Süddeutsche Zeitung

Deutschlandtag:Doppelpass gegen Merkel

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Warum die Äußerungen von CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer zur doppelten Staatsbürgerschaft eine Distanzierung von Parteichefin Merkel sind.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es waren nur wenige Sätze in der Mitte einer gut halbstündigen Rede, aber sie haben in der Union Aufsehen erregt. Der Besuch des türkischen Präsidenten in Deutschland habe gezeigt, dass es Recep Tayyip Erdoğan nicht um die Integration von Menschen mit türkischen Wurzeln gehe, sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Stattdessen treibe er die Menschen "in Loyalitätskonflikte, er trennt sie von diesem Gemeinwesen" - und das dürfe man nicht zulassen. Wenn es kein Entgegenkommen der türkischen Seite gebe, müsse "das Thema Doppelpass insbesondere mit Blick auf die Menschen mit türkischen Wurzeln" wieder "auf die Tagesordnung", sagte die CDU-Generalsekretärin - und zwar "genau so" wie es auf Initiative der Jungen Union auf einem Parteitag beschlossen worden sei. Da horchten viele in der Halle auf. Denn diese "Initiative" war ein Antrag der Jungen Union, der Angela Merkel eine ihrer größten Niederlagen auf Parteitagen zugefügt hat. Seit diesem Delegiertentreffen Ende 2016 in Essen steht der Doppelpass wie kaum ein anderes Thema für die Entfremdung Merkels von ihrer Partei.

Aus Sicht der Kanzlerin ist die CDU ihr damals in den Rücken gefallen. Merkel hatte die Delegierten in Erwartung eines harten Bundestagswahlkampfs eindringlich um Unterstützung gebeten. Die CDU-Vorsitzende schilderte in Essen, wie schwer sie sich getan habe, noch einmal als Kanzlerkandidatin anzutreten. In den Monaten vor ihrer Entscheidung hätten viele zu ihr gesagt: "Du musst, du musst, du musst antreten." Jetzt sei aber sie es, die die Partei brauche. "Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst mir helfen!", verlangte Merkel. Die Delegierten wählten die Kanzlerin dann zwar mit 89,5 Prozent der Stimmen wieder zu ihrer Vorsitzenden. Doch später votierten sie gegen den Willen Merkels dafür, die Optionspflicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft wieder einzuführen. Dabei hatte die Kanzlerin sogar Thomas de Maizière und Peter Tauber, damals Innenminister und Generalsekretär, ans Redepult geschickt, um gegen den JU-Antrag zu sprechen. Am Ende stimmten trotzdem 51,5 Prozent der Delegierten für den Antrag. Merkel empfand das als Brüskierung. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel ätzte, entweder habe sich die CDU die falsche Chefin gewählt, oder Frau Merkel die falsche Partei.

Sehr viele in der CDU haben den Doppelpass-Parteitag jedoch anders in Erinnerung als die Kanzlerin. In ihren Augen hat nicht die CDU Merkel, sondern Merkel die CDU brüskiert. Denn die Kanzlerin hatte auf dem Parteitag zu dem Ausgang der Abstimmung geschwiegen, unmittelbar danach aber in Fernsehinterviews erklärt, sie halte den Beschluss zum Doppelpass persönlich für falsch und werde deshalb am Regierungshandeln nichts ändern. Die Union sollte besser mit der geltenden Regelung "leben". Für Merkels Verhältnisse war das ein hartes Basta - und für viele in der CDU das undemokratische Ignorieren eines Parteitagsbeschlusses.

Kramp-Karrenbauer hat den Konflikt damals übrigens vom Platz mit der besten Aussicht aus verfolgen können. Sie war während der Abstimmung über den JU-Antrag Tagungspräsidentin. Und es war an ihr, das Ergebnis zu verkünden. Auch deshalb geht jetzt niemand davon aus, dass die Generalsekretärin sich leichtfertig dazu geäußert hat. Wer in der CDU den ersten Platz anstrebt, scheint inzwischen zu glauben, auch mal Distanz zu Merkel zeigen zu müssen.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2018
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