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Indopazifik-Strategie der EU:China einbremsen, aber nicht provozieren

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Mit der Indopazifik-Strategie zeigt die EU ihr Interesse an einer geopolitisch wichtigen Region - und sucht Bündnisse mit Indien oder Japan.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Persönliche Gespräche bringen mehr als Videotreffen. Weil Großbritannien gerade die G-7-Gruppe der wichtigsten Industrienationen leitet, konnte Außenminister Dominic Raab seine Kollegen am Dienstag in London von Angesicht zu Angesicht zu Beratungen über globale Krisen begrüßen. Dass der aus Washington eingeflogene Antony Blinken gleich verkündete, die USA hätten "keinen engeren Verbündeten und engeren Partner als das Vereinigte Königreich", dürfte Raabs Ehrgeiz beflügeln. Die Briten wollen während ihres G-7-Vorsitzes Demokratie und Menschenrechte stärken und plädieren - genau wie die USA unter Joe Biden - für Härte gegenüber Russland und China. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte vorab: "Wirtschaftsinteressen gibt es überall, aber Fragen der Menschenrechte und der Freiheitsrechte müssen größeren Raum bekommen, wenn es um China geht."

Raab wollte beim Abendessen im Beisein der Außenminister aus Indien, Südkorea, Australien, Brunei und Südafrika seine "Vision für die Zusammenarbeit zwischen den G 7 und den Nationen der Indopazifik-Region" präsentieren. Dass er als Ziele engere Handelsbeziehungen und die Bekämpfung der Klimakrise nennt, wird der EU gefallen: Die 27 Länder haben gerade ihre Indopazifikstrategie beschlossen, um geeinter in der Region auftreten zu können. Im September wird die EU-Kommission eine noch detailliertere Strategie vorlegen. Dass man so das aufstrebende und aufrüstende China einhegen will, wird von Diplomaten nicht ausgesprochen, aber auch kaum bestritten.

2020 hatte neben den Niederlanden und Frankreich auch die Bundesrepublik eine nationale Strategie für die "Gesamtheit des vom Indischen Ozean und vom Pazifik geprägten Raums" vorgelegt und eine engere Kooperation mit den Demokratien in der Region angekündigt. Schon der Titel des neunseitigen Brüsseler Papiers - "EU-Strategie für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum" - zeigt den Wunsch, China nicht zu provozieren. "Mild" sei die Reaktion aus Peking ausgefallen, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat und betont: Jeder kann mitmachen, der sich an die Regeln halt. Bei China, dem wichtigsten Handelspartner der EU, dürfte sich das auf Klimaschutz und Biodiversität beschränken, denn überall sonst gibt es Streit. Auch der beklagte "intensive geopolitische Wettbewerb" geht von Peking aus, was zu "zunehmenden Spannungen in den Handels-und Lieferketten" führe.

Der indopazifische Raum erwirtschaftet zwei Drittel des globalen Wachstums

Wie ratsam es für die EU ist, sich im Indopazifik zu engagieren, zeigen einige Zahlen: 60 Prozent der Weltbevölkerung lebt dort, zwei Drittel des globalen Wachstums werden dort erwirtschaftet, und ein Drittel der EU-Importe stammt von dort. In China, Indien, Pakistan und Nordkorea gibt es de facto vier Atommächte, weshalb regionale Stabilität auch für Europa essenziell ist, wie Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gerade der Zeitschrift Internationale Politik sagte. Gleiches gelte für "freie Seewege", weshalb die Bundeswehr im Sommer eine Fregatte entsenden wird.

Am Samstag beraten die Staats- und Regierungschefs der EU mit dem indischen Premier Narendra Modi, wegen Corona nur per Videokonferenz. Die Kommission hofft, Gespräche über ein Handelsabkommen wieder aufnehmen zu können. Zudem wird erwartet, dass mit Indien eine Partnerschaft zur Konnektivität beschlossen wird. Dieses sperrige Wort steht prominent in der Indopazifikstrategie, und immer mehr EU-Staaten sehen in Kooperationen mit Japan, Südkorea oder Indien bei Infrastruktur-, Energie oder Digitalprojekten die geopolitische Antwort auf Chinas "Belt and Road Initiative" (BRI), seit 2013 auch bekannt als "neue Seidenstraße". Auch dies ist ein Signal an China.

Im EU-Parlament treibt Reinhard Bütikofer das Thema Konnektivität voran. Der Grüne sagte der SZ bereits im Februar, dass mit Deutschland, Frankreich und Polen drei große Mitgliedstaaten auf "ein höheres Tempo" drängten. Das Handelsblatt zitierte jüngst aus einem vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amts, in dem Ende April beklagt wurde, dass die EU ihr Potenzial in Sachen Konnektivität "noch immer nicht ausschöpft" und die Umsetzung der Pläne stocke.

Im Juni treffen sich die G 7 in Cornwall

Dem Anspruch einer "geopolitischen Kommission" werde Ursula von der Leyen nicht gerecht, heißt es in Berlin. Weil es weltweit weiterhin große Nachfrage nach Infrastrukturinvestitionen und besserer Vernetzung gebe, setzt sich Berlin für eine "ambitionierte, sichtbare und global ausgerichtete EU-Konnektivitätsstrategie" ein. So könne man europäische Werte, Standards und Interessen durchsetzen - "auch im Systemwettbewerb mit China".

Wie sich die EU hier positioniert, wird stark von Deutschland abhängen: Die für Peking brisantesten Themen Hongkong und Taiwan wurden in den Brüsseler Schlussfolgerungen nicht erwähnt. Unter den G 7 dürften die entscheidenden Gespräche im Juni stattfinden, wenn neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch Joe Biden zum Gipfel nach Cornwall reist. Gastgeber ist dann Premier Boris Johnson. Er dürfte mit dem US-Präsidenten auf klare Worte gegenüber China bestehen.

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