken geschmückt. Der Fluss glitzert, der Caterer hat den Grill angeheizt. Dann kommen sie: Jens Spahn, Hubertus Heil und Franziska Giffey, das Minister-Kleeblatt, das seit knapp einem Jahr versucht, gemeinsam den Pflegenotstand zu beenden und für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen. "Konzertierte Aktion Pflege" haben sie ihre Mission getauft, sie haben Arbeitsgruppen eingesetzt, einen öffentlichen Schwur geleistet, und nun, im Pumpwerk an der Spree, wollen sie die getroffenen Vereinbarungen unterzeichnen. Feierlich, versteht sich.

Allerdings rechneten jene, die den Grill, die Pfingstrosen, die weißen Tischdecken und den Sonnenschein organisiert hatten, vermutlich nicht damit, dass hinter ihrer sorgsam errichteten Festtagskulisse die politische Welt pünktlich zum Fest ins Wanken geraten würde - und am Ende alles über den Haufen geworfen werden könnte.

"Wie geht es Ihnen?", wird Hubertus Heil beim Reingehen gefragt. "Gut", sagt der Arbeitsminister spöttisch, "im Rahmen sozialdemokratischer Möglichkeiten." Gesundheitsminister Spahn, der Nicht-Sozialdemokrat in dem Trio, wird später vor Journalisten noch mal beteuern, diese Pflegeaktion sei nicht gebunden an die große Koalition, sie sei eine "Jahrzehnteaufgabe". Und überhaupt interessiere es die Pflegekräfte, die er treffe, nur "echt überschaubar", wer gerade Gesundheitsminister oder Parteivorsitzender sei. "Die interessiert, wann verdammt noch mal Politik endlich verstanden hat, dass in der Pflege über Jahre was in die falsche Richtung gelaufen ist." Auch Heil spricht an diesem Tag von Handlungsfähigkeit, die unter Beweis gestellt werden müsse. Und das war ja immer die Spezialität dieses Pflegetrios: Handeln statt zanken, Inhalte statt Eitelkeiten, Dreisamkeit statt Profilierungssucht.

Doch diese Erzählung der drei Minister hat durch die Geschehnisse der vergangenen Tage einen hässlichen Kratzer bekommen. Seit die CDU bei der Europawahl schlecht und die SPD desaströs abgeschnitten hat, seit Andrea Nahles den SPD-Partei- und Fraktionsvorsitz hingeschmissen hat, ist es schwierig geworden, sachpolitischen Projektbeschreibungen zu lauschen, ohne das große Ganze mitzudenken. Und wenn Familienministerin Giffey (SPD) am Dienstag betont fröhlich ruft: "Wir machen weiter!", fragt man sich unweigerlich: Ja, aber wie lange noch?

Während die Fieberkurve der Koalition Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen ist, herrscht kein Zweifel an der Raumtemperatur im Pumpwerk, wo die Minister auf der Bühne stehen und über die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsgruppen referieren. 26,7 Grad sind es am Anfang, 29,7 Grad am Ende der Veranstaltung. "Heißer Tag und heiße politische Zeiten", sagt Heil, um danach sofort wieder staatstragend zu werden. Es gehe nicht um kleine Schrauben, sondern um "große Fragen", und dass auch die Pflege eine solche sei, nicht bloß Klima und Digitalisierung.

Die drei sind zu diesem Zeitpunkt schon sehr lange unterwegs, um die Ergebnisse ihrer Pflegeoffensive zu verkünden, genau genommen seit dem Vorabend. Da hatten sie sich in die Talkshow "Hart aber fair" einladen lassen, trotz Koalitionskrise. "Schauen Sie sich mal dieses Bild hier an!", sagte Moderator Frank Plasberg zum Fernsehpublikum, und die Kamera schwenkte auf drei Kabinettsmitglieder an einem etwas zu kleinen Tisch, die alle das gleiche schmale Lächeln aufgesetzt hatten. "Das Bild wirkt ein bisschen wie bestellt." Da lachte Giffey, und Heil schaute ernst und schüttelte den Kopf.

Die politische Realität, draußen in der Hauptstadt, sollte indes in dieser Sendung nur gelegentlich stören. Dem Trio aus dem Kabinett saßen zwei Pflegerinnen gegenüber und außerdem ein Arbeitgeberfunktionär. Dieser braun gebrannte Herr im Anzug vertrat einen Verband, das stellte Spahn schnell klar, der sich "bis heute weigert, Tarifverträge abzuschließen". Ein Verhalten, das alle drei Minister überhaupt nicht gut finden. Hier bestand schon einmal Einigkeit.

Alle drei Minister finden, dass die Auszubildende zu wenig Lohn für ihre Leistung erhält

Gemeinsam war ihnen außerdem ihr großes Verständnis für die junge Altenpflegeschülerin, die manchmal ganz allein auf zwölf alte Menschen aufpassen muss und dafür im dritten Lehrjahr nur 680 Euro bekommt. Auch bei solchen Ungerechtigkeiten gilt: Zusammenhalt. In der Arbeiterschaft und auch sonst, wenn man was erreichen will.

"Wir haben einen verdammten Auftrag", sagte Spahn; und am Dienstag, bei der Bundespressekonferenz, sagt er diesen Satz noch einmal, zur Sicherheit. Außerdem sagt er so oft "konkret", dass man zu dem Schluss kommen muss, er wolle sich selbst von der Handfestigkeit seiner Pflegeoffensive in unberechenbar gewordenen Zeiten überzeugen. "Sehr konkrete Maßnahmen" hätten sie in ihren Vereinbarungen festgeschrieben, sagt er, es gehe um "sehr konkrete Verbesserungen", ein "dickes Buch" sei das geworden mit mehr als hundert Maßnahmen, "sehr, sehr konkret".

Allein: Der Koalitionsvertrag ist auch ein sehr dickes Buch. Genau genommen hat er nur vier Seiten weniger als "Die Vereinbarungen der Arbeitsgruppen 1 bis 5" der Konzertierten Aktion Pflege. Und trotzdem wird in Berlin gerätselt, wann er zum Altpapier kann.

Und so ist es kein Wunder, dass der Auftritt der drei Minister am Dienstag entfernt an eine Silberhochzeit erinnert, die formvollendet begangen wird, obwohl mindestens die Hälfte der anwesenden Gäste weiß, dass sie schon beim Scheidungsanwalt war und er kurz vor dem Konkurs des Familienunternehmens steht. Ein Zwischenschritt sei es, sagt Spahn, was sie bislang erreicht hätten. Und Giffey sagt: "Drei Minister stehen zusammen, über Parteigrenzen hinweg."

Um sie herum aber droht es einsam zu werden.

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Quelle:
SZ vom 05.06.2019
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