Süddeutsche Zeitung

Merkel und die Corona-Maßnahmen:Retten, was zu retten ist

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Das Gesetzespaket mit Corona-Maßnahmen von SPD, Grünen und FDP hält Angela Merkel für falsch. Deshalb hat sie sich mit den Ampel-Spitzen im Kanzleramt besprochen. Ihre Zeit ist schließlich vorbei.

Von Nico Fried, Berlin

Angela Merkel hatte für 17.30 Uhr eingeladen. Das Führungspersonal von SPD, Grünen und FDP unterbrach am späten Dienstagnachmittag eigens die Koalitionsverhandlungen, um ins Kanzleramt zu fahren. Die Bilder, die bei der Ankunft entstanden, wirkten nicht gerade ruhmreich: Die geschäftsführende Kanzlerin bittet zum Rapport, und die künftige Regierungsspitze muss anrücken: Olaf Scholz, formal auch noch ihr Vizekanzler, die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, sowie FDP-Chef Christian Lindner und Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. Gut eine Stunde saß Merkel mit ihren Gästen zusammen. Einziges Thema: Corona.

Dass die Kanzlerin den Termin bewusst gewählt hat, um die letzte Runde der Koalitionsverhandlungen zu stören, darf als unwahrscheinlich gelten. Dass der Termin für Aufsehen sorgen könnte, wird ihr allerdings bewusst gewesen sein. Offenbar will sich Merkel nicht nachsagen lassen, dass sie nicht alles versucht habe, um zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und der Eindämmung der explodierenden Zahlen auf den Weg zu bringen. Dass auch sie in der Kritik steht, nicht rechtzeitig auf die Bedrohung einer vierten Welle reagiert zu haben, weiß Merkel. Für die Politik insgesamt geht es jetzt nur noch darum, zu retten, was zu retten ist.

Merkel sorgt sich, dass die Ampel-Pläne nicht ausreichen

Merkel habe mit den Ampel-Spitzen gesprochen, um ihnen persönlich deutlich zu machen, dass die vierte Welle dringend gestoppt werden müsse, hieß es am Mittwochmorgen im Kanzleramt. Ansonsten wurde Vertraulichkeit vereinbart. Die Debatten um eine allgemeine oder auf einzelne Berufsgruppen bezogene Impfpflicht dürfte Merkel dabei nicht in erster Linie im Auge gehabt haben. Ihr geht es eher um akute Maßnahmen.

In den vergangenen Tagen sind die Infektionszahlen von Tag zu Tag gestiegen, und mit ihnen stieg der Verdruss Merkels über die Pläne der künftigen Ampelkoalition für die Pandemiebekämpfung. Am vergangenen Donnerstag, nach der Ministerpräsidentenkonferenz, hatte die Kanzlerin schon im Beisein ihres mutmaßlichen Nachfolgers Olaf Scholz zur Kenntnis gegeben, dass sie das Gesetzespaket von SPD, Grünen und FDP, das wenige Stunden zuvor im Bundestag beschlossen worden war, für falsch hält. Sie habe kein Verständnis dafür, dass die Ampel-Parteien die epidemische Lage von nationaler Tragweite zum 25. November auslaufen lassen wollten, so Merkel. Dies sei ein falsches Signal.

Am Montag äußerte sich Merkel dann im CDU-Vorstand. "Wir haben eine hochdramatische Situation. Was jetzt gilt, ist nicht ausreichend", wurde sie von Teilnehmern zitiert. "Wir haben eine Lage, die alles übertreffen wird, was wir bisher hatten." Man müsse den exponentiellen Anstieg schnell stoppen, sonst komme man an die Grenze der Handlungsfähigkeit.

Die Erfahrung der vergangenen knapp zwei Jahre zeigt, dass Merkel die Infektionszahlen vor allem mit einer Reduzierung der Kontakte erreichen will. Ihre Sorge ist, dass mit dem von nun an geltenden neuen Infektionsschutzgesetz manche Möglichkeit, Kontakte einzuschränken, unnötigerweise aus der Hand gegeben werde. Doch eine Mehrheit im Parlament hat Merkel nicht mehr. Die drei künftigen Koalitionsparteien lassen sich überzeugen - oder eben nicht.

Am Mittwoch, nach dem Kabinett, traf sich Merkel nach Informationen der SZ noch mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn, Innenminister Horst Seehofer, Kanzleramtschef Helge Braun und einigen Staatssekretären aus den Ministerien. Es ging dabei eigentlich darum, wie man zusätzliche Kapazitäten für die Verlegung von Krankenhauspatienten schaffen kann - sowohl von Corona-Patienten, wie auch von anderen Erkrankten, die wegen der hohen Auslastung der Krankenhäuser in einigen Regionen nicht behandelt werden können. Dabei berichtete Merkel, dass sie den Ampel-Parteien am Vorabend die Dringlichkeit der Lage geschildert habe und noch auf eine Reaktion warte. Von einem Lockdown sei dabei aber nicht die Rede gewesen. Die Bild-Zeitung hatte am Mittwochnachmittag berichtet, Merkel habe einen zweiwöchigen Lockdown vorgeschlagen, sei damit aber bei den Spitzen der Ampel-Parteien abgeblitzt.

Allerdings drängt Merkel zusammen mit einigen Unions-Ministerpräsidenten offenbar darauf, die eigentlich für den 9. Dezember geplante nächste Ministerpräsidentenkonferenz vorzuziehen. Zu diesem Zweck sollen auch die Chefs der Staats- und Senatskanzleien sowie der Chef des Kanzleramtes Braun ihre routinemäßige wöchentliche Besprechung vorgezogen haben. In seiner Corona-Rede vor der Präsentation des Koalitionsvertrages ging Scholz darauf aber nicht ein.

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