Süddeutsche Zeitung

Energiekrise:Die EU deckelt den Gaspreis

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Beim Gipfel in Brüssel räumen Kanzler Scholz und die Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Mitglieder letzte Streitpunkte aus - bis auf einen. Und der soll am Montag geklärt werden.

Von Björn Finke, Brüssel

In Berlin hat der Bundestag am Donnerstag die geplante Strom- und Gaspreisbremse beschlossen, die Bürger und Firmen von Januar an bei den Energiekosten entlastet. Der umstrittene EU-Gaspreisdeckel soll dagegen erst am Montag bei einem Treffen der 27 Energieminister verabschiedet werden. Diesen Auftrag erteilten ihnen ihre Vorgesetzten, die Staats- und Regierungschefs, beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Die Minister müssen noch den letzten offenen Punkt klären: die genaue Höhe des Preislimits. Alle anderen Streitpunkte konnten beim Gipfel ausgeräumt werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte daher nach dem Treffen, die Regierungen seien auf dem Weg zu einer Einigung "deutlich vorangekommen". Bei seiner Ankunft am Morgen hatte der SPD-Politiker bereits angekündigt, er sei sich "sicher, dass wir heute - vor allem auch am Rande - noch ein paar weitere kleine, restliche Bedingungen" für den Deckel festzurren könnten. Dies würde den Weg ebnen zu einer "einvernehmlichen und gemeinsamen Lösung". Dabei hatten die Mitgliedstaaten erbittert darüber gestritten, wie hart diese staatlich verordnete Obergrenze sein soll.

Die Bundesregierung gehört dem kleinen Lager der Deckel-Skeptiker an, die vor einem zu niedrigen Limit warnen. Schließlich könnten künstlich verbilligte Preise die Nachfrage anheizen, obwohl Europa dringend Gas sparen muss. Zugleich könnten Förderländer ihre Tankschiffe mit Flüssigerdgas - das wird auf Englisch LNG abgekürzt - lieber zu anderen Kontinenten schicken, wo mehr gezahlt wird.

Die Mehrheit der Regierungen, darunter etwa die italienische, fordert trotzdem einen harten, vergleichsweise niedrigen Deckel, um den erwarteten Anstieg der Gaspreise im kommenden Jahr zu bremsen. Die Kommission schlug in ihrem Gesetzentwurf einen Deckel von 275 Euro pro Megawattstunde Gas vor. Im August wurden 350 Euro erreicht, auch weil sich EU-Regierungen gegenseitig überboten, um Gas für ihre Speicher zu kaufen. Doch seit zwei Monaten liegt die Notierung wieder unter 150 Euro. Der Gipfel verständigte sich nun offenbar darauf, dass sich die Minister am Montag auf einen Wert zwischen 180 und 220 Euro einigen sollen. Scholz sagte hinterher, der Deckel werde "so hoch sein, dass ich hoffe, dass er niemals relevant wird".

Scholz fordert "klare Sicherheitsmechanismen"

Die Regelung setzt nicht bei den Verbrauchern an, sondern bei den Gasversorgern und -händlern. Sie dürfen kein Gas zu einem Preis jenseits der Obergrenze kaufen. Um auf die Bedenken der Skeptiker wie Deutschland einzugehen, wurden die Vorschriften gestärkt, die zu einem automatischen Aus für den Deckel führen: Bereitet er Probleme, zum Beispiel weil Tankschiffe mit Flüssigerdgas abdrehen, wird er wieder aufgehoben. Der Kanzler sagte dazu, es müsse "klare Sicherheitsmechanismen geben, die einen Preisdeckel dann aussetzen, wenn wir in einem Mitgliedstaat die Versorgungssicherheit oder Finanzmarktstabilität gefährdet sehen".

Ein weiterer Streitpunkt war, ob der Deckel nur für Abschlüsse an Gasbörsen oder genauso für Verkäufe jenseits dieser Handelsplätze gelten soll, das sogenannte Over-the-Counter-Geschäft. Hier kommt der Kompromiss den Skeptikern um Deutschland ebenfalls entgegen, indem er Over-the-Counter-Verträge ausnimmt von der Preisgrenze.

Eine finale Einigung am Montag würde auch den Weg freimachen für die Verabschiedung anderer, eigentlich unstrittiger Vorhaben zum Senken der Gaspreise. So sollen die Mitgliedstaaten im kommenden Jahr einen Teil des Gases für ihre Speicher gemeinsam ordern. Das soll verhindern, dass sich Länder gegenseitig überbieten und die Preise hochtreiben, so wie es im vergangenen Sommer geschehen ist. Zudem sollen Genehmigungsverfahren für Solardächer, Wärmepumpen und die Modernisierung von Windparks drastisch verkürzt werden. Das würde den Gasverbrauch verringern. Die Deckel-Fans unter den Regierungen wollen diese Initiativen aber nur billigen, wenn zugleich die Preisobergrenze verabschiedet wird.

Der Gipfel diskutierte auch über Bidens Subventionspaket

Daneben diskutierten die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag darüber, wie die EU auf das massive Subventionspaket der US-Regierung reagieren soll. Der sogenannte Inflation Reduction Act (IRA) fördert den grünen Umbau der Wirtschaft, benachteiligt jedoch europäische Konzerne, die umweltfreundliche Produkte in die USA exportieren wollen, zum Beispiel Elektroautos. Denn Präsident Joe Biden möchte mit dem Programm vor allem amerikanische Fabriken unterstützen. Daher könnten EU-Unternehmen Werke in die USA verlagern. Die Kommission regt an, als Antwort auf Bidens Gesetz Subventionsregeln zu lockern und mehr EU-Fördergelder bereitzustellen. In den Schlussfolgerungen des Gipfels fordern die Spitzenpolitiker die Behörde nun auf, bis Ende Januar umfassende Vorschläge zu präsentieren.

Die deutsche Strom- und Gaspreisbremse muss nach der Verabschiedung im Bundestag auch vom Bundesrat gebilligt werden. Das soll an diesem Freitag geschehen. Für private Haushalte und kleine Firmen sollen die Bremsen von März an gelten, für Januar und Februar gibt es eine rückwirkende Entlastung.

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