Süddeutsche Zeitung

Jamaika-Sondierungen:Es knarzt in den Jamaika-Verhandlungen

Lesezeit: 3 min

Von Constanze von Bullion und Robert Roßmann, Berlin

Die Stimmung? "Am Ende war sie im Keller", sagt eine Jamaika-Unterhändlerin. "So wird das nichts", sagt ein anderer. Ein dritter Beteiligter rät, die Nerven zu behalten. Jetzt müssten erst mal alle "ins Abklingbecken", meint ein vierter. Die Laune war schon mal besser.

Freitag, der Tag nach der ersten größeren Kollision auf dem Weg zu einer Jamaika-Koalition. Mehr als zehn Stunden lang haben Union, Liberale und Grüne am Vortag über Europa, Klimaschutz und Flüchtlinge diskutiert. Eigentlich stand auch noch die Themen Bildung und Digitalisierung auf dem Programm. Ein unrealistischer Zeitplan, wie sich herausstellte. Denn als beim Klimaschutz nach gut fünf Verhandlungsstunden endlich eine erste Mini-Etappe erreicht war, gab es Krach um die Themen Flucht und Migration. Am Abend brach man die Gespräche ab, bis aufs Thema Europa ohne irgendein Papier.

Wer sich fragt, was eigentlich los war bei den Sondierern in Berlin, hört am Tag danach bei den Beteiligten ganz unterschiedliche Geschichten. Sie handeln von schwer vereinbaren politischen Positionen, aber auch von mangelndem Vertrauen und Smartphones.

Vor allem für die Grünen war der Donnerstag ein Kampftag

Vor allem für die Grünen wird der Donnerstag zu einem Kampftag. Mit dem Klimaschutz steht eines ihrer Kernthemen auf dem Programm. Die Grünen wollen einer Koalition nur zustimmen, wenn sie sich mit CDU, CSU und FDP auf einen Weg verständigen können, wie die Klimaziele der Bundesregierung erreicht werden. Gelingen könne das in Deutschland nur, wenn man Kohlekraftwerke abschalte und sich intensiv um die Entwicklung abgasfreier Autos bemühe, argumentieren die Grünen.

Auch Union und FDP sind für Klimaschutz, grundsätzlich. Die FDP aber lehnt eine staatliche Regulierung der Industrie ab, sie warnt vor starren Vorgaben und Versorgungsengpässen bei der Stromversorgung. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) meldet erhebliche Bedenken an. Im Raum steht der Vorwurf: Die Grünen wollten für den Umweltschutz Industrieregionen plattmachen. Die Grünen wiederum möchten von den anderen wissen, wie sie ihre Klimaschutzziele eigentlich erreichen wollen, wenn nicht durch Abschied von Kohle und herkömmlichem Verbrennungsmotor. Mehr als fünf Stunden wird gerungen und erklärt, bei dicker Luft.

Vor allem bei der FDP, so spotten Grüne, sei noch nicht jeder tief in die Materie eingetaucht. Am Nachmittag aber gelingt es einer Gruppe um Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), ein Bekenntnis aller vier Parteien zu den Klimaschutzzielen 2020, 2030 und 2050 zu Papier zu bringen. Es ist nur ein Minimal-Konsens, aber immerhin.

Die Grünen sind stinksauer

Was dann passiert, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Bei den Grünen heißt es am Freitag, das gemeinsame Bekenntnis zu den Klimazielen sei gerade in großer Runde vorgestellt worden, da sei bereits über irgendein Smartphone die Meldung in den Raum gesickert, die FDP lehne verbindliche Klimaziele ab. Sie seien, so ließen die Liberalen per Nachrichtenagentur wissen, nur zur Festlegung bereit, dass man Klimaziele erreichen "wolle", nicht aber "müsse". Notfalls könnten Einsparziele später oder über globale Zusammenarbeit erreicht werden.

Bei den Grünen sind sie jetzt stinksauer. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck wird ungemütlich. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter regt sich auf, bei der FDP ist es Christian Lindner. Die Stimmung kippt. "Die Klimaziele müssen gelten und eingehalten werden. Ohne Wenn und Aber. Und ohne Hintertüren", sagt Hofreiter am Freitag. "Es geht nicht, dass Politik ankündigt, aber nicht liefert." Dass die Einigung über das Klima-Papier am Donnerstag doch noch scheitert, liegt aber auch daran, dass sich zwischenzeitlich die Sondierer beim Thema Flüchtlinge verkantet haben.

Beim Thema Flüchtlinge geraten die Grünen mit der CSU aneinander

Die Aussprache über die Flüchtlingspolitik verläuft noch kontroverser als die über den Klimaschutz. Wobei die Grünen es hier weniger mit der FDP, sondern vor allem mit der CSU zu tun bekommen. Die Einlassungen von Katrin Göring-Eckardt und - noch viel stärker - von Claudia Roth werden von den Christsozialen als Provokation empfunden.

Aus Sicht der CSU ignorieren die beiden die Entwicklung der vergangenen beiden Jahre - und die Verwerfungen, die der anfangs ungeregelte Flüchtlingszuzug in Deutschland ausgelöst habe. Nach Wahrnehmung der Christsozialen zeigen die Grünen an keiner Stelle Kompromissbereitschaft und auch kein ausreichendes Problembewusstsein. Dabei ist für die CSU das Thema so wichtig wie für die Grünen der Klimaschutz.

Als CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt - unter dem zustimmenden Nicken von Parteichef Horst Seehofer - erklärt, weder seine Landesgruppe noch die CSU könnten einer Koalitionsvereinbarung zustimmen, die zu keiner Begrenzung der Flüchtlingszahl führt, wird es brenzlig. Eigentlich stehen noch jede Menge Sondierungsteilnehmer auf der Rednerliste. Doch Angela Merkel schlägt erst einmal eine Unterbrechung vor. Die Delegationen beraten getrennt.

Als man wieder zusammenkommt, empfiehlt die CDU-Chefin, die Gespräche zu vertagen, weil weitere Redebeiträge die Situation nur noch weiter verschärfen würden. Über das Thema sollen jetzt die Verhandlungsführer der vier Parteien in kleiner Runde sprechen - in der Hoffnung, so leichter Gemeinsamkeiten zu finden. Termin und Ausgang noch offen.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2017
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