Süddeutsche Zeitung

Tötung von iranischem Atomphysiker:Der Schattenkrieg im Nahen Osten

Lesezeit: 4 min

Das Attentat auf Mohsen Fakhrizadeh ist ein neuer Höhepunkt eines verdeckten Krieges. Irans Führung beschuldigt Israel und fordert eine "entschlossene Bestrafung". Viel hängt nun vom Kurs des künftigen US-Präsidenten Biden ab - und von Trumps verbleibenden Tagen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Das Jahr begann mit einem Donnerschlag im Nahen Osten: Am 3. Januar tötete eine US-Drohne am internationalen Flughafen von Bagdad Qassem Soleimani. Der General der iranischen Revolutionsgarden befehligte die Quds-Brigaden, jene Einheit, die für die Auslandseinsätze des Regimes im Irak, in Libanon, Syrien oder Jemen verantwortlich ist und auch für Terroranschläge in anderen Ländern. Das Jahr neigt sich mit dem Tod eines ähnlich bedeutenden Revolutionsgardisten dem Ende zu: Mohsen Fakhrizadeh.

Soleimani war der Architekt der iranischen Strategie, in der Region mit Hilfe verbündeter Milizen einen Schattenkrieg zu führen, vor allem im Irak, in Syrien und Libanon, aber auch zunehmend in Jemen. Er war das Mastermind hinter der "Achse des Widerstands" gegen Israel und die USA.

Maximaler Druck, maximaler Widerstand

Und die treibende Kraft hinter der zunehmend aggressiven Reaktion Teherans auf den Ausstieg Donald Trumps aus dem Atomabkommen im Mai 2018 und die "Kampagne des maximalen Drucks" mit der drastischen Verschärfung der amerikanischen Öl- und Finanzsanktionen. Das Regime in Teheran nannte seine Antwort "Kampagne des maximalen Widerstands".

Fakhrizadeh bezeichneten westliche Geheimdienstler als "Vater der iranischen Bombe" oder auch Teherans Oppenheimer, ein Verweis auf J. Robert Oppenheimer, der im Zweiten Weltkrieg im Zuge des geheimen Manhattan-Projekts in den USA die Entwicklung der ersten Atomwaffen leitete. Fakhrizadeh fiel nach Angaben der Regierung in Teheran am Freitag einem Anschlag auf sein Auto zum Opfer. Seit Ende der achtziger Jahre leitete er laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verschiedene Projekte, die "Relevanz für die Entwicklung eines nuklearen Sprengkörpers haben" - eine sehr zurückhaltende Beschreibung des militärischen Atomprogramms.

Der verdeckte Krieg wird nochmals befeuert

Die Tötungen dieser beiden herausragenden Figuren des iranischen Regimes zeigen die Verwundbarkeit Irans, sind aber nur die makabren Höhepunkte eines verdeckten Krieges in der Region, der durch das Attentat noch einmal befeuert wird. Der Oberste Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Khamenei, forderte am Samstag eine "entschlossene Bestrafung" der Täter und ihrer Hintermänner. Präsident Hassan Rohani kündigte an, die iranische Nation werde "zu gegebener Zeit" auf den Tod Fakhrizadehs reagieren und nicht auf die "zionistische Verschwörung" hereinfallen. Wie zuvor schon Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, der von "Staatsterrorismus sprach", machte er Israel verantwortlich.

Schon im Sommer hatte es eine Reihe mysteriöser Explosionen in Iran gegeben, die sich am plausibelsten mit Sabotage durch Geheimdienste erklären lassen. Im Juni flog auf dem Militärstützpunkt Parchin nahe der Hauptstadt ein Gebäude in die Luft, das mit dem Programm zum Bau ballistischer Raketen in Verbindung stand. Die Iraner sprachen von einer "Gasexplosion", amerikanische und israelische Geheimdienstler dementierten, damit etwas zu tun zu haben.

Wenige Tage später zerstörte eine Explosion auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage Natans eine Halle, in der iranische Wissenschaftler an der Entwicklung neuer, leistungsstärkerer Gaszentrifugen arbeiteten. Mit diesen Maschinen lässt sich das spaltbare Uran-Isotop 235 konzentrieren - für Kraftwerksbrennstäbe auf drei bis fünf Prozent, für Atomwaffen auf mehr als 90 Prozent. Die iranische Regierung sprach bald selbst von Sabotage.

Iran setzt auf asymmetrische Attacken

Iran indes versucht, über von den Revolutionsgarden gesteuerte oder unterstützte Milizen amerikanische Ziele in der Region zu attackieren, Israel oder arabische US-Verbündete zu treffen, allen voran Saudi-Arabien. Am Dienstag erst feuerten die Huthi-Milizen aus Jemen eine Art Marschflugkörper auf Öl-Anlagen des saudischen Staatskonzerns Aramco bei Dschiddah. Riad antwortete am Freitag mit schweren Luftangriffen auf Jemens Hauptstadt Sanaa.

Wie bei der Drohnen- und Marschflugkörper-Attacke auf Aramco in Abqaiq und Khurais im September 2019, die Hunderte Millionen Dollar Schaden verursachte, dürften die Waffe mit iranischer Hilfe gebaut worden sein, wenn nicht gar die Revolutionsgarden den Einsatz kontrollierten. Am Mittwoch lief ein Tanker im Roten Meer vor der saudischen Küste auf eine Mine - ein Vorfall, der an ähnliche Sabotageaktionen in der Straße von Hormus und dem Golf von Oman erinnert, die vergangenes Jahr die Spannungen verstärkten. Die USA und andere westliche Länder sahen auch hier die Revolutionsgarden am Werk.

Luftangriffe auf Ziele in Libanon und Syrien

Im Juli und August bombardierte Israels Luftwaffe Ziele der Hisbollah in Libanon, nachdem es nach Angaben des Militärs Versuche geben hatte, das Grenzgebiet für eine Attacke auf israelische Soldaten zu infiltrieren und es beim zweiten Vorfall zu einem Schusswechsel gekommen war. Regelmäßig attackieren israelische Kampfjets zudem Einrichtungen der Revolutionsgarden in Syrien; alleine in der vergangenen Woche flogen sie drei Angriffswellen auf Ziele bei Damaskus und Albu Kamal an der Grenze zum Irak. Dabei sollen mehr als 20 Milizionäre getötet worden sein und auch Offiziere der Garden.

Dieser Schattenkrieg steht nun wieder an einem Punkt, an dem er in eine offene militärische Auseinandersetzung umschlagen könnte. Nach der Tötung Soleimanis begnügte sich Iran mit einem Raketenangriff auf einen US-Stützpunkt im Irak, der vor allem symbolische Wirkung hatte. Wenig später aber schossen die Revolutionsgarden bei Teheran eine Passagiermaschine mit mehr als 180 Insassen ab, weil sie mit einem US-Angriff rechneten.

Irans Führung hat Gründe, auf die Amtsübergabe in Washington zu warten und auf ein besseres Verhältnis unter dem neuen Präsidenten Joe Biden zu hoffen. Präsident Rohani hatte sich noch am Mittwoch zuversichtlich gezeigt, dass die Probleme mit den USA unter Biden "einfach zu lösen" sein könnten, wenn der seine Wahlkampfversprechen einlöse und die USA zurück ins Atomabkommen führe. Allerdings wollen die Hardliner in Teheran keine Verständigung mit den USA, sondern sie aus der Region vertreiben. Zudem ist Donald Trump noch mehr als 50 Tage im Amt - und es ist völlig offen, was bis dahin noch passiert.

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