Süddeutsche Zeitung

Corona:Im Wettlauf gegen die Delta-Variante

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Bundesgesundheitsminister Spahn verspricht mehr Impfstoff, um in Deutschland einen Wiederanstieg der Fallzahlen wie in Portugal und Russland zu verhindern. Sein bayerischer Ressortkollege Holetschek fordert engmaschige Grenzkontrollen - anders als noch vor wenigen Tagen.

Von Markus Balser und Rainer Stadler, Berlin/München

Die Corona-Fallzahlen in Deutschland sinken weiter, trotzdem richtet die Politik ihren Blick bereits auf eine mögliche vierte Welle - es soll nicht wieder ein böses Erwachen geben wie im vergangenen Herbst. Dazu kommt die zunehmende Ausbreitung der wohl deutlich ansteckenderen Delta-Variante, die den Verantwortlichen Sorgen macht.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appellierte deshalb bei einer Diskussionsrunde in Berlin erneut an die Menschen in Deutschland, sich impfen zu lassen. Die etwas umständliche Begründung: Jede und jeder Einzelne habe es in der Hand, "dass dieser gute Sommer, der es werden kann, erstens gut bleibt und zweitens Herbst und Winter eben auch gut werden".

Die Voraussetzungen dafür seien vorhanden, nach Angaben von Spahns Ministerium werde der Hersteller Moderna seine Lieferungen kräftig erhöhen: von bisher 733 000 Dosen wöchentlich auf 1,33 Millionen im Juli und auf 2,95 Millionen pro Woche bis zum September. Zudem werde der Bund kommende Woche weitere fünf Millionen Dosen Astra Zeneca und eine Million Dosen Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson an die Länder ausgeben. Spahn rechnet damit, dass alle impfwilligen Erwachsenen in Deutschland noch im Juli ein Angebot erhalten könnten.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) schlug in diesem Zusammenhang vor, Urlauber aus dem Ausland bei ihrer Rückkehr nach Deutschland engmaschig auf Impfausweise und negative Corona-Tests zu kontrollieren. Anders als im Vorjahr seien jetzt "in ganz Deutschland flächendeckende Testsysteme aufgebaut", sagte er der Bild am Sonntag. Holetschek ist zurzeit Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz. Entscheidend sei, "dass vor Einreise getestet wird und die Testnachweise an den Grenzübergängen und den Flughäfen nicht nur stichprobenartig kontrolliert werden", sagte er. Bund und Länder fänden sich in enger Abstimmung, um diese Kontrollen während der Reisezeit sicherzustellen.

Kontrollen für Urlaubsrückkehrer?

Müssen Reisende also tatsächlich mit flächendeckenden Kontrollen bei der Einreise auch im Auto- und Bahnverkehr rechnen? In Berlin löste der Vorstoß aus München am Sonntag Irritationen aus. Das Bundesgesundheitsministerium wollte sich zu der Forderung nicht äußern, verwies aber auf einen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz von Bund und Ländern, den die Minister unter Vorsitz Holetscheks erst am 16. Juni gefällt hatten. In den Beschlüssen heißt es etwa, dass "für den Straßen- sowie Eisenbahn-Verkehr aus Risikogebieten im Ausland" auch in diesem Sommer "verstärkt stichprobenhafte Kontrollen durchgeführt werden". Generelle Kontrollen für alle Reisenden sind in diesen Beschlüssen nicht vorgesehen. Das Verkehrsministerium verwies auf Gespräche zwischen Bund und Ländern, das für Kontrollen zuständige Innenministerium antwortete auf Fragen nicht.

Besonders brisant ist die Infektionslage derzeit in Portugal. Das Land wurde wegen der starken Zunahme der Fallzahlen als Virusvariantengebiet eingestuft. Laut der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC verbreitet sich die Delta-Variante dort so schnell wie in keinem anderen EU-Land. Während die in Indien erstmals entdeckte Virusvariante in Deutschland etwa 25 Prozent der Neuansteckungen ausmacht, liegt der Anteil in Portugal bereits bei 70 Prozent. Im Moment halten sich dort nach Schätzungen des Deutschen Reiseverbands (DRV) etwa 1000 deutsche Urlauber auf. Es seien "noch nicht so viele", weil Portugal erst seit Kurzem wieder leicht zugänglich sei, erklärte eine Sprecherin.

Ein Tourismusunternehmen hat seinen Kunden angeboten, bis Montagabend ihre Rückkehr nach Deutschland zu organisieren. Deutsche, die danach aus Portugal zurückkehren, müssen für 14 Tage in Quarantäne - auch wenn sie vollständig geimpft oder genesen sind oder einen negativen Corona-Test vorweisen können.

Ähnlich ergeht es Deutschen, die aus Russland zurückreisen, das ebenfalls zum Virusvariantengebiet erklärt wurde. Aus der Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt Sankt Petersburg meldeten die Behörden am Sonntag 1300 Neuinfektionen. Dort fanden bereits einige Partien der Fußball-Europameisterschaft statt. Bei fast hundert Fans aus Finnland, die vorige Woche dort ein Spiel besuchten, wurde das Virus anschließend nachgewiesen. Am Freitag ist eine EM-Viertelfinalpartie in Sankt Petersburg angesetzt.

Noch schlimmer trifft es die Hauptstadt Moskau, die zuletzt 6700 Neuerkrankte und 114 Todesfälle meldete, so viele wie noch nie in der Stadt seit Beginn der Pandemie. Auch in Russland wird die Delta-Variante für den raschen Anstieg verantwortlich gemacht. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin sagte, fast 90 Prozent der Fälle in seiner Stadt seien auf die neue Variante zurückzuführen. Einige Wissenschaftler äußerten Berichten zufolge, dass der Anteil wohl im ganzen Land ähnlich hoch sei.

Grüne und FDP wollen Zweitimpfung vorziehen

Gesundheitsexperten der Grünen und der FDP forderten mit Blick auf die aktuelle Entwicklung, eine schnellere Zweitimpfung, um den vollen Schutz gegen die Delta-Variante zu gewährleisten. Die Zweitimpfung bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna solle statt wie bisher nach sechs Wochen "bereits drei Wochen nach der ersten Impfung stattfinden", forderte der Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen. Das widerspricht allerdings der Empfehlung des Bundes und des Robert-Koch-Instituts: Der Schutz sei größer, wenn die von den Herstellern empfohlenen Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung eingehalten werden. FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann, der ebenfalls für eine Vorziehung der Zweitimpfung eintritt, fordert deshalb, die Empfehlung zu den Zeitintervallen zu überarbeiten.

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