Süddeutsche Zeitung

Grüne und SPD:Olaf Scholz? Der stört nicht weiter

Lesezeit: 2 min

Die Hitze, das Klima, Corona, all das sei doch wichtiger als das, was die SPD "per Twitter verkündet" habe, sagt Grünen-Chef Habeck. Der Kandidat der SPD könnte für seine Partei von Vorteil sein.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es dauert nur wenige Minuten, und dann kommt sie auch schon, die ungeliebte Kanzlerfrage. Sollten die Grünen jetzt, da die SPD-Spitze Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hat, nicht auch eine Kandidatin oder einen Kandidaten fürs Kanzleramt benennen? Die Antwort kommt nicht nur einmal, sondern auf Nachfrage ungefähr fünf Mal.

Gar nicht, überhaupt nicht, auf gar keinen Fall müssten die Grünen jetzt über Personalfragen nachdenken, sagt Robert Habeck, als er am Montag in Berlin vor die Presse tritt. Die Entscheidung der SPD halte er "in keinsterlei Hinsicht für einen Fingerzeig". Die Hitze, das Klima, Corona, Europa, all das sei doch viel wichtiger als das, was die SPD da "per Twitter verkündet" habe. Und Olaf Scholz, so als Person? "Ich habe ihn immer als zugewandten, freundlichen und sehr erfahrenen Politiker wahrgenommen", sagt der Grünen-Vorsitzende in vollendeter Höflichkeit. Überraschend sei seine Aufstellung nicht. "Insofern viel Spaß, Olaf Scholz, bei dieser Reise."

Demonstratives Gähnen, so lässt sich die Reaktion der Grünen auf die Ankündigung der Scholz'schen Kanzlerkandidatur zusammenfassen. Ihr Zeitpunkt sei "nicht ganz glücklich" gewählt, der Wahlkampf habe doch noch längst nicht begonnen, moniert Habeck. Seine Partei lasse sich nicht "unter Zugzwang setzen".

Bloß nicht aus dem Tritt bringen lassen, ist die Botschaft der Grünen, die sehr genau wissen, dass Olaf Scholz sich als Finanzminister und Corona-Krisen-Manager viel Anerkennung erworben hat. In Sachen Funkenflug und Charisma aber kann er aus grüner Sicht nicht mit den Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock mithalten. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Wählergruppe, die für die Grünen im Bundestagswahlkampf eine Schlüsselrolle spielen dürfte: die Jungen.

Schülerstreiks, Klimapolitik und der Kampf gegen Rechtsextremismus haben den Grünen in den vergangenen Jahren einen Zustrom an Parteimitgliedern verschafft, um den politische Rivalen sie beneiden. Kürzlich vermeldete die Parteizentrale 100 000 Mitglieder, trotz empfindlicher Umfrageverluste in der Corona-Krise.

Linkes Bündnis wäre dem Nachwuchs vermittelbar

Die meisten Neugrünen sind jung und leben in Städten, nicht wenige entstammen studentischen Milieus, die stärker linksdrehen als die Parteispitze. Begriffe wie "Antifa" gelten hier nicht zwingend als Schimpfwort, von der grünen Bundesprominenz wünscht man sich weniger Kompromisse bei Klimaschutz, Sozial- und Flüchtlingspolitik.

Ein Linksbündnis der Grünen mit SPD und Linkspartei, selbstverständlich unter grüner Regie, wäre im grünen Nachwuchspool also ohne Weiteres vermittelbar. Und einer wie Olaf Scholz, der grüne Festspiele nicht weiter stört, dürfte auch bei den hoch geschätzten Neumitgliedern Gnade finden.

Nur - an der Bundesspitze wollen wichtige Figuren gar keine Koalition mit SPD und Linkspartei. Offiziell legt man sich zwar nicht fest. Selbst Parteilinke wie Bundesgeschäftsführer Michael Kellner aber geben zu erkennen, wie wenig Appetit sie auf Dauerfehden mit der Linkspartei haben. Bei der Sozialpolitik geht da zwar vieles zusammen, bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr und internationalem Krisenmanagement aber so gut wie gar nichts. Das rührt ans grüne Selbstverständnis.

Kurs auf die gesellschaftliche Mitte

Auch Parteichef Habeck erweckte bisher nie den Eindruck, als sähe er in einem Linksbündnis die Zukunft. Er befürchtet eine gefährliche Rechts-links-Blockbildung, wenn CDU und CSU mit FDP und AfD gegen eine grün-rot-rote Regierung anwettern. Und auch das gewandelte Staatsverständnis der Grünen, zu dem unbedingtes Eintreten für Rechtsstaat und Verfassung gehört, sehen etliche grüne Bundesprominente bei der Union besser aufgehoben.

Die Kunst des Bundestagswahlkampfs wird für die Grünen darin bestehen, den eher linken Nachwuchs nicht zu vergraulen und dabei Kurs auf die gesellschaftliche Mitte zu halten: auf christliche Wähler, urbane Akademiker, entlaufene Sozialdemokraten. Dass Scholz sie in Scharen zur SPD zurückholt, wird bei den Grünen bezweifelt. Und dass Junge und Radikalere davonlaufen, wenn die Grünen erst mal regieren? Das sei "eine altmodische Sorge", sagt Habeck. Vertrauen bekomme man, "weil man bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen". Es klingt ein bisschen ungeduldig.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2020
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