Süddeutsche Zeitung

Indischer Premier in Berlin:Lücke in der Front

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Das Treffen von Kanzler Scholz mit Premier Modi bedeutet schwierige Beziehungsarbeit. Denn Indien kauft Russland mehr Öl ab als vor dem Ukraine-Krieg. Das konterkariert Sanktionen der westlichen Allianz.

Von Daniel Brössler, Berlin

Die fleißigen Beamten haben getan, was sie konnten. Der indische Premierminister Narendra Modi ist mit etlichen Ministern aus der Gluthitze Delhis ins deutlich kühlere Berlin gekommen, und wird, dafür ist Sorge getragen, nicht mit leeren Händen wieder abreisen. Noch bevor Modi am Montag den roten Teppich im Hof des Kanzleramtes betritt, liegen 14 Abkommen und Übereinkünfte, fast durchgängig Absichtserklärungen, zur Unterschrift bereit. Eine "Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung" soll begründet, eine Task Force "Grüner Wasserstoff" gebildet und eine Kooperation beim Ausbau erneuerbarer Energien gestartet werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Gast Modi wollen ihre Länder als Bundesgenossen im Kampf gegen den Klimawandel präsentieren. Ginge es nur darum, könnte jetzt nicht mehr viel schief gehen.

Allerdings fehlt auf der langen Liste der angeblichen Harmonie die Ukraine. Der Angriffskrieg Russlands gegen das osteuropäische Land ist aber zumindest aus deutscher Sicht das eigentlich zentrale Thema dieser sechsten Regierungskonsultationen mit der indischen Regierung. Dringend braucht Scholz Verbündete im Bestreben, den russischen Kriegsherren Wladimir Putin unter Druck zu setzen. Zu sagen, dass Indien in dieser Hinsicht bislang keine große Hilfe ist, wäre deutlich untertrieben. An den westlichen Sanktionen beteiligt es sich nicht und beabsichtigt auch nicht, daran etwas zu ändern.

Die indische Haltung wirft ein Schlaglicht auf eine wesentliche Schwachstelle in der Front gegen die russische Aggression. Zwar haben in der Vollversammlung der Vereinten Nationen 141 Länder den russischen Angriffskrieg verurteilt und außer Russland nur vier Staaten mit Nein gestimmt. 35 Staaten aber haben sich enthalten. Neben China, das Russland ohnehin klar unterstützt, zählt auch Indien dazu. Mit dieser neutralen Haltung sieht es sich in seiner Tradition als blockfreier Staat. Außerdem bezieht es einen großen Teil seiner Waffen aus Russland und will auf diese Lieferungen nicht verzichten.

Die Versuche, Indien umzustimmen, wirken noch nicht

Besonders schmerzlich aus westlicher Sicht ist, wie bereitwillig Indien nun als Käufer von russischem Öl einspringt. Das Land hat die Importe von russischem Öl nach Beginn des russischen Angriffskrieges erhöht, weil es von Moskau einen ordentlichen Preisnachlass erhalten hat. Das droht die Wirkung des geplanten Ölembargos gegen Russland zu konterkarieren. Mit vereinten Kräften versuchen die Europäer deshalb, Indien umzustimmen. Scholz schickte seinen außenpolitischen Berater Jens Plötner nach Delhi, kürzlich sprachen sowohl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als auch der britische Premierminister Boris Johnson dort vor. Mit bescheidener Wirkung.

Auch in Berlin vermeidet Modi jegliche Schuldzuweisung an Moskau. Indien habe von Anfang an einen Waffenstillstand gefordert, sagt er bei einem Auftritt vor der Presse nur. Dialog stelle "den einzigen Weg zur Lösung" dar. Indien sei der "Auffassung, dass es keinen Sieger geben wird am Ende dieses Krieges. Jeder wird Verluste erleiden". Deshalb müsse es Frieden geben. Aufgrund der "Verwerfungen" schössen die "Preise für Energie in astronomische Höhen", fügt Modi aber noch hinzu. Das klingt nicht danach, als sei Indien zum Verzicht auf verbilligtes russisches Öl bereit.

"Der Krieg und die brutalen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine zeigen, wie ungehemmt Russland die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen verletzt", sagt Gastgeber Scholz und verbindet das mit einem erneuten Appell an Kremlchef Putin: "Stoppen Sie diesen Krieg. Beenden Sie das sinnlose Töten, ziehen Sie ihre Truppen aus der Ukraine ab." Die Bitte an Indien, dieser Forderung ebenfalls Nachdruck zu verleihen, formuliert Scholz nicht. Jedenfalls nicht öffentlich.

Wohl aber umwirbt er Indien als weltgrößte Demokratie. Neben Indonesien, Südafrika und Senegal lädt er auch Indien als Gastland ein zum G7-Gipfel Ende Juni im bayerischen Elmau. "Wir müssen die Demokratie als ein Anliegen der Menschheit begreifen, das uns verbindet", sagt er, "und für das wir Verantwortung tragen".

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