Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Der Naturschutz versinkt in Polemik

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Manfred Webers EVP versucht mit allen Mitteln, eines der wichtigsten Umwelt- und Klimagesetze zu versenken. Das Ergebnis: ein gespaltenes Europaparlament.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Es gibt derzeit keine Sieger und keine Verlierer im Ringen um den Naturschutz in Europa. Der Zwischenstand: Unentschieden. Die von Manfred Weber geführte Europäische Volkspartei (EVP) scheiterte am Donnerstag mit ihrem Antrag, eines der wichtigsten Umwelt- und Klimagesetze der laufenden Legislaturperiode vorzeitig zu versenken. 44:44 lautete das Abstimmungsergebnis im Umweltausschuss des Parlaments, eine Niederlage für die EVP. Ebenfalls 44:44 endeten dann aber auch die meisten Abstimmungen über die vorliegenden Änderungsanträge am Gesetz, ehe man sich vertagte. Das Parlament ist gespalten.

Das "Gesetz zur Wiederherstellung der Natur" soll Ökosysteme vor dem Zusammenbruch bewahren. Trockengelegte Moore sollen wieder vernässt, Wälder aufgeforstet werden. Laut EVP gefährdet das die Existenz landwirtschaftlicher Betriebe und die Lebensmittelsicherheit in Europa. Die Befürworter, vorwiegend bei Sozialdemokraten und Grünen angesiedelt, sehen das anders: Mehr Biodiversität sichere langfristig die Grundlagen der Landwirtschaft und fördere auch den Klimaschutz. Aber Weber trage im Auftrag von CDU und CSU den in Deutschland geführten Kulturkampf gegen die Klimapolitik nun auch ins Europaparlament.

Tatsächlich ist es in der Brüsseler Kompromissmaschine höchst ungewöhnlich, dass ein von der Kommission vorgeschlagenes Gesetz in Bausch und Bogen abgelehnt wird. Im Zweifel wird immer weiter verhandelt. Stattdessen jetzt: Wahlkampfgetöse und Polemik auf beiden Seiten.

Die EVP will keine weiteren Zumutungen für Bauern mittragen

Manfred Weber ist das Thema so wichtig, dass er seine Leute vor der Abstimmung am Donnerstag streng zur Geschlossenheit mahnte. Vorwürfe, er habe einigen mit Rausschmiss gedroht, dementierte er. Der tschechische EVP-Abgeordnete Stanislav Polčák teilte via Twitter mit, er halte die Linie Webers für keine gute Idee, wolle aber der Fraktion nicht im Weg stehen. Deshalb mache er Platz für einen Ersatzmann.

Die EVP hatte bei einem Parteikongress Anfang Mai in München ihre Linie beschlossen: keine Zumutungen mehr für die Landwirtschaft. Mit Blick auf die Landtagswahlen in Bayern und die Europawahl 2024 wurde angekündigt, man wolle das Naturschutzpaket der EU-Kommission bekämpfen. Es enthält zum einen die Pestizidverordnung, die den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 Prozent reduzieren soll, und zum anderen die besagte "Wiederherstellungsverordnung". Sie hat zum Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme in Europa bis 2030 zu renaturieren. Damit will die Kommission auch Europas Verpflichtungen aus der Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal erfüllen. Dort beschloss die Weltgemeinschaft, bis 2030 auf mindestens 30 Prozent der geschädigten Land- und Seeflächen Renaturierungsmaßnahmen einzuleiten.

Wie viele landwirtschaftliche Flächen betroffen wären, ist nicht klar

Die EVP kritisiert, es sei völlig unklar, wie viele landwirtschaftliche Flächen von dem Gesetz betroffen und welche Ertragseinbußen damit verbunden seien. Tatsächlich kursieren verschiedenste Zahlen. Die Kommission sprach von vier bis sieben Prozent der Flächen und wies darauf hin, deren wirtschaftliche Nutzung sei nicht ausgeschlossen.

Die Materie ist komplex, zumal es Wechselwirkungen mit anderen Umweltauflagen für die Landwirtschaft gibt. Allein 23 Verordnungen würden sich bereits jetzt mit Wiederherstellungsmaßnahmen auf landwirtschaftlichen Flächen befassen, sagte die CDU-Abgeordnete Christine Schneider, die der Kommission alle Schuld für die Spaltung des Parlaments gibt. Sie habe beispielsweise angefragt, was sie Landwirten raten solle, auf deren Flächen Moore renaturiert werden. Zur Antwort habe man ihr gegeben: "Reisanbau und Wasserbüffel".

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ist in dem Konflikt bislang nicht in Erscheinung getreten. Die EVP nutzt den Kampf gegen das Gesetz zum Frontalangriff auf den für Klima- und Umweltfragen zuständigen Kommissar Frans Timmermans, einen Sozialdemokraten. Er habe einzelne Abgeordnete der EVP unter Druck gesetzt und sogar eine Onlineplattform der Kommission ("Business and Biodiversity") nutzen lassen, um einen Shitstorm gegen die EVP zu orchestrieren. Die Kommission widersprach: Man unterstütze die Plattform, um Interessengruppen zusammenzuführen, habe aber nichts mit deren täglichem Betrieb zu tun. Dort veröffentlichte Meinungsäußerungen seien unabhängig von der Kommission. In diesem Fall waren sie jedenfalls ganz im Sinne der Kommission.

Die EVP stand jedenfalls im heftigen Gegenwind vor der Abstimmung. Interessengruppen aus Wirtschaft und Umweltschutz forderten energisch, das Gesetz nicht sterben zu lassen, auch eine Gruppe von 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern äußerte sich in dem Sinne. Bald wird weiter abgestimmt, erst im Ausschuss, dann im Plenum des Europäischen Parlaments. Die EVP, hieß es am Donnerstag, werde weiter alles tun, um das Gesetz zu stoppen.

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