Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Seehofer nimmt Baerbock in Schutz

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Der Bundesinnenminister mahnt zu mehr Gelassenheit im Wahlkampf. Die Attacken auf die Grünen-Kanzlerkandidatin wegen ihres Buchs bezeichnet er als "übertrieben".

Von Constanze von Bullion und Boris Herrmann, Berlin

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält die anhaltende Kritik an der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wegen ihres Buchs für überzogen und rät im Wahlkampf zu mehr Gelassenheit. "Ich halte das einfach für übertrieben", sagte Seehofer der Süddeutschen Zeitung am Dienstag. "Wie viele Bücher sind geschrieben worden, bei denen man aus Programmen, aus anderen Konzepten einfach Dinge wiedergibt. Und nachdem es keine wissenschaftliche Arbeit ist, ist man auch nicht verpflichtet, die Quelle anzugeben."

Baerbock hatte kürzlich ein Buch veröffentlicht, das nicht gekennzeichnete Passagen fremder Autorinnen und Autoren enthält. Weil sie zuvor mehrfach ihren Lebenslauf hatte korrigieren müssen, stand sie über Wochen erheblich unter Druck. Die Grünen wehrten sich erstmals juristisch und warfen ihren Kritikern vor, von der notwendigen inhaltlichen Debatte über Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit abzulenken. Trotz dieser Angriffslust will die Parteispitze bei ihrem bisherigen, eher versöhnlichen Kurs im Wahlkampf bleiben. Seehofer sagte nun dazu, es sei angemessen, mal "ein, zwei Tage" über ein solches Buch zu diskutieren. "Und dann muss es auch mal wieder gut sein. Ich rate zu mehr Gelassenheit."

Von Zurückhaltung und gegenseitigem Respekt konnte im sich zuspitzenden Bundestagswahlkampf zuletzt aber keine Rede sein. Besonders zwischen Union und Grünen, den weiter führenden Parteien in sämtlichen Umfragen, hat sich offensichtlich etwas hochgeschaukelt in den zurückliegenden Wochen. Einerseits betonen beide Seiten, dass sie sich einen fairen Wahlkampf wünschen, andererseits werfen sie der jeweils anderen Seite mangelnde Fairness vor.

Laschet hatte am Montag noch ganz anders als Seehofer geklungen

Der eigentlich für seine demonstrative Gelassenheit bekannte Unionskanzlerkandidat Armin Laschet jedenfalls hatte am Montag noch ganz anders als Seehofer geklungen. In der Sitzung des CDU-Bundesvorstandes soll er sich vehement über die Grünen beschwert haben. Deren "zweite Reihe" lege einen aggressiven Ton an den Tag, der ihn an den Stil des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erinnere. "Wenn wir uns gegenseitig Hitzetote vorwerfen, ist es vorbei mit einem fairen Wahlkampf", sagte Laschet laut Teilnehmern.

Damit spielte der CDU-Chef auf einen Tweet des grünen Fraktionsvizes Oliver Krischer an. Er hatte einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Temperaturrekorden in Kanada und Laschets Zögerlichkeit in der Klimapolitik hergestellt. Sie koste "überall auf der Welt - gerade in Kanada - Menschen das Leben". Wenig später entschuldigte Krischer sich dafür. Das hielt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak aber nicht davon ab, auch am Dienstag wieder darauf hinzuweisen, dass es "unverantwortlich" sei, Laschet für die Hitzetoten in Kanada verantwortlich zu machen.

Ziemiak hatte sich bereits am Montag an der allgemeinen Verschärfung des Tonfalls im Wahlkampf beteiligt. Praktisch im selben Atemzug, in dem er die Grünen aufgefordert hatte, "endlich zur Sachauseinandersetzung" zurückzukehren, warf er Vertretern der Grünen vor, "Verschwörungstheorien" gegen die Union zu verbreiten. Eine zumindest eigenwillige Interpretation von Sachlichkeit.

"Sind doch keine langweiligen Kartoffel-Endverbraucher"

Mehrere Medien sprechen inzwischen schon vom "schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten". Bundesinnenminister Seehofer, seit 40 Jahren in der aktiven Politik, hält die Aufregung für übertrieben. "Ich kann wirklich nicht sagen, dass das der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten ist", sagte er. Seine ersten Wahlkämpfe zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt, später mit Helmut Kohl, seien "ganz andere Kaliber emotionaler Wahlkampfführung" gewesen. Gegner seien mal ironisch und mal in voller Härte als unfähig bezeichnet worden. "Da gab es einfach mehr Nehmerqualitäten", sagte Seehofer.

Etwas Schärfe gehöre zur politischen Auseinandersetzung dazu. "Wir sind doch keine langweiligen Kartoffel-Endverbraucher", sagte Seehofer weiter. Wer angegriffen werde, müsse das ein paar Tage lang aushalten. Das gelte für Armin Laschet ebenso wie für Annalena Baerbock. "Das sind diese Härtetests, durch die jeder muss, der das Land führen will." Aber dann reiche es auch wieder. "Da muss man keinen Fortsetzungsroman draus machen."

Als Paul Ziemiak am Dienstag im Konrad-Adenauer-Haus die CDU-Wahlkampagne mit dem leicht kryptischen Slogan "Deutschland gemeinsam machen" präsentierte, klang er schon wieder etwas versöhnlicher. Er betonte ausdrücklich, dass sich der Vorwurf mit den Verschwörungstheorien nicht gegen die Parteispitze der Grünen gerichtet habe, sondern ganz konkret gegen den Tweet einer grünen Bloggerin. Am Vortag war diese Differenzierung bei ihm nicht herauszuhören gewesen. "Generalsekretäre schießen auch mal etwa übers Ziel hinaus", sagte Ziemiak, das liege vielleicht auch in der "Natur des Amtes".

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